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Apocalypse Now

Apocalypse Now – Final Cut

Am Ende angekommen

| Michael Pekler |
Mit „Apocalypse Now – Final Cut“ legt Francis Ford Coppola zum 40-jährigen Jubiläum die nächste und wahrscheinlich letzte Fassung seines Kriegsfilmklassikers vor.

In der neuesten Version von Apocalypse Now gibt es mehr, aber auch weniger zu sehen. Mehr als in jener Fassung, die Francis Ford Coppola erstmals 1979 beim Festival von Cannes präsentierte. Aber weniger als in der deutlich längeren Version, die 2001 unter dem Titel Apocalypse Now Redux erschien und von der Coppola damals behauptete, dass sie endlich alles Material beinhalte, das man bei der Premiere aus unterschiedlichen Gründen nicht zeigen konnte. Redux kam in bester Bild- und Tonqualität ins Kino, dauert fast 50 Minuten länger und erschien selbstverständlich, zusammen mit der Erstfassung und der Making-of-Dokumentation Hearts of Darkness über die desaströsen Dreharbeiten auf den Philippinen, als voluminöse DVD-Edition. Endlich war einem der wichtigsten Kriegs- und Vietnamfilme mit einer von Coppola eigenhändig geschaffenen und autorisierten Version zu seinem Recht verholfen worden. So schien es, und (fast) alle waren zufrieden. Bis jetzt. Denn vor wenigen Wochen erschien, unterstützt von einem kurzen PR-Kinoeinsatz, der um knapp zwanzig auf 183 Minuten gekürzte (!) Apocalypse Now – Final Cut. Und die Legende lebt weiter.

Dass Coppola mittlerweile bereits eine dritte Fassung seines Film veröffentlichen kann, ist ein Privileg, das nicht vielen Filmemachern zugestanden wird

Das muss man, sogar bei einem solchen Schwergewicht wie diesem, begründen. „Zu viel des Guten“ sei die Redux-Version gewesen, meint Coppola, weshalb er zum 40-jährigen Jubiläum diese Final Cut-Version angefertigt habe. Man könnte sich also schon wieder auf die Suche begeben und diesmal nicht die hinzugekommenen, sondern die wieder entfernten Szenen buchstäblich minuziös beschreiben. Das würde gar nicht so schlecht funktionieren, weil Coppola teilweise markante Szenen vor allem aus dem letzten Drittel des Films herausgeschnitten oder neu montiert hat. Doch irgendwie ist es mittlerweile müßig, darüber zu spekulieren, ob nun jene Szene, in der Marlon Brando den in einer Wellblechhütte eingesperrten Martin Sheen mit dem Time-Magazin sekkiert, während er mit einer Kinderschar im Rücken eine medienpolitische Rede schwingt, tatsächlich von elementarer Bedeutung gewesen sei. Oder die ebenfalls wieder entfernte Begegnung der Crew mit den nach ihrem Dschungel-Showauftritt gestrandeten Playboy-Bunnies. Solche Szenen können einem natürlich erst fehlen, wenn und weil man sie mittlerweile kennt. Oder sie würden fehlen wie jene, in der Willard und seine Crew bei den französischen Plantagenbesitzern übernachten, weil sie eindrücklich und in geisterhafter Form den Vietnamkrieg als des Ergebnis westlicher Kolonialgeschichte ausweist. Diese für die Redux-Version wichtigste Szene hat Coppola glücklicherweise nicht wieder entfernt, sondern nur in sich neu montiert. „Bei Apocalypse Now Redux pflanzen wir diese Äste an einen Baum, der bereits eine ausgewogene, organische Struktur hatte“, meinte Coppolas langjähriger Cutter Walter Murch über die hinzugekommenen Minuten. „Wir wissen, dass wir den Organismus verändern, und versuchen, ihn im Gleichgewicht zu halten.“

Man kann natürlich wie Coppola behaupten, dass die zwanzig Minuten, die in der Final Cut-Version wieder fehlen, ohnehin nicht so wichtig gewesen sein können, dass sie das „Gleichgewicht“ des Films doch gestört haben. Coppola zumindest behauptet dies, indem er nunmehr seine „Lieblingsversion“ veröffentlicht. Vor Beginn des Films gibt es ein entsprechendes kurzes Mission Statement, in dem er allerdings hauptsächlich auf die neue brillante Bild- und Tonqualität hinweist – was zumindest für das Kino stimmt, wo man gleich zu Beginn vom Geräusch der Rotorblätter niedergestreckt wird, weil die US-Kavallerie mit ihren Hubschraubern scheinbar im Saal landet. In einem Interview mit einer deutschen Wochenzeitung meinte Coppola, er habe sich vom „Mehr ist mehr“-Ansatz verabschiedet, um noch einmal den Blick „auf die Themen des Films zu schärfen“. Das bleibt am Ende der Flussreise natürlich Ansichtssache, doch ob man als Zuschauer sieht, wie mitten im Bombenhagel mit dem Geruch von Napalm am Morgen ein Surfbrett geklaut wird oder nicht, berührt im Grunde eine andere, wesentlichere Frage.

Dass Coppola mittlerweile bereits eine dritte Fassung seines Films veröffentlichen kann, ist nämlich ein Privileg, das nicht vielen Filmemachern zugestanden wird. Coppola ist ein hoch dekorierter Filmemacher des New Hollywood, Apocalypse Now neben The Godfather bis heute sein wichtigster Eintrag in die Filmgeschichte. Der Regisseur ist im April achtzig, der Film vierzig Jahre alt geworden. Vor allem aber ist es ein kanonisierter Klassiker, dessen desaströse Produktionsgeschichte – von der Herzattacke Martin Sheens über die persönliche Haftung Coppolas als Produzent bis zum übergewichtigen Brando – selbst zur Legende geriet. Nicht viele Filme haben ein solches Pouvoir, um nach Jahrzehnten mit entsprechendem Aufwand erneut auf den Markt gebracht zu werden. Und nicht viele Regisseure haben wie Coppola nach wie vor einen derartigen Status innerhalb der Industrie, um das zu bewerkstelligen.

Denn nur kanonisierte Genreklassiker – oft „Kultfilme“ – haben überhaupt eine Chance, dass noch einmal aufwändig und publikumswirksam Hand an ihnen angelegt wird. Ridley Scott konnte 2007 anlässlich des 25-Jahre-Jubiläums von Blade Runner, von dem längst mehr als ein halbes Dutzend Versionen existieren, mit einem Final Cut aufwarten, im Gegensatz zu Coppola mit einer tatsächlich längeren Version. Am bereits 1992 erschienenen Director’s Cut – meistens ein Vermarktungstrick für eine Fassung, der oft fälschlicherweise die kreative Oberhoheit des Regisseurs behauptet – war Scott hingegen nur am Rande und mit entsprechender Unzufriedenheit beteiligt. Immer schwieriger wird, je älter das entsprechende Werk, überhaupt die Möglichkeit zur Rekonstruktion, und oft müssen Nachlassverwalter und Vertraute anstelle des Regisseurs einspringen. Wie sich etwa der nachträglich angefertigte Final Cut vom Director’s Cut von Sam Peckinahs Pat Garrett & Billy the Kid unterscheidet, wissen nur noch eingeweihte Spezialisten.

Wann ist ein Film nicht als Industrieprodukt, sondern als Kunstwerk – so man ihn im Einzelfall als solches betrachten will – aber nun eigentlich vollendet? Beispielhafte Vergleiche aus anderen Kunstformen helfen da wenig. Kaum ein Autor käme auf die Idee, seinen Roman oder sein Theaterstück nach Jahren noch einmal neu zu montieren, einzelne Kapitel oder Szenen wegzulassen oder zu ergänzen. Die bildende Kunst kennt zwar mitunter die ständige Weiterarbeit am Werk, betrachtet diese aber als Teil eines unabgeschlossenen kreativen Prozesses, etwa durch wiederholtes Übermalen, durch Bearbeitung bis hin zur kompletten Auflösung. Der Film hingegen kann nie fertig sein, weil es ihn in Reinform nie gegeben hat. Er ist – schon immer, aber seit Walter Benjamin gültig – veränderbar, manipulierbar und vor allem reproduzierbar. Es ist kein Zufall, dass Andrej Tarkowskij in seinem Martyrolog den Essay über die Existenz und die Entdeckung der Schönheit von Kawabata Yasunari zitiert, der seine Romane oft in skizzenartigen Fragmenten veröffentlichte: „In dem Augenblick, da der Schreibende den Pinsel niederlegt, nimmt sein Werk ein eigenes Leben an und macht sich selbständig auf den Weg zum Leser. Der Autor sieht dem kraft- und hilflos zu.“ Tarkowskij, für die Filmgeschichte definitiv kein unbedeutenderer Name als Coppola, hatte im Gegensatz zu diesem nicht einmal die Chance, seine Arbeiten nach eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Ganz abgesehen von diversen Schnittfassungen zu diversen Jubiläen.

Was nun angesichts von Apocalypse Now – Final Cut zu sagen ist: Es spielt gar keine so große Rolle, wie Coppola die Schwerpunkte setzt oder einzelne Szenen feinjustiert. Apocalypse Now bleibt die Blaupause des Vietnamfilms, es ist alles da: der Dschungelkrieg, der Medienkrieg, die Drogen, der Rock ’n’ Roll. Die Auflösung der organisierten Maschinerie, Traum und Halluzination. Es ist ein Film, der schon immer umso langsamer geworden ist, je länger er dauert. Doch sein Gewicht bleibt unverändert, es ist im Gegensatz zu dem leichten Patrouillenboot, das sich den Fluss hinaufbewegt, seit vierzig Jahren tonnenschwer. Is this the end, my friend? Man darf man davon ausgehen, dass wenigstens Coppola endlich sein Ziel erreicht hat.