Eine Begegnung mit dem legendären Regisseur und Produzenten Roger Corman.
Roger Corman, geboren am 5. April 1926 in Detroit. Produzent, Regisseur und Verleiher, Pate des Independent-Kinos, Schlüsselfigur des New Hollywood, Gott aller Filmfreaks, die das Bizarre und Abwegige lieben. Seit Studienzeiten weiß ich um seine Bedeutung, unvergessen ist mir, wie ich in der Schauburg im fränkischen Erlangen gleich mehrere Teile seines Edgar-Allan-Poe-Zyklus hintereinander angeschaut habe. Ihn endlich einmal kennen lernen zu dürfen, beim diesjährigen Filmfest von Locarno, wo ihm der Ehrenpreis verliehen wurde, gehört darum zu den schönsten Momenten meines Berufslebens. Alt ist Corman geworden, immerhin 90 Jahre, zum Gehen braucht er einen Stock. Doch sein Gedächtnis funktioniert allerbestens. Freundlich, leise und konzentriert antwortet er auf meine Fragen – auch wenn der Anlass sechzig Jahre zurückliegt.
Wie er 1956 auf die Idee gekommen sei, in dem Western The Gunslinger eine Frau zum Sheriff zu machen? „Ich hatte bis dahin eine Reihe von Western gedreht und wollte nun einen machen, der etwas anders war. Das war ungewöhnlich zur damaligen Zeit, aber ich habe da gar nicht so viel drüber nachgedacht. Ich würde mich auch nicht als feministischen Produzenten oder Regisseur bezeichnen. Ich habe immer nach der Maxime besetzt, wer der oder die beste für den Job ist. Und wenn das nun mal eine Frau war – schließlich machen sie mehr als 50 Prozent der Bevölkerung aus – dann besetzte ich eben eine Frau als Sheriff.“ So einfach ist das manchmal. Die Dinge anders machen. Und Beverly Garland sieht in ihren engen Jeans und der weißen Bluse, an die ihr jemand den Sheriffstern heftet, nicht nur verdammt sexy aus, sondern auch sehr dominant.
Auch an seine Anfänge erinnert sich Corman genau: „Ich hatte die Stanford University mit einem Ingenieurs-Diplom abgeschlossen, hatte aber auch während des Studiums schon Filmkritiken für eine Studentenzeitung geschrieben. Trotz meines Abschlusses bekam ich den schlechtesten Job meines Jahrgangs, nämlich als Fahrradkurier, der bei 20th Century Fox die Post zustellte. Kurz danach durfte ich aber Projekte, die dem Studio zugegangen waren, bewerten. Dann schrieb ich mein erstes Skript und bot mich gleichzeitig als Associate Producer an. Das war mein Start als Autor und Produzent. In dieser Eigenschaft machte ich zunächst zwei Filme, und schon beim dritten habe ich dann erstmals Regie geführt.“ Ob die Begriffe Exploitation oder B-Movies damals negative Konnotationen gehabt hätten? „Es ging gar nicht so sehr um eine negative Bedeutung. Diese Filme wurde einfach ignoriert. Die Kritiker achteten gar nicht auf diese Filme. Es war, als ob sie gar nicht existierten. Das waren Filme für junge Zuschauer, die sie sehr gut annahmen. Am Boxoffice ging es uns darum sehr gut. Es dauerte aber bestimmt bis Machine Gun Kelly, also bis 1958, einem Film mit einem neuen jungen Schauspieler, nämlich Charles Bronson, dass einer meiner Filme gut besprochen wurde, allerdings in Europa in einer französischen Zeitung. Die amerikanischen Kritiker fingen dann an, diesen Einfluss aufzunehmen.“
Natürlich frage ich auch nach dem Edgar-Allan-Poe Zyklus, der Idee dahinter und dem Plan, gleich acht Filme daraus zu machen: „Ich habe die Arbeit von Poe schon immer geliebt und wollte schon immer ,The Fall of the House of Usher’ verfilmen. Bislang hatte ich immer in zehn Tagen Schwarzweißfilme für 78.000 Dollar gemacht. American International wollte mir zwei solcher Filme abnehmen. Ich sagte: ,Diesmal will ich aber drei Wochen Drehzeit haben, und es soll in Farbe sein, und es soll ,The Fall of the House of Usher’ sein.‘ Nach einer kurzen Diskussionen stimmten sie schließlich zu. Mein Wahl als Hauptdarsteller war von Beginn an Vincent Price, und er sagte auch gerne zu. Der Film wurde dann ein großer Erfolg. Dabei hatte ich gar nicht die Absicht gehabt, eine Serie zu inszenieren. Doch AIP bat mich, weitere Filme zu drehen.“
Bereits Anfang der siebziger Jahre hörte Corman auf, Regie zu führen, Von Richthofen and Brown (1971) war sein letzter Film. „Ich wurde müde. Ich hatte 59 Filme in 15 Jahren gedreht. Einmal drehte ich tagsüber einen Film, castete während der Mittagspause den nächsten und schnitt in der Nacht den vorangegangenen Film. Ich musste mich zurücknehmen. Und dann habe ich erst einmal ein Sabbatical genommen, wie man das heute nennt. Aber ich langweilte mich rasch, und dann gründete ich meine eigene Produktions- und Vertriebsfirma. Und dann musste ich mich um so viele Filme kümmern, dass keine Zeit mehr zum Regie führen blieb. Dabei blieb es dann.“ Als Produzent wurde er dann zum Förderer junger Schauspieler und Regisseure. Warum? Auch diese Antwort ist von bestechender Einfachheit. „Ich hatte damals wenig Geld und konnte mir keine großen Stars leisten. Außerdem dauert es lange, bis ein Hollywood-Studio einen Star lanciert hat. Das führt dazu, dass man manchmal einen 50-jährigen Leading Man oder eine 40-jährige Leading Lady hat. Die Zuschauer hingegen sind 18 Jahre alt. Als ich das erkannte, wusste ich, dass ich entweder mit Stars aus der zweiten Reihe oder jungen Schauspielern ohne Namen zusammenarbeiten musste. Darum meine Entscheidung: Das Publikum ist jung, und ich arbeite mit jungen Leuten. Darum gab ich Charles Bronson oder Jack Nicholson und anderen eine Chance.“ Ob er damals geahnt habe, dass diese Schauspieler oder Regisseure wie Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola solche Legenden werden würden? „Ich war überzeugt davon, dass sie erfolgreich werden würden. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie erfolgreich. Diese jungen Männer aber hatten soviel Talent, dass sie auch ohne mich erfolgreich gewesen wären.“
Die siebziger Jahre brachten dann, beginnend mit dem Jaws (Der weiße Hai), große Veränderungen, das Blockbuster-Kino wurde erfunden. Plötzlich machte Hollywood Filme, so wie Corman sie einmal gemacht hatte – allerdings mit weit mehr Geld und mit mehr Erfolg an der Kinokasse. Ob er das bedauere? „Natürlich hatte Jaws ein größeres Budget. Aber: Es war auch der bessere Film. Meine Mitstreiter und ich waren wirklich in der Bredouille. Denn die Majors Studios hatten angefangen zu lernen, was wir bislang gemacht hatten. Und kurze Zeit später kam Star Wars heraus. Und ich dachte: ,Nicht schon wieder!’“
Was denn heute anders sei? „Zu meiner Zeit wurden all meine Filme landesweit verliehen, und fast jeder verdiente daran. Heute hingegen kommt nicht jeder Low-Budget- oder auch Medium-Budget-Film überhaupt noch in die Kinos. In den Siebzigern machte ich einen Film namens Death Race 2000. Es gewann sogar einen Preis als ,Größtes B-Picture aller Zeiten’. Wir machen gerade bei Universal Death Race 2050, aber der wird aber nur noch als DVD oder Netflix-Streaming herauskommen.“ Ob er bedauere, dass Filme heutzutage immer teurer werden? „Wir haben damals unsere Filme schnell und günstig gedreht, und man konnte auf der Leinwand jeden Cent sehen, den wir ausgegeben haben. Das ist heute mit astronomischen Budgets jenseits der 200 Millionen Dollar kaum mehr der Fall. Als James Cameron Titanic drehte, den bis dahin teuersten Film aller Zeiten, konnte man sehen, dass jeder Cent gut verwendet wurde. Man sah es auf der Leinwand. Doch wenn jemand 100 Millionen Dollar ausgibt und man sieht nur ein paar Leute durch einen Raum laufen, frage ich mich oft, wo das Geld geblieben ist.“
Doch Roger Corman ist kein verbitterter alter Mann, er weiß um seine Qualitäten und seine Bedeutung. Und er hat seinen Frieden mit Hollywood gemacht. Auf die Frage nach seiner Beziehung zum Establishment antwortet er bescheiden und unglamoröus: „Jemand hat mal über mich geschrieben: ,Hollywoods oldest established rebel’. Ich war immer mit einem Fuß im Establishment und mit einem Fuß draußen. Der Ehrenoscar 2010 hat mich wirklich sehr gefreut. Es war eine Form von Anerkennung, die ich bis dahin nicht kannte. Film ist aber immer auch eine Kunstform und ein Geschäft. Das muss man verstehen, und das Establishment tendiert am meisten zum Geschäft. Ich würde mich nie als Künstler bezeichnen, sondern eher als Handwerker. Aber ich habe immer ein bisschen mehr gemacht als nur Business.“