Sudabeh Mortezais Berlinale-Wettbewerbsbeitrag: klarsichtig und erfrischend
Filme, die von Flüchtlingen erzählen, haben es schwer. Der Ruf, den Gestus des Gutmeinenden zu vertreten, eilt ihnen voraus, und oft genug lösen sie solche Erwartungen auch ein. Aber auch sogenannte Coming-of-Age Filme folgen nicht selten einer Teleologie des Erwachsenwerdens, in der sich die immer gleichen Probleme in Variationen präsentieren. Macondo greift beide Themen auf und findet einen erfrischenden Realismus, dramaturgisch und formal. Die Grundfigur dieser Geschichte ist simpel: Unordnung und frühes Leid erfasst Ramasan, elf Jahre alt, einen Bewohner der titelgebenden Flüchtlingssiedlung in Wien. Noch Kind, wird er von Moschee-Mitgliedern bereits an seine Pflichten als „Mann“ erinnert, als wäre er für seine Mutter verantwortlich und nicht umgekehrt. Seinen Vater, der im Krieg in Tschetschenien getötet wurde, verehrt er als Helden. Diffuse Emotionen ohne eigenes Gedächtnis an ein Kriegsgeschehen bilden zunehmend den Boden für sein Handeln. Langsam läuft alles aus dem Ruder, und ebenso langsam entfaltet sich Macondo zur Reflexion einer Heldendemontage.
Regisseurin Sudabeh Mortezai ist um eine auffällig offene Struktur für ihre Handlung bemüht, lange Zeit bestimmt dieser Duktus auch das Geschehen. Eine hochmobile Kamera, die auch von der Entwurzelung der Leute und den Unwägbarkeiten einer Lebenssituation erzählt, begleitet das Kind von Beginn an: vom übriggebliebenen Unterholz nahe der Simmeringer Siedlung bis zu den Baugruben und der Shopping Mall, die den limitierten Radius der Flüchtlinge an der Peripherie der Stadt markieren. Lange Zeit bleibt völlig offen, wohin sich das Geschehen entwickeln wird. Mortezai lässt sich ganz auf den jugendlichen Blick ihres Protagonisten und dessen begrenztes Wissen über die Welt ein.
Über diese Haltung findet Macondo zu seiner inhaltlichen Relevanz: Ramasan behauptet sich auf Augenhöhe mit privaten Security-Männern, betätigt sich als Checker und „Macker“ gegenüber seiner Mutter, wenn er bei der Flüchtlingsbetreuung nur die ihm genehmen Passagen übersetzt, und er wird Subjekt diverser Enttäuschungen und Ohnmachtserfahrungen, die einem Kind – und im Speziellen diesem – zu eigen sind. Macondo folgt einer sehr physischen Inszenierung, während er scheinbar keine besondere Botschaft verfolgt. Mit viel Gefühl für Stimmungen hält er die Kontingenz eines Lebens aufrecht, und damit das Interesse des Publikums.