Einer der absoluten Höhepunkte der Viennale steht schon einmal fest: John Carpenter höchtpersönlich wird die diesjährige Ausgabe des Festivals mit seiner Anwesenheit beehren.
Auch wenn es in jüngerer Vergangenheit ein wenig ruhiger geworden ist, was neue Filmprojekte angeht, gibt es keinen Zweifel: Mit John Carpenter macht einer der ganz großen Namen New Hollywoods der Viennale 2016 seine Aufwartung.
Der Werdegang Carpenters ist geradezu prototypisch für jene Generation junger Filmbessener, die ab Mitte der sechziger Jahre die verkrusteten Strukturen des traditionellen Hollywood aufzubrechen begannen und für jene gewaltigen Veränderungen kreativer und ökonomischer Natur sorgen sollten, die bis heute nachwirken. John Carpenter wuchs in Bowling Green, Kentucky, auf, wo er zunächst auch die Universität Western Kentucky besuchte, ehe er sein Studium an der Filmabteilung der renommierten University of Southern California, eine der Kaderschmieden New Hollywoods, begann. Bereits mit seinem ersten Langfilm, einem Projekt, das noch zu Studentenzeiten begonnen worden war, konnte er ungeachtet des lächerlich geringen Budgets von knapp 60.000 Dollar nachhaltig auf sich aufmerksam machen. Dark Star (1974), eine absurde, aberwitzige Science-Fiction-Groteske um die Besatzung eines schrottreifen Raumschiffs, die sich mit einem skurrilen Alien-Haustier und einer zu smarten Bombe herumschlagen muss, fand bald eine Fangemeinde, die dem Film das Prädikat „Kult“ verlieh. Carpenter inszenierte in den folgenden Jahren in schöner Regelmäßigkeit Filme, die allesamt immer noch als herausragende Beispiele für jenes Kino gelten, das den Ruf New Hollywoods begründete. Assault on Precinct 13 (1976), eine kongeniale Paraphrase auf Howard Hawks Rio Bravo, transferiert das Geschehen in das Los Angeles der siebziger Jahre, wo sich eine kleine Gruppe höchst unterschiedlicher Charaktere in einem abgelegenen Polizeirevier vor brutalen Straßengangs verschanzt. Halloween (1978), wiederum mit vergleichsweise schmalem Budget produziert, entwickelte sich nicht nur zu einem finanziellen Überraschungserfolg, die Geschichte um den unheimlichen Killer Michael Myers, der das kleine Städtchen Haddonfield heimsucht war so etwas wie Urvater und Blaupause für ganze Legionen von Slasherfilmen und ist mittlerweile ein populärkultureller Fixpunkt. The Fog (1980), im Kern eine Schauergeschichte traditioneller Art, erwies sich als stilistisch und visuell wunderbar komponierte Arbeit, der Carpenter mit Escape from New York (1981) einen seiner erfolgreichsten und besten Filme folgen ließ. Die grimmige Dystopie eines zusehends autoritär regierten Amerikas in der damals nahen Zukunft von 1997 ist nicht nur virtuoses Spannungskino, mit dem von Kurt Russell verkörperten Protagonisten „Snake“ Plissken entwarf Carpenter auch den Prototyp des zynischen, desillusionierten Antihelden, der mittlerweile im Mainstream-Kino längst seinen Fixplatz hat.
Den vollständigen Text können Sie in unserer Printausgabe lesen.
Der fundamentale Horror
John Carpenter im Gespräch über seine Kindheit im Bible Belt, über „E.T.“ und „The Thing“, über die Invasionsfilme der fünfziger Jahre und seinen Working-Class-Helden in „They Live“.
Interview ~ Andreas Ungerböck
Fangen wir mit Ihrer Kindheit an: Wie war das Leben in Bowling Green, Kentucky? War das typisches „Smalltown America”, wie man es aus vielen Filmen kennt?
Es war ein bisschen anders. Ich wuchs in einer anderen Zeit auf, als „typisch amerikanisches“ Kleinstadtleben wirklich noch möglich war. Das gibt es heute nicht mehr, das ging irgendwann in den sechziger Jahren zu Ende. Die Dinge veränderten sich, für immer, wie sie sich überall auf der Welt verändert haben. Es war eine andere Zeit damals, auch was die Medienkultur betrifft. Das Fernsehen war noch etwas ganz Neues – wir hatten zum Beispiel keinen Fernseher, bis ich zwölf oder dreizehn war. Dafür wurden die Filme im Kino alle zwei, drei Tage gewechselt. Außerdem war Bowling Green vor allem eine landwirtschaftliche Gemeinde.
Liegt Bowling Green im sogenannten „Bible Belt”?
Genau. Das war es, was Bowling Green für mich am meisten prägte. Es gab vor allem fundamentalistisches Denken dort. Andererseits stammten meine Eltern und ich aus dem Staat New York, mein Vater war ein Intellektueller, er hatte einen Doktortitel in Musiktheorie und Kompositionslehre. Wir bildeten so etwas wie eine Insel. Ich war sehr verschieden von den Kindern, mit denen ich in die Schule ging. Ich fühlte mich dementsprechend isoliert, und deshalb ging ich sehr oft ins Kino, das war eine Flucht vor der Welt da draußen … Ich nehme an, dass Themen wie Isolation und Einsamkeit in meinen Filmen mit meinen Erfahrungen in Bowling Green zu tun haben.
Inwiefern hat das religiöse Leben Sie beeinflusst? Man weiß ja, dass etwa Paul Schrader, der in einer streng calvinistischen Umgebung aufgewachsen ist, lange Zeit keine Filme sehen durfte und auch sonst von diesem Umfeld geprägt wurde.
Ganz so war es bei mir nicht. Mein Vater setzte mich diesen Dingen erst aus, als ich ungefähr zehn war. Ich machte das etwa vier Jahre lang mit, aber ich war Atheist und ich bin es geblieben. Als ich in die Kirche ging, es war eine Methodistenkirche, sah ich einen großen Sinn für Gemeinsamkeit, der sehr wichtig war. Die Leute kamen zusammen, das war so weit in Ordnung, aber was da gesagt wurde, damit konnte ich mich wirklich nicht anfreunden. Seit ich diese Stadt und diese Dinge kennengelernt habe, habe ich kein Verständnis für Fundamentalismus – er ist etwas sehr Furchteinflößendes.
Haben die Fundamentalisten das öffentliche Leben bestimmt?
Nein, nicht direkt. Aber wenn jemand glaubt oder gar überzeugt ist, dass es nur eine absolute Wahrheit gibt, mit der sich alles, buchstäblich alles rechtfertigen lässt … Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: In dieser Stadt gab es getrennte Eingänge für Weiße und Schwarze, separate Trinkbrunnen, separate Kinos, separate High Schools. Es waren sehr rückständige, rassistische Menschen dort. Und wenn ich dann diese Nation heute betrachte, stelle ich fest, dass wir genau dahin zurückgekehrt sind: zu einer weißen Überlegenheit, mit Hilfe von weißen Christen. Das macht mir Angst.
Was waren Ihre ersten filmischen Erfahrungen?
Sehr früh habe ich African Queen gesehen, ich glaube das war 1952. Ich war sehr beeindruckt von den Blutegeln auf Humphrey Bogarts Rücken. Damals, ich war ungefähr vier Jahre alt, konnte ich natürlich nicht verstehen, dass das „nur“ ein projiziertes Bild war, und vor allem nicht, wie das funktionierte, das wurde mir erst später bewusst.
Meine erste tiefere Erfahrung mit Film hatte ich bei It Came From Outer Space von Jack Arnold, in 3D. In der Anfangssequenz sieht man ein Raumschiff vom Himmel kommen, und durch den 3D-Effekt flog es wie aus der Leinwand heraus und explodierte direkt in meinem Gesicht. Es war wie ein Schock: Eben war dieses Ding noch auf der Leinwand, und dann war es plötzlich zum Greifen nah vor mir. Ich sprang auf und lief verstört nach Hause. Etwas später dachte ich in Ruhe darüber nach und sagte mir: „Warte mal, das ist doch das Größte, das du je gesehen hast!“ Diese Erfahrung mit dem physischen Objekt Film war unwahrscheinlich tief. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, als ich mich in das Kino verliebte. Total. Das war natürlich keine intellektuelle Überlegung, es war einfach … wow!
Welche Filme haben Sie sonst noch beeinflusst?
Forbidden Planet hatte sehr viel damit zu tun, dass ich Regisseur werden wollte, das muss etwa 1956 gewesen sein. Und etwa zur gleichen Zeit sah ich auch diesen Roger-Corman-Film It Conquered the World, ein typischer „Corman-Quickie“, mit diesem Gurkenmonster von der Venus, das sich in einer Höhle versteckt. Fast alle kommen um, ein ziemlich trostloses Ende, das zeigte, was passieren würde, wenn wir uns nicht gegen die Eindringlinge wehren. Heute sehen wir das anders, natürlich, aber damals war es nicht so einfach zu konsumieren: Alle Charaktere des Filmes starben, ganz anders als in den traditionellen Hollywood-Filmen, die man sonst zu sehen bekam.
Das vollständige Interview können Sie in unserer Printausgabe lesen.
Das Interview fand am 21. August 1991 in John Carpenters Büro auf dem Warner-Studio-Gelände in Burbank, Kalifornien, statt.
Die Viennale-Gala von „They Live“ mit anschließendem Gespräch findet am 2. November um 21 Uhr im Wiener Stadtkino im Künstlerhaus statt.
Am 3. November um 20 Uhr spielt John Carpenter mit seiner Band in der Wiener Stadthalle F seine „Lost Themes“.