Die Viennale und das Österreichische Filmmuseum präsentieren eine umfangreiche, von Haden Guest kuratierte Retrospektive zum US-amerikanischen „B-Film“ von 1935 bis 1959.
Was für ein Alptraum! Eine arbeitslose Amerikanerin heuert in London als Privatsekretärin bei einer älteren Dame an. Doch gleich an ihrem ersten Arbeitstag verabreicht man ihr Drogen. Als sie auf einem einsamen Anwesen außerhalb Londons wieder erwacht, redet man ihr ein, sie sei die geisteskranke Frau des Sohnes des Hauses. Irgendetwas stimmt hier nicht, die junge Frau will weg, doch hohe Mauern und ein verschlossenes Tor machen sie zur Gefangenen. Ein weibliches Opfer in der Hand einer skrupellosen Familie – daraus machte Joseph H. Lewis 1945 einen furchterregenden, packenden Thriller, in dem die Frau sich immer wieder ihrer Identität vergewissern muss, um nicht verrückt zu werden: My Name Is Julia Ross. Der Film ist ein nur selten gezeigter Klassiker des Film noir. Und er ist, nicht zuletzt wegen der Länge von 65 Minuten, ein B-Film und darum in der Retrospektive der Viennale zu sehen.
B-Film – das klingt zunächst einmal abfällig, negativ, nach zweiter Wahl, nach Ausschussware, nach Müll. Und doch leben wir in Zeiten, in denen das vorangestellte „B“ zwar nicht Qualität, aber Normalität signalisiert. Alles, was nicht den hohen Ansprüchen genügt, wird zum „B“. Doch ist ein „B-Promi“, um einen Begriff aus der allgegenwärtigen Midienwelt aufzugreifen, überhaupt noch ein Promi? Zweifel sind erlaubt. Das Image des B-Films hingegen hat sich längst in sein Gegenteil verkehrt. „B“ – das ist im Kino zu allererst ein Gütesiegel.
Poverty Row
B-Movies, das waren jene nur rund 70-minütigen Low-Budget-Filme, die ab 1935 regulär als kurzer, zweiter Teil eines Doppelprogramms in die Kinos kamen, angereichert mit Trailern, Werbung und Wochenschauen zu einem langen, unterhaltsamen Kinoabend. Der Hunger nach preiswert hergestellter Unterhaltung war in den Depressions-Jahren enorm, Hollywoods große Studios brauchten Nachschub, um ihre Kinoketten mit fortlaufendem Programm zu füllen, und der schöne Widerspruch ist dabei, dass diese Studios sich eigentlich als Kunstfabriken verstanden, die mit aufwändig produzierter Unterhaltung die Menschen ins Kino locken wollten. Der B-Film – das war vor allem ein wirtschaftliches Interesse. Der Profit war zwar gering, das Risiko aber auch, zumal das B-Picture, unabhängig vom Publikumszuspruch, zu fixen Raten gebucht wurde. Als die großen Studios ihr Interesse am B-Movie verloren, sprangen kleine unabhängige Studios in die Bresche, bekannt als Poverty Row oder B-Hive. Die bekanntesten Studios waren Republic und Monogram, doch es tummelten sich zahlreiche andere im Business. Das typische B-Movie entstand mit einem „bargain-basement budget“ (Ephraim Katz), eng gesteckten Zeitplänen, formalisierten Konzepten und Plots, standardisiertem Drehbuch und Regie. Tausende von Filmen müssen so herunter gekurbelt worden sein. Die Kritiker nahmen sie kaum zu Kenntnis, und wenn, dann naserümpfend. Und doch gehört der B-Film unverbrüchlich zur US-Pop-Kultur dazu – auch wenn viele Filme von Emigranten oder namenlosen Regisseuren inszeniert wurden. Die Produzenten hingegen überwachten die Herstellung nur im Vorbeigehen und verließen sich ganz auf ihre Regisseure. Diese wiederum nutzten im Rahmen dessen, was möglich war, ihre Freiheit und schmuggelten so manches Juwel in die Fließbandfabrikation von Filmen. Regisseure wie Jacques Tourneur (in Wien nicht mit seinem Klassiker I Walked with a Zombie, sondern mit The Leopard Man vertreten), Edgar G. Ulmer (Detour), André De Toth (Crime Wave), Irving Lerner (Murder by Contract) und Richard Fleischer (Armed Car Robbery, Narrow Margin) operierten klug und umsichtig innerhalb des Systems und warfen kleine Meisterwerke aus, die sich der Formel verweigerten. Sie setzten ihr Erfindungsgeist und handwerkliches Können entgegen. Manchmal kehrten sie auch mit ungewöhnlichen Ideen zu den Anfängen des Kinos, zum Vaudeville und zum Jahrmarkt zurück, zum Kino der Attraktionen, zum Wunder der ersten Bilder. B-Filmer liebten es ,zu experimentieren, und sie durften es, weil ihnen niemand auf die Finger schaute. Sie suchten nach Neuem und wagten das Ungedachte, ihre Inszenierung war selbstbewusst und anders. Ein schönes Beispiel dafür ist Boris Ingsters Stranger on the Third Floor, 1940 entstanden und darum von einigen Historikern als der erste „wahre“ Film noir angesehen.
Der Film erzählt die Geschichte eines Zeitungsreporters, der in einem Mordfall vor Gericht aussagt, obwohl er die eigentliche Tat gar nicht gesehen hat. Doch dann geschieht ein zweiter Mord, und der Reporter gerät unter Verdacht. Zum ersten Mal ließ sich der Einfluss des deutschen Expressionismus auf den amerikanischen Krimi, der in den dreißiger Jahren so bestimmend war, festmachen, Paranoia und Klaustrophobie werden schon im artifiziellen Set Design und im kontrastreichen Spiel von Licht und Schatten deutlich. Traum und Realität vermischen sich. Höhepunkt ist sicher der ungewöhnlich lange, intensive Alptraum des Hauptdarstellers, der einem förmlich den Boden unter den Füßen wegzieht. Die Kamera führte übrigens Nicholas Musuraca, der später für Val Lewton arbeiten sollte.
Von Sci-Fi bis Western
Selten zu sehen ist auch Among the Living, ein wundervoller Film noir, der 1941 zusammen mit The Maltese Falcon die Welle mitbegründete und bereits ihre wichtigsten Konventionen etablierte. Die Hauptrolle spielt Albert Dekker, der anlässlich der Beerdigung seines Vaters nach vielen Jahren nach Hause zurückkehrt und feststellen muss, dass sein totgeglaubter Zwillingsbruder immer noch lebt und wegen seiner Geisteskrankheit im Keller des Hauses gefangen gehalten wird. Doch nun bricht er aus und fängt an zu morden. Der gesunde Bruder, eigentlich zum Schweigen verpflichtet, setzt nun alles daran, den Psychopathen zu finden. Die noch junge Susan Hayward spielt eine flirtbereite und geldgierige Nymphe, die sich auf eigenartige Weise zu dem Geisteskranken hingezogen fühlt. Frances Farmer, in einem ihrer wenigen Filme, spielt die Frau von Albert Dekker. Die brillante Kamera besorgte der Deutsche Theodor Sparkuhl (1894–1945), der schon für Lubitsch (Madame Dubarry) und Jean Renoir (La Chienne) gearbeitet hatte. Die Szene, in der der Mörder ein verängstigtes Mädchen durch eine düstere Gasse verfolgt, gerät Sparkuhl zu einem Musterbeispiel für die tiefenscharfe Darstellung von Konfusion und Gewalt.
B-Film ist aber natürlich nicht gleich Film noir, der Begriff wird Genre-übergreifend verwendet, von der Science-Fiction bis zum Western. Als schönstes Beispiel läuft in Wien Ride Lonesome von 1959, einen der sieben Filme des sogenannten Ranown-Zyklus, die von Hauptdarsteller Randolph Scott und Harry Joe Brown produziert, von Budd Boetticher inszeniert und zumeist von Burt Kennedy geschrieben wurden. Ein Mann, dessen Frau vergewaltigt und getötet wurde, sucht ihre Mörder. Scott ist der Prototyp des einsamen Helden, der stur an seiner Rache festhält. So wurde er zur Western-Ikone.
Mit dem Untergang des Studiosystems, bedingt durch das Antitrust-Gesetz, war es mit dem B-Movie Anfang der fünziger Jahre eigentlich vorbei. Doch der Wunsch, mit wenig Investitionen einen garantierten Profit einzufahren, ließ einigen Produzenten keine Ruhe, B-Filmfabriken wie Allied Artists, ein Nachfolger von Monogram, und American International Pictures, 1954 gegründet von James H. Nicholson und Samuel Z. Arkoff, kamen auf und agierten an der Peripherie Hollywoods. Ein Regisseur wie Roger Corman, dessen Teenage Doll von 1957 gezeigt wird, lieferte ihnen zu. Später machte er selbst als Produzent von Low-Budget-Filmen von sich reden, der die Karrieren von Francis Ford Coppola, Peter Bogdanovich, Martin Scorsese und Jonathan Demme anschubste. Der B-Film hatte sich da schon verändert, andere Formen der Low-Budget-Produktion kamen auf, bekannt als Exploitation, Schlock oder Trash. In Europa bildete sich mit Beginn der sechziger Jahre ein eigenes preiswert inszeniertes Genre-Kino aus. Und so mag vielleicht der legendäre Ed Wood jr., diese One-Man-Band des unabhängigen, aber, nun ja, missglückten Films, mit seinem noch legendäreren Plan 9 from Outer Space (1959) als letzter B-Film-Regisseur gelten. Wenn Bela Lugosi sein berühmtes „Greetings, my friends“ raunzt und im Studio die Grabsteine wackeln, wird wohl auch im Filmmuseum herzlich gelacht werden.
Literaturtipps
Todd McCarthy, Charles Flynn (Hg.), Kings of the Bs. Working within the Hollywood System, New York 1975
Robin Cross, The Big Book of B Movies or How Low Was My Budget, New York 1981