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Todestag

Der stille Gigant

| Alexandra Seitz |
Zum zehnten Todestag des großen deutschen Charakterschauspielers Frank Giering.

Vor zehn Jahren, am 23. Juni 2010, starb in seiner Berliner Wohnung der Schauspieler Frank Giering. Er war 38 Jahre alt.
Viel zu jung also. Dabei doch alt genug, um mit seinem unseligen Verschwinden eine fette Lücke zu reißen. Über die Jahre hatte Giering mit seiner darstellerischen Arbeit jenen Eindruck geschaffen, der einen nun aufseufzen ließ: Was hätte der nicht noch alles spielen können!? Und vor allem: Wie gerne hätte man das dann gesehen! Welch ein schmerzlicher Verlust also. Eine junge deutsche Schauspielhoffnung, die die in sie gesetzten Erwartungen ein ums andere Mal bestätigt, ja, übertroffen hatte, nur um allzu früh abzutreten und mit sich eine darstellerische Färbung zu nehmen, die in Film und Fernsehen rar ist, dabei doch so notwendig.

Frank Giering war ein Minimalist, vor allem des mimischen Ausdrucks. Mit einem Zucken des Mundwinkels, dem Heben der Augenbraue, der Andeutung eines Lächelns, mit einem Blick konnte er die Sehnsucht abbilden und die unterschiedlichen Richtungen, die diese nehmen konnte: Es zeigte sich in seinem Gesicht dann das Fernweh, oder die zaghafte Zuversicht in die Möglichkeit einer besseren Welt, oder der Wunsch nach Zuneigung, Angenommensein. Jederzeit aufflackern konnte in seinen Augen aber auch die Angst, die Ahnung bevorstehenden Unheils, ein panischer Ausdruck von In-die-Enge-Getriebensein. Und die Härte, mit der sich einer vor dem Verletztwerden schützt.

Im Allgemeinen waren Gierings Figuren eher keine Sonnenscheinchen, die optimistisch in die Zukunft blickten und tatenfreudig in die Hände spuckten. Sie waren vielmehr melancholisch gestimmt, depressiv, suizidal, sie konnten auch passiv-aggressiv, gewaltbereit, brutal sein. Denn so sehr sie auch immer auf der Hut waren, so waren sie doch auch jederzeit bereit, die Mächtigeren, Stärkeren herauszufordern, mit jenem trotzigen Mut, der ins Selbstzerstörerische reicht. Und Angriff ist die beste Verteidigung. Dass das natürlich Quatsch ist, wussten seine Figuren zwar auch, es hat sie aber nur höchst selten von irgendetwas abgehalten. Gerade so, als ob da etwas in ihnen wäre, eine unberechenbare Energie, die sie antrieb auszutesten, wie weit sie gehen können.

Man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen, dann kann es eigentlich nur besser werden. Auch damit kommt man durchs Leben. Zumindest eine Weile.

Geboren wurde Frank Giering am 23. November 1971 in Magdeburg und wuchs dort in der Siedlung Neustädter Feld auf. Mit dem Mauerfall wurde er erwachsen, und erste Bühnen-Erfahrungen sammelte er in seiner Heimatstadt als Komparse am damaligen Maxim-Gorki-Theater; die Ausbildungen aber, die er an der Westfälischen Schauspielschule Bochum und an der HFF in Potsdam-Babelsberg jeweils begann, brach er jeweils auch wieder ab. Nach einer Saison (1994/95) am Staatstheater Cottbus wechselte Giering vor die Kamera und rasch wurde klar, dass dort seine Berufung lag.

Seine feinziselierte Arbeit am Charakter war zu subtil, mit ihr ließ sich nur schwer bis in die Galerie eines Theatersaals projizieren; zum Ausgleich fesselte er die Kamera, die von den dunkelblauen Kraftfeldern seiner Augen von Beginn an geradezu magnetisch angezogen wurde. Dergestalt dass es einem auch mal herzlich egal werden konnte, WEN Frank Giering da eigentlich gerade spielte, weil es so faszinierend war, ihm dabei zuzusehen, WIE er es tat. Oft war es das gleichzeitige Sichtbarwerden von vordergründig Unvereinbarem, das an seiner Darstellung fesselte. Wie in der Kafka-TV-Adaption Das Schloss, in der ihn Michael Haneke 1997 als einen der Gehilfen besetzte, und in der er mit einem unvergleichlichen, aus aufsässig-beleidigt und verletzt-enttäuscht gemischtem Blick beeindruckte. Im selben Jahr noch machte er sich in einer der Hauptrollen im kontroversiellen Cannes-Beitrag Funny Games (gleichfalls Haneke) als ungerührter, dabei fast noch kindlich wirkender Killer über Nacht einem größeren Publikum bekannt. Als Floyd in Sebastian Schippers Freundschaftselegie Absolute Giganten erspielte er 1999 präzise die Verwerfungen im Unschärfebereich zwischen Abschied und Neuanfang. 2002 machte er in der Titelrolle in Christopher Roths Baader Tabula rasa und entwarf den Terroristenführer als Proleten-Popstar mit Kultfigurpotenzial. Und 2004 vergrub er sich in Romuald Karmakars Die Nacht singt ihre Lieder mit derartiger Entschlossenheit in die existenzielle Verzweiflung eines erfolglosen Schriftstellers, dass einem angst und bang um ihn wurde. Wohl nicht ohne Grund.

Giering arbeitete unermüdlich und brachte es in knapp 17 Jahren auf rund 70 Rollen; viel Fernsehen war dabei, und er war auch sonst nicht sehr wählerisch; die fremde Figur vor dem quasi-öffentlichen Auge des Aufnahmeapparats bot wohl mehr Sicherheit als das eigene Selbst im eigenen Leben. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch.