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Filmkritik

The Girl with All the Gifts

| Alexandra Seitz |
Faszinierende Hauptdarstellerin in kluger Geschichte ergibt wegweisenden Genrebeitrag.

Sie ist ausnehmend höflich. Ein freundliches, aufgewecktes, neugieriges Mädchen. Intelligent und wissbegierig, kreativ. Sie hat das Zeug zur Anführerin, könnte es weit bringen im Leben. Aber sie ist, wie ihre Klassenkameraden, während des Unterrichts an einen Rollstuhl gefesselt, Füße, Hände und Kopf sind fixiert – damit sie nicht angreifen, damit sie nicht beißen kann. Denn ebenso wie die anderen Kinder kann sich auch Melanie in wenigen Sekunden in ein Raubtier verwandeln, blutdurstig, aggressiv, tödlich. Nicht schon wieder ein Zombiefilm!, so stöhnt jetzt vielleicht der eine oder die andere. Doch, ja, genau, schon wieder ein Zombiefilm. Und was für einer!

Hungries werden sie in The Girl with All the Gifts, Colm McCarthys Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Mike Carey, genannt, und die Ursache für ihr kannibalistisches Verhalten wird mit einer Pilzinfektion angegeben, die einmal mehr zu einer Zombie-Apokalypse geführt hat. Melanie gehört bereits zur zweiten Generation der Befallenen, sie vertritt eine weitere Entwicklungsstufe im Lebenszyklus des Pilzes, sie denkt und fühlt und handelt dementsprechend. Damit stellt sich die gute alte Zombiefilm-Frage danach, in welcher (metaphorischen und/oder konkreten) Relation zum Menschen die Figur des Zombies steht, auf eine neue Weise. Und zwar nicht nur, weil der Zombie im vorliegenden Fall ungefähr zehn Jahre alt ist und den Menschen Löcher in den Bauch fragt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? Was ist weiche Munition, und wie wirkt sie auf mein Gehirn?

Kinder im Horrorfilm – da ist gemeinhin Vorsicht geboten. Wenn man nicht gerade vor ihnen Angst hat, weil sie zu den Schergen des Bösen zählen, hat man um sie Angst, weil sie ja noch viel zu jung und unerfahren und unschuldig sind. Im Fall von Melanie bekommt man es mit beiden Gefühlslagen zu tun, und zwar gleichzeitig. Zudem knüpft an ihrer Figur ein ganzer Rattenschwanz schwerwiegender Fragen an: existenzielle, moralische, evolutionäre, wissenschaftsethische, das ganze philosophische Potenzial eben, das dem Zombie-Genre inhärent ist, und das doch so selten nur genutzt, geschweige denn ausgeschöpft wird.

Dass dies hier geschieht, ist zu einem nicht geringen Teil Sennia Nanua zu danken, die in ihrer ersten großen Rolle eine fulminante Vorstellung gibt. Ihre Melanie beherrscht die Leinwand und hält den Film auf seinem hohen Niveau zusammen. Sie gibt ihm sein Herz. Und freilich auch sein Blut.