Bedrängendes Kammerspiel, das seine Wirkmacht an den Effekt verrät.
Eine Wohnung in einem besseren Viertel von Damaskus, das bessere Zeiten gesehen hat. Ein Tag wie jeder andere. Draußen herrscht Krieg. Drinnen herrscht die Angst. Der alte Mann schaut aus dem Fenster in einen mit Trümmern übersäten Innenhof und verzweifelt an Gott und der Welt. Jeden Morgen spürt er weniger Hoffnung und Lebenswillen, jeden Morgen wird es schwerer, der Gewalt zu begegnen. Dabei hat Abou Monzer noch Glück, denn seine Familie ist am Leben; der Sohn wird gegen Abend zurück erwartet, die Schwiegertochter hält eine Art Alltag aufrecht, es gibt etwas Nahrung, etwas Wasser, etwas Strom. Außerdem sind da noch die Enkelkinder, das Hausmädchen, die Nachbarsfamilie, die ausgebombt wurde und Unterschlupf gefunden hat im geräumigen Heim. Inmitten der Ausnahmesituation hat sich ein auf Hilfe und Trost aufbauender sozialer Zusammenhalt gebildet, der bald buchstäblich gesprengt wird, von innen heraus.
Nach Le jour où Dieu est parti en voyage, in dem er 2009 den Völkermord in Ruanda in den Augen einer Frau auf der Flucht spiegelte, ist der bei der diesjährigen Berlinale mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnete Insyriated die zweite Regiearbeit Philippe Van Leeuws. Erneut verfilmt der renommierte belgische Kameramann hier ein eigenes Drehbuch – gedreht wurde in Beirut – und erneut rückt er darin die weibliche Erfahrung eines Kriegszustandes mit all seinen gewaltsamen und moralzersetzenden Auswirkungen ins Zentrum.
Denn es wird kein Tag wie jeder andere in der Wohnung in Damaskus. Der Nachbar wird beim Überqueren des Hofs von Scharfschützen niedergestreckt, das Haus wird von Bombenexplosionen erschüttert, zwei finstere Gestalten verschaffen sich Zutritt zur Wohnung und vergewaltigen die Nachbarin, die es nicht mehr rechtzeitig ins Küchenversteck geschafft hat, in dem die anderen währenddessen angstvoll lauschen. Anstatt einzugreifen.
Eine plötzliche Entsolidarisierung mit verheerenden Konsequenzen. Eine alltägliche Katastrophe. Zugleich ein moralisches Dilemma. Aber man hat keine Lust, sich damit zu befassen, weil die Vergewaltigungsszene überlang ausgewalzt ist und ausbeuterisch wirkt. Anstatt sich an die Erforschung von Psychen unter permanenter Todesdrohung zu halten, setzt Van Leeuw mit dieser letztlich unnötigen Zuspitzung der Ereignisse seinen Film in den Sand und gibt ihn dem Melodramatischen preis. Im gegebenen Zusammenhang ist das mehr als sträflich.