Zum Gedenken an Hans Hurch (1952–2017)
Woran erkennt man, dass jemand ein außergewöhnlicher Mensch ist? Oft sind es die kleinen, scheinbar banalen Zeichen und Gesten, die Hinweise geben. Hans Hurch zum Beispiel hat sich einmal per Mail in sehr netten Worten wegen eines Interviews bedankt, das wir im Jahr 2011 für das „faq Magazine“ führten. „Geh bitte, Hans“, dachte ich, „was gibt es denn da sich zu bedanken?“ Gefreut hat es mich trotzdem. Und Hans Hurch hat jedes Jahr (!) auf die Weihnachtskarte, die die Viennale an Geschäfts- und Medienpartner verschickt, mit der Hand (am Computer zu schreiben, das war ihm sowieso ein Gräuel) ein paar persönliche Zeilen geschrieben – und das nicht nur bei mir, sondern bei vielen anderen auch.
Von 1997, seinem ersten, bis 2002, meinem letzten Viennale-Jahr, haben wir bei der Viennale sehr eng zusammengearbeitet. Das begann Ende Jänner beim Filmfestival in Rotterdam, wo wir uns das Programm, so gut es ging, „aufteilten“, um möglichst viele Filme abzudecken, genauso wie anschließend in Berlin und in Cannes. Das schönste waren die alle zwei, drei Tage stattfindenden Besprechungen mit Hans, meist bei einem Abendessen, bei denen wir die abgehakten Filme Revue passieren ließen, er, wie man es von ihm kannte, immer in nahezu druckreifen Sätzen, oft mit harschen Urteilen, aber nie ohne eine gewisse Sympathie für die Filmemacherinnen und -macher. Und auch wenn ich öfter feststellen musste, dass er unseren „Plan“ nicht eingehalten hatte, weil ihn zwischendurch ein anderer Film, ein anderer Filmemacher abgelenkt hatten, war das eine schöne Arbeit, vor allem, wenn ich es schaffte, ihn für einen Film so zu begeistern, dass er ihn sich anschaute und in das Festivalprogramm aufnahm. Und erst recht, wenn er einen Vorschlag für einen Tribute (Christopher Doyle, 1999) oder ein Special (Japanische Geisterfilme, 2001) akzeptierte und einen schalten und walten ließ. Bei letzterem gab er auch gerne zu, dass er mit seiner Prognose („Des schaut si’ eh kaner an“) falsch gelegen war.
Die Zusammenarbeit setzte sich im Laufe des Jahres beim Viennale-Katalog fort, der ihm – als Mann der Feder – ein großes Anliegen war und dem er dementsprechend viel Aufmerksamkeit widmete. Meist spätnachts oder kurz vor der Abgabe in der Druckerei, wenn alle schon auf dem Zahnfleisch daherkrochen, schlug seine große Stunde, und er hatte Einfälle, die nur er haben konnte, weil er – das ist bekannt – alle Filme selbst gesehen hatte. Das war nicht immer angenehm, in letzter Sekunde noch an den Katalogtexten herumzuwerkeln, aber meistens hatten seine Einwürfe Hand und Fuß. Einmal gelang es uns – Photoshop sei Dank –, ihm auf seinem Porträtfoto im Katalog eine Krawatte zu verpassen (und zwar die von Stadtrat Mailath-Pokorny) und das an ihm vorbeizuschmuggeln, sodass es tatsächlich gedruckt wurde. Da war er drei Tage wirklich sauer, etwas, was ich bei ihm nur ganz selten erlebte. Wegen der Krawatte!
Kaum waren die Kataloge fertig, sahen wir uns im Pressebüro der Viennale wieder, damals noch im Hotel Hilton. Selten schaffte er den Jour fixe des Teams, der jeden Tag um 9 Uhr angesetzt war, aber ansonsten war er sehr präsent – nicht nur in den Festivalkinos, wo er oft überraschend auftauchte und wo ihn wohl jeder einmal gesehen hat, immer ins Gespräch vertieft, immer leidenschaftlich, immer interessiert. Manchmal gönnte er sich eine Auszeit in einem der Büros im Hilton, und da konnte auch hemmungslos geblödelt werden, sodass allen Anwesenden die Tränen (vom Lachen) in den Augen standen. Er hatte für jede und jeden ein freundliches Wort, einen Scherz, selbst im größten Stress. Und selbst wenn er einmal schlechte Laune hatte – soll ja bei Menschen vorkommen – oder übermüdet war, dann zog er sich eher zurück, als dass er sie an anderen ausließ. Pünktlichkeit war keine seiner großen Stärken, aber er hatte eine fast magische Art, sich zu entschuldigen und zu betonen, wie wichtig ihm gerade dieser Termin sei, die einen darüber hinwegsehen ließ. Mit der Zeit kalkulierte man die „Hurchsche Viertelstunde“ schon ein.
Zum letzten Mal gesehen habe ich ihn diesen Februar bei der Berlinale. Es war eiskalt in Berlin, und wie immer trug Hans nur ein schickes, aber sehr dünnes schwarzes Mäntelchen. Die Arme hatte er, charakteristisch, vor der Brust übereinandergeschlagen, weil ihm so kalt war. „Ich muss ins Kino“, sagte er, „da ist es schön warm.“ Das war natürlich nur die halbe Wahrheit: Er musste ins Kino, weil es ihn dort hintrieb.
Am 23. Juli 2017 ist Hans Hurch im Alter von 64 Jahren in Rom verstorben. Ach, Hans!