Jamie Lee Curtis über ihre Auftritte in der „Halloween“-Reihe, die „Me Too“-Bewegung und ihre bevorzugten Rollen.
Von „Halloween“ im Jahr 1978 bis „Halloween H 20“ im Jahr 1998 waren es 20 Jahre. Jetzt sind weitere 20 Jahre vergangen. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Jamie Lee Curtis: Die anderen Filme haben wirklich keine Relevanz für den neuen Halloween Film. Hier geht es nur um den ersten Teil von 1978. Was sich geändert hat, was neu ist, das ist Lauries Trauma, das nie behandelt wurde. Es ist ungeheuerlich, wie Rost, der nie abgebürstet wurde und sie noch immer bedeckt – wie Krebs, der immer weiter wächst. Das war das, was die Drehbuchautoren geschrieben hatten, und es hat mich sehr glücklich gemacht. Es geht zum einen über ein generationsübergreifendes Trauma und um die Versöhnung der Generationen. Das ist wirklich eine perfekte Art und Weise, Laurie Strodes Geschichte noch einmal aufzugreifen: sie über drei Generationen von Frauen, die von derselben Person traumatisiert wurden, hinweg zu erzählen. Das fand ich sehr clever konstruiert.
Was hat sich für Sie persönlich geändert in den letzten 40 Jahren?
Jamie Lee Curtis: Ein ganzes Leben hat sich verändert, für mich, für Laurie Strode. Ich hatte die Chance, mich wirklich zu entwickeln, sie hatte das nicht. Ich hatte die Gelegenheit, ein Familienleben aufzubauen und kreativ zu arbeiten, ein emotionales Leben, ein geistiges Leben, ein Leben mit Reisen, Musik und Kunst, Bildung und allem, was ich tun wollte. Laurie Strode hat nichts von dem, sie ist immer noch in Haddonfield, immer noch traumatisiert von den Ereignissen damals. Das einzige, was sie hat, ist Selbstschutz. Das ist das eigentliche Trauma: sich jeden Tag darum kümmern zu müssen, nicht zu sterben. Das ist eine Tragödie.
Hat Sie diese Tragödie auch persönlich berührt?
Jamie Lee Curtis: Dies ist ein emotionaler Film. Was diesen Film so überaus besonders macht: Er wird der Wahrheit so gerecht. Der Zuschauer glaubt wirklich, dass ich Laurie Strode bin, und darum glaubt er auch ihr. (Spricht mit monotoner Stimme) „Und dann ging ich mit meinen Freunden über die Straße, und sie zogen mich auf, und dann ging ich nach Hause, und dann sprach ich mit meinen Freunden am Telefon, und dann sprach ich mit mir selbst und sang ein romantisches Lied, über die Sehnsucht, festgehalten zu werden, über die Sehnsucht, berührt zu werden.“ Wenn man den Charakter von Michael Myers in diese Welt einführt, sorgt man sich um mich. Darum funktioniert es. Der Grund, warum mir das so nahegeht, ist die Tragik, die ihr zustößt. Es ist einfach tragisch – ihr Leben wurde ihr weggenommen. Sie ist nur noch am Leben, um sich noch einmal mit Michael Myers zu treffen. Das machte es für mich so emotional. Wenn ich das als eiskalte Roboterfrau gespielt hätte, hätte es nicht funktioniert. Ich glaube wirklich nicht, dass Sie sich dann um die Figur gesorgt hätten. Aber jetzt sorgen Sie sich – weil sie so verletzlich ist. Aus dem verletzbaren Mädchen, das wir vor 40 Jahren kennen gelernt haben, ist heute eine verletzbare Frau geworden. Das war mir sehr wichtig.
Sie ist doch aber auch eine sehr starke Frau. Eine Szene zeigt sie ja sehr geschickt und versiert bei den Schießübungen, und am Schluss ist es auch ein Statement über weibliche Selbstermächtigung.
Jamie Lee Curtis: Okay – es ist ein Statement über weibliche Selbstermächtigung. Aber das Drehbuch wurde vor „Me Too“ geschrieben. Ist das nicht interessant? Es ist weibliche Selbstermächtigung, aber das bedeutet, dass Frauen sich die Macht zurückholen. Was den Drehbuchautoren Jeff Fradley, Danny McBride und David Gordon Green sehr klar war: Michael Myers hat die ganze Macht. Wäre es da nicht interessant, einen Film zu machen, in dem sich die Frau die Macht zurückholt? Wie gesagt: Das war alles vorher geschrieben, bevor all diese Dinge in der Welt geschahen. Stellen Sie sich das einmal vor: Bill Cosby sitz in einer Gefängniszelle. Er hat Frauen unter Drogen gesetzt und vergewaltigt, und jeder hat ihn geliebt. Und diese Frauen, die nun Aufmerksamkeit einfordern und darüber berichten, was ihnen passiert ist – ich finde das bewundernswert. Was ist in einem Jahr nicht alles passiert! Ich finde es schon interessant, dass die drei Autoren über diese Dinge schon vorher nachgedacht haben. Und die „Me Too“-Bewegung hat dann noch die Dreharbeiten befeuert.
Es gibt eine Szene, in der Sie sich mit Ihrer Filmtochter streiten und sie zwingen wollen, sich ausreichend zu bewaffnen. Sie aber entgegnet, dass sie an das Gute im Menschen glaubt. Ist sie also die Liberale, während Sie für Selbstverteidigung plädieren? Wie denken Sie darüber?
Jamie Lee Curtis: Ich bin eine Liberale, die glaubt, dass man eine Waffe besitzen darf. Ich glaube aber nicht, dass es hier um liberale Positionen geht. In der Szene geht es um ein Trauma. Judy Greer spielt eine Frau, die von ihrer Mutter dazu erzogen wurde, die von ihr gezwungen wurde, Schießen und Boxen zu lernen. Sie hat nur von ihr gefordert. Und als Erwachsene wehrt sich die Tochter und sagt: „Ich bin keine paranoide Frau. Du bist die paranoide Frau. Verschwinde aus meinem Haus. Nimm deine Paranoia und geh!“ Das hat gar nicht so viel mit liberaler oder konservativer Politik zu tun. Hier geht es um ein Trauma und das Gift, mit dem ein Kind zerstört wird. Bis sich das Kind zu wehren beginnt: „No more!“ Und das wird ja auch am Ende des Films deutlich.
Sie sind die Tochter von Janet Leigh und Tony Curtis, zwei höchst erfolgreichen Schauspielern der fünfziger und sechziger Jahre. Hatten Sie jemals überlegt, nicht in ihre Fußstapfen zu treten?
Jamie Lee Curtis: Wissen Sie was? Ich wollte Polizeibeamtin werden. Ich war nur kurz auf dem College. Meine Mutter war übrigens dort die berühmteste Absolventin. Darum wollten sie mich auch gern da behalten, aber ich war einfach zu mittelmäßig. Eigentlich hatte ich gehofft, ich würde auf dem College einen Abschluss machen und dann Polizistin werden, eine gute Polizistin. Es war Zufall, der mich zur Schauspielerei brachte. Ich kam zu Weihnachten nach Hause. Ein Tennislehrer managte nun Schauspielerinnen, er fragte mich, ob ich nicht Nancy Drew, eine Serienfigur, spielen wollte. Die Rolle habe ich nicht bekommen, aber nach einem Monat unterschrieb ich trotzdem einen Vertrag bei Universal,
verließ das College und wurde Schauspielerin. Kein Unterricht, kein Training.
Warum sind Sie dann dabei geblieben?
Jamie Lee Curtis: Ich hatte mein ganzes Leben über Erfolg. Ich war zwar viele, viele Male arbeitslos, ich bin auch heute arbeitslos. Aber ich war als junge Schauspielerin regelmäßig beschäftigt, ich hatte einen Vertrag für eine Fernsehshow. Allerdings wurde ich da gefeuert. Und wer weiß, was passiert wäre, wäre ich dort nicht gefeuert worden. So konnte mein Manager, der Tennislehrer (der übrigens Chuck Binder heißt und schon lange nicht mehr mein Manager ist, dem ich aber viel verdanke), mir von diesem Exploitation-Movie erzählen. Es gäbe drei Parts für Mädchen. „Ich schlage dich für das ,brainiac, repressed girl’“ vor. So landete ich bei Halloween. So arbeitet eben das Universum – Zufälle passieren immer wieder.
Sie haben über die Jahre sehr unterschiedliche Figuren gespielt. Gibt es eine Rolle, die Sie bevorzugen?
Jamie Lee Curtis: Um Ihnen die Wahrheit zu sagen: Drei Tage vor meinem 35. Geburtstag hing ich von einem Hubschrauber herunter, nur durch einen Draht gehalten, direkt über den Florida Keys, 70 Meter über dem Wasser. Ich sage es noch einmal: an einem Draht hängend, von einem Hubschrauber. Und das an einem wunderschönen Nachmittag. Es war verrückt. Es gab einen Moment, wo ich dachte: Was ist denn hier los? Es war wirklich eine außergewöhnliche Erfahrung, bei True Lies dabei gewesen zu sein. Es war phantastisch.
Und „A Fish Called Wanda”?
Jamie Lee Curtis: Es war ein toller Film, superlustig, ich bin John Cleese sehr dankbar, dass er meine Rolle so geschrieben hat. Meine Tochter war damals sechs Monate alt, ich habe jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Weg nach Hause geweint, weil ich mich schrecklich fühlte. Weil ich mein Baby verlassen hatte, damit andere mit mir spielen könenn. Mein Mann musste dann den Babysitter machen. Ich hatte mich noch nicht damit abgefunden, eine Mutter zu sein, das war sehr schwierig für mich. Unglücklicherweise ist darum meine Erinnerung an A Fish Called Wanda nicht mit Spaß verbunden.
Haben Sie überlegt, wie lange Sie noch als Schauspielerin arbeiten wollen?
Jamie Lee Curtis: Ich weiß es wirklich nicht. Auf einer gewissen Stufe gibt es eine schöne, wirklich schöne Symmetrie, um heute aufzuhören. Erster Film, letzter Film, beide Halloween – das wäre doch ein schönes Kapitel in den Geschichtsbüchern, das perfekte Ende. Ich habe keinen großen Ehrgeiz. Ich habe angefangen zu produzieren und Ideen zu verwirklichen, vielleicht auch etwas zu schreiben, das ich dann inszeniere. Vielleicht tue ich aber auch überhaupt nichts, außer mit meinem Ehemann Golf zu spielen. Das ist nämlich das, was wir miteinander tun. Ich habe keinen großen Plan. Wenn Sie mir vor anderthalb Jahren gesagt hätten, dass ich in diesem großen Film mitspielen würde …
Sie sollen für den ersten „Halloween“-Film nur achttausend Dollar bekommen haben. Waren Sie jemals verärgert, dass Sie nicht so viel verdienen wie ein männlicher Schauspieler?
Jamie Lee Curtis: Ich finde es gut, dass so viele Menschen über gleiche Entlohnung sprechen. Ich lebe ja in einem Land, das noch nicht einmal das Equal Rights Amendment hat, von gleicher Bezahlung ganz zu schweigen. Wir bewegen uns in einer Kunstform, die auch Kommerz ist. Ich nenne das „Angeber-Geschäft“. Es ist ein Business. Wenn man schon das investierte Geld nicht in gleicher Form zurück bekommt, wie kann es dann gleiche Bezahlung geben? Man könnte natürlich die Möglichkeit dafür schaffen. Aber es gibt viele Beispiele von Filmen, in denen Frauen eine große Rolle spielen, Wonder Woman ist ein gutes Beispiel. Es gibt ein Gleichgewicht. Frauen sind zwar in Hollywood unterrepräsentiert, aber das wird nicht ewig dauern. Frauen fordern mehr und bekommen mehr. Ich interessiere mich mehr für gleiche Rechte denn für gleiche Bezahlung. Unglücklicherweise lebe ich in einem Land, wo gleiche Rechte für Frauen nicht existieren. Die Sache mit der Bezahlung ist auch vertrackter. In der Kunst steht nirgendwo geschrieben, dass man dies oder jenes verdienen müsse. Und es beginnt sich ja auch zu ändern.
Sie schreiben auch Kinderbücher.
Jamie Lee Curtis: Ich schreibe Kinderbücher, weil sie in meinem Kopf herumspuken, weil ich Dinge sehe, wie Kinder sie sehen, und sie amüsieren und erfreuen mich. Ich sagte ja bereits, dass ich auf einem College war, ohne wirklich dort etwas zu suchen zu haben. Und die Tatsache, dass ich Bücher schreibe, die erfolgreich sind, ist darum für mich ein Wunder. Meine Bücher sind schön, sie sind lustig, es geht in ihnen um etwas, jedes hat etwas zu sagen. Sie sind wohl das Beste von mir.