ray Filmmagazin » Themen » Blick in den Abgrund
Robert Aldrich

Robert Aldrich

Blick in den Abgrund

| Jörg Schiffauer |
Im August jährt sich der Geburtstag von Robert Aldrich zum hundertsten Mal. Ein passender Anlass für einen Blick auf das vielseitige Werk eines Regisseurs, dessen Filme auch Jahrzehnte nach ihrem Entstehen nichts an Kraft und Gültigkeit verloren haben.

Im Mittelpunkt der wunderbaren Retrospektive „John Huston / William Wyler im Dialog mit Frank Capra, John Ford und George Stevens“, die unlängst im Österreichischen Filmmuseum zu sehen war, standen fünf Regisseure, die sich auf jeder Auflistung der Größen aus der Ära des klassischen Hollywood finden würden. Zu den Kandidaten für eine derartige Liste zählen wohl mit einiger Sicherheit auch Alfred Hitchcock, George Cukor, Nicholas Ray, Edward Dmytryk, Raoul Walsh, Howard Hawks, Samuel Fuller, Billy Wilder oder Fred Zinnemann. Der Name Robert Aldrich findet sich dagegen erstaunlicherweise nicht so oft bei derartigen Auflistungen.

An der Popularität seiner Filme kann das nicht liegen, zählen doch Klassiker wie Vera Cruz, Kiss Me Deadly, What Ever Happened to Baby Jane, The Flight of the Phoenix und The Dirty Dozen zu jenem umfangreichen Œuvre, das Aldrich im Verlauf seiner Karriere geschaffen hat. Doch 2012 merkte John Patterson in einem in „The Guardian“ veröffentlichten Text treffend an, Robert Aldrich sei „a wonderful director nearly 30 years dead now, whose body of work is in danger of slipping over the
horizon.“ Es scheint mehr als an der Zeit, sich näher mit einem Regisseur zu befassen, der in seiner Arbeit eine Kompromisslosigkeit an den Tag legte, die sich nicht oft in Hollywood – ein System, das Aldrich übrigens wiederholt kritisch beleuchtete – findet und der nie davor zurückschreckte, die Untiefen menschlichen Verhaltens mit gnadenloser Präzision auszuloten.

Nonkonformist

Der am 9. August 1918 in Cranston, Rhode Island, geborene Robert Aldrich stammte aus einer wohlhabenden Familie. Sein Großvater etwa bekleidete das Amt eines Senators, sein Cousin Nelson Rockefeller war Gouverneur von New York und später Vizepräsident unter Gerald Ford. Aldrich studierte Ökonomie an

der Universität von Virgina, doch anstatt die vorgesehen Banker-Karriere – seine Familie besaß unter anderem Anteile an der Chase Bank – zu verfolgen, entschied er sich für das Showbusiness, was schließlich zum völligen Bruch mit seiner Verwandtschaft, die dafür überhaupt kein Verständnis aufbrachte, führen sollte. Eine zunächst durchaus riskante Entscheidung, begann Aldrich nach seiner Übersiedlung nach Kalifornien doch mit einem kleinen Bürojob bei RKO Pictures.

Bald jedoch fungierte er als Regieassistent und arbeitete dabei mit so prominenten Filmemachern wie Jean Renoir, William A. Wellman, Robert Rossen, Lewis Milestone, Joseph Losey, Abraham Polonsky und Charlie Chaplin (bei Limelight) zusammen. Nach einem kurzen Zwischenspiel beim Fernsehen bekam Robert Aldrich 1953 erstmals die Gelegenheit, eine Spielfilmregie zu übernehmen. Sein Debüt, das im Baseball-Milieu angesiedelte Drama Big Leaguer (immerhin mit Edward G. Robinson in der Hauptrolle) war ein mit recht überschaubaren Mitteln produziertes B-Picture, ebenso seine zweite Regiearbeit World for Ransom im darauffolgenden Jahr.

Der Durchbruch gelang ihm 1954 mit Apache. Burt Lancaster und Harold Hecht, deren gemeinsame Produktionsfirma für das Projekt verantwortlich zeichnete, engagierten Robert Aldrich als Regisseur, was sich als kluge Entscheidung erweisen sollte. Der von Lancaster gespielte Apache Massai widersetzt sich 1886 zunächst der Kapitulation seines Stammes, als Konsequenz soll er mit einigen anderen Apachen ins weit entfernte Florida deportiert werden. Es gelingt ihm jedoch, während der Zugfahrt zu entkommen. Durch die besiedelten Regionen der weißen Amerikaner schlägt er sich in Richtung seiner heimatlichen Region durch. Im Verlauf seiner Odyssee zeigt sich deutlich, welche unüberbrückbare Kluft zwischen der Lebensweise der „modernen“ Zivilisation und jener der Indianer besteht. Als er endlich jenes Territorium, auf dem sich die Reste seines Stammes aufhalten, erreicht, muss Massai erkennen, dass es ein Zurück zu einem traditionellen Dasein nicht mehr geben kann. Nachdem er seine große Liebe geheiratet hat, zieht er sich mit ihr in die Berge zurück, wo er einen einsamen Kampf gegen die US-Armee führt. Als seine Frau schwanger wird, versucht Massai zunächst, ein ruhiges Leben zu führen und sich nur um seine Familie zu kümmern, doch der Konflikt mit den weißen „Eindringlingen“ spitzt sich immer mehr zu – der Apache stellt sich einer Schlacht, von der er weiß, dass er sie nicht gewinnen kann.

Apache verweist auf für die damalige Zeit und das Western-Genre ungewöhnlich deutliche Art und Weise auf den schändlichen Umgang mit den Native Americans. Dass Robert Aldrich die Perspektive der Unterdrückten ins Zentrum stellt, erscheint jedoch als beinahe logische Entwicklung. Bereits als Regieassistent hatte er überwiegend mit dezidierten Proponenten des liberalen Hollywood zusammengearbeitet, die sich immer schon darum bemüht hatten, brisante politische und soziale Themen aufzubereiten. Auch wenn dies manchmal im Rahmen der Produktionsbedingungen des klassischen Hollywood-Systems etwas verklausuliert erfolgte, waren derartige Intentionen doch deutlich erkennbar. Nicht zufällig landeten etliche jener Filmschaffenden auf der berüchtigten „Schwarzen Liste“, die in der McCarthy-Ära auch vor der Filmindustrie nicht Halt machte.

Robert Aldrich sollte es im Verlauf seiner Karriere verstehen, kritische Untertöne in durchaus publikumswirksame Genre-Arbeiten zu verpacken. Apache etwa entwickelte sich nicht nur zu einem Favoriten der Kritiker, sondern auch zu einem veritablen ökonomischen Erfolg. Wobei Aldrich dabei einen Kompromiss eingehen musste, den er noch viele Jahre lang beklagte. Anstelle des versöhnlichen Endes – durch den Schrei des soeben geborenen Kindes von Massai findet das finale Gefecht ein überraschendes und friedliches Ende – sollte der Protagonist eigentlich hinterrücks erschossen werden. Aldrich durfte zwar beide Versionen drehen, doch die radikalere und dramaturgisch eigentlich plausiblere Variante wurde auf Druck der Produzenten fallengelassen.

Der Erfolg von Apache führte unmittelbar zur nächsten Zusammenarbeit von Robert Aldrich und Burt Lancaster, dem Western Vera Cruz, bei dem Lancaster wiederum als Hauptdarsteller und Produzent fungierte. Darin verschlägt es Ben Trane (Gary Cooper), einen ehemaligen Angehörigen der Konföderierten, der im Bürgerkrieg seinen gesamten Besitz verloren hat, nach Mexiko. Dort tobt gerade die Auseinandersetzung der Juaristen mit dem von Frankreich unterstützten Regime des unbeliebten Kaisers Maximilian. Der Ex-Soldat Trane möchte sich als Söldner verdingen, zunächst gleichgültig auf welcher Seite. Eine Absicht, die auch Joe Erin (gespielt von Lancaster), Prototyp des skrupellosen Outlaws, verfolgt, der mit einer Gruppe gesetzloser US-Amerikaner durchs Land zieht. Trane schließt sich ein wenig gezwungenermaßen Erins Bande an, bald schon ergibt sich eine von allen erhoffte Gelegenheit: Der Trupp wird vom Kaiser persönlich beauftragt, eine Aristokratin zu einer Hafenstadt zu geleiten, mitten durch das Gebiet der Rebellen. Eine höchst riskante Mission, deren wahrer Zweck Trane und Erin jedoch nicht lange verborgen bleibt – neben der adeligen Dame befindet sich ein höchst wertvoller Goldschatz in ihrer Kutsche, den sie heimlich außer Landes bringen möchte. Trane und Erin trachten bald danach, die wertvolle Fracht selbst in ihren Besitz zu bringen, ein Ziel, das die so unterschiedlichen Charaktere nötigt, eine fragile Allianz einzugehen.

Ein Western klassischen Zuschnitts, weist Vera Cruz in der Zeichnung seiner Protagonisten die für Robert Aldrichs Arbeiten charakteristischen Züge auf. Vor allem Joe Erin ist eine jener typischen Aldrich-Figuren, die abseits tradierter Wert- und
Moralvorstellungen primär ihrem eigenen, zumeist höchst utilitaristischen Kodex folgen. Aldrichs Charaktere sind keineswegs die üblichen, holzschnittartigen Schurkengestalten sondern Charaktere, bei denen die übelsten Eigenschaften der menschlichen Natur die Überhand gewonnen haben. Im Fall von Joe Erin nimmt sein zynisch gefärbter Nihilismus sogar selbstzerstörerische Züge an. Überhaupt ist der Mangel an Loyalität und Vertrauen ein dominierendes Motiv von Vera Cruz. Ständig wechselnde Allianzen zwischen den Protagonisten und Verrat auf mehreren Ebenen begründen eine Atmosphäre von stetig wachsendem Misstrauen. Der einzige Gegenpol wird von Ben Trane verkörpert, der sich inmitten einer Welt, in der Wertvorstellungen ethischer Art kaum noch Gültigkeit haben, noch so etwas wie einen moralischen Kompass zu bewahren versucht. Trane ist auch eine für Robert-Aldrich-Filme typische Figur, keinesfalls der Typus des makellosen Helden, sondern ein Charakter, der oft durchaus ambivalente Züge aufweist, nicht mit moralischer Erhabenheit agiert – er passt sich durchaus den Gegebenheiten an – aber auch inmitten widriger Umstände Haltung und eigene Grundsätze nicht völlig aufgibt.

Der Erfolg von Apache und Vera Cruz erlaubte es Robert Aldrich, seine eigene Produktionsfirma zu gründen, ein Schritt, der es ihm ermöglichte, sich innerhalb von Hollywoods Verleih- und Studiosystem kreative Freiräume zu verschaffen.

Radikalität

Wie kongenial Aldrich derartige Freiheiten auszunützen verstand, zeigt sich exemplarisch bereits an seinem ersten selbst produzierten Film. Kiss Me Deadly (1955) basiert lose auf einem Roman von Mickey Spillane und erweist sich, was Erzählduktus und Atmosphäre angeht, als Film noir, wie er düsterer nicht sein könnte. Eines Nachts liest Privatdetektiv Mike Hammer (von Ralph Meeker staubtrocken gespielt) mitten auf der Straße eine junge Frau auf, die sich anscheinend auf der Flucht befindet. Ehe er noch ihre Geschichte prüfen kann, wird Hammers Wagen angehalten, er und die Frau von unbekannten Männern verschleppt, offenbar in der Absicht, ihr geheime Informationen zu entlocken. Als dies misslingt, wird die Frau ermordet, Hammer überlebt nur knapp einen fingierten Unfall. Obwohl Hammer auch vonseiten der Polizei klargemacht wird, dass er die ganze Angelegenheit besser vergessen sollte, lässt ihm das Schicksal der jungen Frau keine Ruhe, er beginnt zu ermitteln. Schon bald stößt der Detektiv auf ein Geflecht an höchst unsauberen Machenschaften, in das neben dem organisierten Verbrechen offenbar auch staatliche Stellen verwickelt zu sein scheinen – geht es doch um einen Koffer voll radioaktivem Materials, den alle in ihre Hände bekommen wollen, und zwar um jeden Preis. Kiss Me Deadly ist ein fiebriger Verschwörungsthriller, der die paranoide Atmosphäre im Amerika der McCarthy-Ära kongenial widerspiegelt. Doch inmitten des zeitweilig etwas abenteuerlich anmutenden Plots setzt Aldrich Szenen physischer Gewalt mit einer verstörenden, gnadenlosen Härte in Szene, die Genre-Grenzen weit hinter sich lässt und seinen No-nonsense-Ansatz verdeutlicht – Konflikte haben bei Robert Aldrich zumeist erschreckend ultimativen Charakter.

Mit The Big Knife, den er erneut auch selbst produzierte, beleuchtete Robert Aldrich erstmals höchst kritisch die Praktiken und Mechanismen des Filmgeschäfts im Stil eines Noir-Thrillers. Hauptdarsteller Jack Palance – einer jener Akteure, mit denen Aldrich wiederholt zusammenarbeiten sollte – übernahm auch eine Rolle in dessen nächster Regiearbeit, wiederum von der eigenen Produktionsfirma hergestellt und in mehrfacher Hinsicht ein für Robert Aldrich geradezu prototypisches Werk. Im Mittelpunkt des Kriegsfilms Attack (1956) steht eine Kompanie der US-Army, die sich 1944 irgendwo in Belgien im Einsatz befindet. Doch der größte Feind der Einheit ist nicht Hitlers Wehrmacht, sondern der eigene kommandierende Offizier, Captain Cooney (Eddie Albert), Sohn eines einflussreichen Richters, der den Kriegsdienst nur dazu nützen will, um seinem Vater zu gefallen. Cooney ist jedoch nicht nur inkompetent und feige, sondern auch skrupellos. Immer wieder hetzt er seine Soldaten in höchst gefährliche  Einsätze, um als Truppenführer belobigt zu werden, selbst jedoch hält er sich bevorzugt weitab der Front auf. Zu seinem internen Gegenspieler entwickelt sich der von Jack Palance gespielte Lieutenant Costa, der sich bemüht, das Leben der ihm anvertrauten Männer so gut wie möglich zu schützen. Als Costas Trupp während der Ardennen-Offensive droht, von deutschen Truppen überrollt zu werden und Cooney entgegen seiner ausdrücklichen Zusicherung keine Hilfe schickt, eskaliert die Situation.

Attack ist allein schon deswegen eine höchst bemerkenswerte Arbeit, weil der Film weitgehend von den zur damaligen Zeit üblichen Heldenepen, mit denen Hollywood mehrheitlich die WWII-Einsätze US-amerikanischer Soldaten abzuhandeln pflegte, abweicht. Aldrich verdeutlicht drastisch die Kriegsgräuel, die es den Frontsoldaten verunmöglichen, in dem Ganzen einen Einsatz für eine gerechte Sache zu sehen. Zudem sind die inneren Spannungen nicht nur auf die moralische Verkommenheit eines einzelnen Individuums wie Captain Cooney zurückzuführen, vielmehr ist es das verhängnisvolle Zusammenspiel zwischen Fehlern im System und charakterlichen Defiziten. Denn Cooneys Versagen ist nur möglich, weil dessen Vorgesetzter, Oberst Bartlet (Lee Marvin), ihn immer wieder deckt. Der Oberst weiß zwar um die Schwächen Cooneys, die für seine Truppe lebensgefährlich sind, doch er hofft auf die Unterstützung von Cooneys einflussreichem Vater für seine eigene politische Karriere und hält deswegen wider besseres Wissen seine schützende Hand über Cooney.

Hier kommt jenes tief sitzende Misstrauen gegenüber Institutionen – deren Funktionalität immer durch Schwächen und Bosheit des menschlichen Charakters bedroht scheint – zum Ausdruck, ein immer wiederkehrendes Motiv in Robert Aldrichs Œuvre. Dass Aldrich inmitten der konservativen fünfziger Jahre und auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges tradierte Wertvorstellungen und damit den American Way of Life konsequent in Frage stellte, trug ihm höchste Anerkennung von den jungen wilden Cineasten Frankreichs in den Reihen von „Cahiers du cinéma“ ein, wo kein Geringerer als Jacques Rivette schon 1955 schrieb: „Robert Aldrich achieves harmony through a precise dissonance, the lucid and lyrical description of a world in decay, aseptic, steely, closed in; the chronicle of the final convulsions of what remains human in man in the midst of a purely artificial universe from which nature … has been almost systematically eliminated.“

Dass eine zerfallende Welt Verfall auch auf moralischer und mentaler Ebene nach sich zieht, veranschaulicht Aldrich mit Ten Seconds to Hell (1958). Knapp nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehren sechs deutsche Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft zurück ins zerstörte Berlin. Durch ihre Kriegserlebnisse ziemlich fatalistisch geworden, lassen sie sich für eine höchst gefährliche Aufgabe anheuern. Sie sollen jene Bomben, die nicht explodiert sind und nun laufend in den Schuttbergen der Stadt gefunden werden, entschärfen – ein Himmelfahrtskommando, das jedoch gut bezahlt wird. Doch die Gruppe trifft eine Entscheidung, die sich als fatal herausstellen wird: Man setzt sich ein Zeitlimit, nach dessen Ablauf die gesamte Entlohung unter den Überlebenden aufgeteilt werden soll. Auch wer vorzeitig aussteigt, geht leer aus. Als es tatsächlich die ersten Todesfälle gibt, spitzen sich die Rivalitäten zu, besonders Karl Wirtz (Jeff Chandler) agiert zunehmend rücksichtslos, um sich einen möglichst großen Anteil an der Entlohung zu sichern. Den Kontrapunkt verkörpert ein weiteres Mal Jack Palance in der Rolle des Erik Koertner, wiederum eine jener typischen Aldrich-Figuren, der beinahe resignativ die zunehmende Verrohung der Welt um sich hinnimmt, um schließlich doch zu versuchen, zumindest eine Rest von Anständigkeit zu bewahren.

In The Angry Hills (1959), ebenfalls in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angesiedelt, sind die Charaktere noch ambivalenter und entgegen Genre-Konventionen gezeichnet. Den Kriegskorrespondenten Michael Morrison (Robert Mitchum) verschlägt es 1941 knapp vor dem drohenden Einmarsch deutscher Truppen nach Athen. Er wird gebeten, eine Liste mit den Namen von griechischen Widerstandskämpfern, die bereit wären, für den britischen Geheimdienst zu arbeiten, außer Landes zu bringen. Nur zögerlich und gegen die Zusicherung einer Bezahlung übernimmt der Amerikaner die Aufgabe. Überrascht von der schnellen Invasion der Wehrmacht, muss Morrison in die umliegenden Dörfer fliehen, doch die Gestapo ist ihm bald auf den Fersen, um an die so wichtigen Informationen zu kommen. Doch auch nachdem er Kontakt mit einer Widerstandsgruppe aufnimmt, kann sich Morrison nie wirklich sicher sein, wem er trauen kann und wer auf welcher Seite steht. Die höchst unterschiedlichen Motivlagen, wobei sich idealistische, strategische und private Interessen ständig zu vermengen scheinen, sorgen für eine Atmosphäre permanenter Verunsicherung, die jede Form von heldenhaftem Pathos erst gar nicht aufkommen lässt. Beinahe alle Protagonisten erscheinen als ambivalente Figuren, eine Konsequenz, die Aldrich auch anhand eines hohen Gestapo-Beamten beibehält. Der entspricht zwar dem Typus des mörderischen Pflichterfüllers, hegt jedoch immer wieder Zweifel an seinem Handeln. Am Schluss wird ausgerechnet dieser Scherge jenen Akt des Mitgefühls setzen, der Morrisons Entkommen ermöglicht.

Ein Blick auf Robert Aldrichs Werk weist ihn als höchst vielseitigen Regisseur aus, der die unterschiedlichsten Genres zu meistern verstand. Aldrich ist kein extravaganter Stilist, seine Inszenierungen sind – was den narrativen Modus betrifft – entlang des klassischen Hollywood-Paradigmas in Szene gesetzt. Dabei entwickeln seine Filme jedoch eine atmosphärische Dichte und Energie, die in jedem Kader die Begeisterung Aldrichs für das Filmmachen spüren lässt. Zwar setzt Aldrich erzähltechnisch auf durchaus bewährte Traditionen, doch mit der Intensität seiner Filme und vor allem durch die Abgründigkeit der Charaktere lotet er in vielen seiner Arbeiten immer wieder die Grenzen des Hollywood-Systems aus.

Was die sinistren Züge seiner Figuren angeht, ist What Ever Happened to Baby Jane? (1962) ohne Zweifel ein Höhepunkt in Aldrichs Schaffen. Die titelgebende Jane Hudson hatte als Kinderstar große Erfolge, die jedoch im Erwachsenenalter ausbleiben. Ihre Schwester Blanche hingegen avanciert im Hollywood der dreißiger Jahre zu einem der gefragtesten Filmstars jener Tage, weshalb sie auch dafür sorgen kann, dass Jane, obwohl weitgehend talentfrei, weiterhin besetzt wird. Doch ein Autounfall, an dem die betrunkene Jane (Bette Davis) vermeintlich Schuld trägt und Blanche (Joan Crawford) an den Rollstuhl fesselt, setzt beider Karrieren ein jähes Ende. Zwanzig Jahre später leben die Schwestern immer noch zusammen in einem großzügigen Anwesen, doch als sich Janes Zustand – sowohl psychisch als auch ihren Alkoholkonsum betreffend – verschlechtert, beschließt Blanche, das Haus zu verkaufen und ihre Schwester in einer betreuten Einrichtung unterzubringen. Als Jane jedoch Wind von der Sache bekommt, schottet sie ihre gelähmte Schwester völlig von der Außenwelt ab und beginnt sie – zunächst psychisch, später jedoch handfester – zu malträtieren.

Schon die Besetzung zeigt, dass Robert Aldrich ein Regisseur – und hier auch ein Produzent – war, der das Risiko nicht scheute. Bette Davis‘ Karriere befand sich in einer schwierigen Phase, Joan Crawford hatte sich überhaupt zeitweilig aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Zudem galt das Verhältnis der beiden als einigermaßen problematisch. Inwieweit derartige Spannungen auch tatsächlich bestanden, Robert Aldrich verstand diese geradezu kongenial in kreative Energie umzuwandeln. Besonders Bette Davis verleiht ihrer Figur eine verstörend psychopathische Note, die sich mit dem grotesken Make-up als äußere Manifestation geradezu ins Gedächtnis einbrennt. Die gnadenlose Abgründigkeit des Psycho-Duells, das auch die für Aldrich typischen Ambivalenzen aufweist, ließ Genre-Konventionen weit hinter sich. Baby Jane, dessen Finanzierung Aldrich zunächst vor Probleme gestellt hatte, wurde zu einem großen Erfolg, an den er mit dem Thriller Hush… Hush, Sweet Charlotte (1964, wieder mit Bette Davis in einer der Hauptrollen) anknüpfen konnte.

Mit The Flight of the Phoenix (starbesetzt mit James Stewart, Peter Finch, Hardy Krüger, Ernest Borgnine, Ian Bannen und
Richard Attenborough) wandte sich Aldrich thematisch einem ganz anderen Stoff zu. Im Mittelpunkt stehen die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes, die im Nirgendwo der Sahara gestrandet sind. Weil keine Hilfe von außen zu erwarten ist, müssen die Männer aus den Trümmern der Maschine ein neues Fluggerät basteln, das wie der mythologische Vogel wieder aufsteigen kann. Das Survival-Drama ist präzises, geradliniges Kino klassischen Zuschnitts, das den Kampf ums Überleben mit archaischer Wucht ins Bild rückt, und zählt zu jenen Filmen des Regisseurs, deren Reputation sich erst im Lauf der Zeit festigte.

Zeiten des Aufruhrs

1967 sollte Robert Aldrich mit The Dirty Dozen einer seiner größten kommerziellen Erfolge gelingen. Im Zentrum steht ein gewagtes Unterfangen: Wenige Monate vor der Landung der Alliierten in der Normandie plant die US-Army, der Wehrmacht einen Schlag zu versetzen. Ein Kommandotrupp soll über dem noch besetzten Frankreich mit Fallschirmen abspringen, in ein Schloss, das deutsche Offizieren als Ort zur Entspannung dient, eindringen und so viele von ihnen wie möglich liquidieren. Weil das Unternehmen ein dezidiertes Himmelfahrtskommando ist, sollen zwölf Soldaten, die im Militärgefängnis ihrer Hinrichtung oder langjährigen Haftstrafen entgegensehen, dafür rekrutiert werden, die, militärischer Logik zufolge, ohnehin nichts mehr zu verlieren haben. Das Kommando übernimmt mit Major Reisman (Lee Marvin) ein Offizier, der selbst ständig in Konflikt mit den üblichen Befehlsketten gerät.

The Dirty Dozen ist nicht nur wieder einer jener für Robert Aldrich typischen unheimlich dynamischen, vitalen Filme, er erscheint auch als so etwas wie die Antithese zu der bis dahin in Hollywood gepflegten, überwiegend positiv besetzten Darstellung des US-Militärs im Zweiten Weltkrieg. Die Protagonisten in Aldrichs Inszenierung sind jene typischen Antihelden, die sich der Glorifizierung konsequent verweigern. Zudem herrscht in The Dirty Dozen ein rebellischer Gestus vor, mit dem sich die Protagonisten etablierten, verkrusteten Hierarchien ständig widersetzen und damit jene gesellschaftlichen Strömungen widerspiegeln, die in der Umbruchsstimmung der sechziger Jahre immer deutlicher zutage traten.

Überhaupt griff Aldrich in seinen Filmen vermehrt brisante und oft tabuisierte Themen auf. In The Legend of Lylah Clare (1968) unternimmt er einen Frontalangriff auf die ausbeuterischen Praktiken des Studiosystems in Hollywood, das gnadenlos mit seinen Protagonisten umspringt. Mit beißendem Sarkasmus nimmt Aldrich mit The Killing of Sister George die Scheinwelten und Doppelmoral, die im Showbusiness vorherrschen, aufs Korn. June Buckridge, eine Schauspielerin mittleren Alters, zählt seit Jahren zu den Stars in einer erfolgreichen Seifenoper der BBC. Doch entgegen ihrer Rolle als stets freundliche, verbindliche Mitarbeiterin des Gesundheitswesens ist June – die mittlerweile auch im richtigen Leben von allen mit ihrem Rollennamen George angesprochen wird – eine streitbare Frau mit recht deftiger Sprache, die sich in aller Öffentlichkeit besäuft und in einer lesbischen Beziehung mit einer viel jüngeren Frau lebt. Als ihre Rolle aus der Serie gestrichen werden soll und auch ihre Beziehung vor dem Aus steht, droht die Farce zur Tragödie zu mutieren.

Der Spätwestern Ulzana’s Raid (1972) porträtiert ein letztes Aufbäumen der Apachen gegen die weißen Siedler als eine Art von Guerillakrieg, dessen Härte und Grausamkeiten die Angehörigen der US-Kavallerie, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, zusehends überfordert. Unschwer ist Ulzana’s Raid als verklausulierter Kommentar zum Engagement der USA in Vietnam zu erkennen. Ein Krieg, der auch in dem Thriller Twilight’s Last Gleaming (1977) zum Referenzpunkt wird. Burt Lancaster, der in Ulzana’s Raid als Scout einen typisch lakonischen Aldrich-Charakter verkörpert, spielt hier einen rebellischen General der US-Armee, der mit zwei Helfershelfern einen Stützpunkt mitsamt Atomraketen unter seine Kontrolle bringt. Er fordert, geheime Dokumente – die Anspielung auf die Pentagon-Papiere Daniel Ellsbergs ist deutlich – zu veröffentlichen, die die wahren Hintergründe für die Intervention in Vietnam aufzeigen. Eine kleine Rebellion führt auch der von Burt Reynolds gespielte Ex-Footballstar an, der in The Longest Yard  (1974) eine Gefängnisstrafe absitzen muss. Robert Aldrich schlägt hier einen gelösteren, satirisch unterfütterten Erzählton an, vielleicht auch ein Grund, dass sich The Longest Yard zu einem veritablen
Erfolg entwickelte.

Eine weitaus düstere Grundstimmung herrscht in einer weiteren Zusammenarbeit zwischen Burt Reynolds und Aldrich vor, dem Neo-noir-Krimi Hustle (1975). Reynolds spielt Phil Gaines, einen unkonventionellen Ermittler des Los Angeles Police Department, der mit einer Edelprostituierten (Catherine Deneuve) liiert ist. Die Stimmung unter den Cops schwankt angesichts der stetig steigenden Verbrechensrate zwischen Resignation und blanker Aggression. Der Tod eines jungen Mädchens, der eigentlich bereits als Selbstmord zu den Akten gelegt wurde, lässt Gaines jedoch nicht mehr los. Seine Ermittlungen – angetrieben von dem zusehends verzweifelten Vater der toten jungen Frau – führen ihm den Zerfall einer Gesellschaft vor Augen, die seine Arbeit sinnlos erscheinen lässt. Hustle weist einen ungewöhnlich stark pessimistischen Grundton auf, wobei Aldrichs Inszenierung deutlich auf gesellschaftliche Missstände unterschiedlichster Art verweist. Bemerkenswerterweise spricht Robert Aldrich, prononcierter Vertreter des liberalen Hollywoods, die Probleme des „vergessenen“ Teils der US-amerikanischen Bevölkerung an, und das Jahrzehnte, bevor sich ein berüchtigter Populist des Themas bemächtigte. Dass Aldrich dies analytischer, tiefgehender und vor allem mit Empathie vornahm, sei nur der Ordnung halber angefügt. Dass sich Aldrich wenig Illusionen in Richtung einer positiven Entwicklung machte, wird mit dem Finale von Hustle deutlich. Als Gaines nach Dienstschluss noch rasch in einem Drugstore einkaufen will, gerät er zufällig in einen eher banalen Überfall, der ihn das Leben kosten wird – übrigens ein weiteres Beispiel für jenes „Unhappy End“, das bei Aldrich wiederholt zum Einsatz kommt.

Nach eher schwächeren Filmen wie The Choirboys und The Frisco Kid gelang Robert Aldrich mit der im Wrestling-Milieu angesiedelten Tragikomödie … All the Marbles 1981 ein respektabler Abschluss seiner großen Karriere.

Robert Aldrich starb am 5. Dezember 1983 in Los Angeles.