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Patton

Dossier 1970

Ensemble vs One-Man-Show

| Oliver Stangl |
1970 brachte Twentieth Century Fox zwei US-Kriegsfilme in die Kinos, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Franklin J. Schaffners „Patton“ und Robert Altmans „MASH“. Ein Vergleich von traditionellem und neuem Hollywood.

„Now I want you to remember that no bastard ever won a war by dying for his country. He won it by making the other poor dumb bastard die for his country.“ Patton (1970)

Hot Lips: „I wonder how such a degenerated person ever reached a position of authority in the Army Medical Corps.“ – Father Mulcahy: „He was drafted.“ MASH (1970)

Zu Beginn gleich eine Ergänzung des Vorspanns: Neben Altmans MASH und Schaffners Patton veröffentlichte Fox 1970 auch den Kriegsfilm Tora! Tora! Tora! (Richard Fleischer, Toshio Masuda, Kinji Fukasaku), doch dieses Epos wird hier außen vor gelassen, da es trotz des unkonventionelles Einsatzes eines US-japanischen Teams in künstlerischer Hinsicht weniger relevant ist. Also ab ins Getümmel: Ende der sechziger Jahre war New Hollywood relativ frisch, der Vietnamkrieg im Gang, die Jugendbewegung demonstrierte gegen Krieg und für Love and Peace – und an den Kinokassen waren Kriegsfilme große Erfolge. Das Studio Twentieth Century Fox, das gerade von Darryl F. Zanuck übernommen worden war, wollte mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Koreakrieg Geld machen. An den Kassen konnten damals auch beide Werke reüssieren, doch das mit dem Zeitabschnitt war so eine Sache: Während Patton ein lupenreines, in der ersten Hälfte der 1940er Jahre spielendes Biopic war, zielte der subversive Robert Altman auf einen kontemporären Kommentar ab: „The studio was very edgy about the Vietnam War, nobody knew what position to take on it“, so der Regisseur im Audiokommentar zum Film. Offiziell spielte MASH (und die Romanvorlage von Richard Hooker) zwar im Korea der fünfziger Jahre, doch Altman war bemüht, so gut wie jede Anspielung darauf zu unterdrücken – die Zuseher sollten bei den respektlosen „Abenteuern“ der zum Kriegsdienst eingezogenen Ärzte bewusst an den Vietnamkrieg denken. Fox hatte also sowohl ein ernsthaftes Kriegsdrama als auch ein satirisches Anti-Kriegs-Statement im Köcher.

Ein extremer Unterschied zwischen den Filmen ist zunächst einmal der Umgang mit den Figuren. Patton war ganz auf den brillanten Hauptdarsteller George C. Scott zugeschnitten, der den umstrittenen US-General George S. Patton (1885–1945) womöglich noch größer erscheinen ließ als dieser im Leben war: Der Mann, der als Pentathlet an den Olympischen Spielen 1912 teilgenommen hatte, in seiner Freizeit Gedichte schrieb, sich für die Wiedergeburt von Kriegern früherer Jahrhunderte hielt und im Zweiten Weltkrieg in Nordafrika und Europa im Einsatz war, ist das unumstrittene Zentrum des Films. Das Drehbuch von Francis Ford Coppola und Edmund H. North entwirft denn auch genüsslich überlebensgroße Szenen, die von den Widersprüchen eines Mannes zwischen Temperamentsausbrüchen, der Sucht nach Ruhm und taktischer Schläue erzählen. Patton ist somit das überhöhte Porträt einer Figur, die für das, was sie tut, brennt: Kriegführen. Berühmt geworden ist vor allem die Eröffnungsszene, in der Patton seine Soldaten vor dem Hintergrund einer gewaltigen US-Flagge auf den Krieg einschwört und erklärt, warum Amerika Niederlagen nicht toleriert. Allein diese Szene dürfte Scott, der dem realen Patton schon rein äußerlich durchaus ähnlich kommt, zum Oscar-Favoriten gemacht haben: Hier kann man das Charisma geradezu greifen. Scott beschränkte sich für die Darstellung übrigens nicht auf eine Imitation und verzichtete darauf, die relativ hohe Stimme Pattons nachzuahmen: Sein raues Timbre impfte der Figur natürliche Autorität ein. Der als eigenwillig bekannte Schauspieler wollte die Eröffnungsszene ursprünglich nicht drehen, da er dachte, sie würde den Rest des Films überstrahlen. Besagte Rede hat tatsächlich stattgefunden, wurde allerdings von den Drehbuchautoren bearbeitet – und ironischerweise sogar entschärft. Coppola war jedenfalls der richtige Mann für den Skript-Job, denn Monologe von überlebensgroßen Figuren brachten ihm 1972 mit The Godfather ja bekanntlich enormen Erfolg ein (in diesem Film findet sich übrigens gleich zu Beginn eine Parallele zu Patton, wenn eine Figur über ihre eigene Idee von Amerika spricht).

Patton-Regisseur Franklin J. Schaffner (1920–1989) hatte in seiner Karriere immer wieder bewiesen, dass er auch für ungewöhnliche Themen zu haben war, beispielsweise in The War Lord (1965), der die Zeit der Normannen realistischer und härter zeigte als damals in Hollywood üblich und, natürlich, mit dem dystopischen Hit Planet of the Apes (1968). Bilderstürmer war Schaffner aber definitiv nicht, seine Inszenierungen sind klassisch und episch. Sein Credo formulierte er 1967 gegenüber der „Los Angeles Times“ wie folgt: „As you mature you learn that the story is the most important thing.“

Robert Altman (1925–2006), der seine Wurzeln wie Schaffner beim Fernsehen hatte, setzte dagegen auf damals noch unbekannte Schauspieler (darunter Donald Sutherland, Elliott Gould, Robert Duvall, Sally Kellerman), die gleichberechtigt nebeneinander agieren, und eine episodische Struktur. Mit MASH demonstrierte der unkonventionelle Filmemacher erstmals seinen Ensemble-Stil, für den er später berühmt werden sollte: überlappender Dialog, bei dem man auch mal was überhört, dokumentarisch anmutender Zoom, das Vermeiden von allzu ästhetischen Bildern und ein kritischer Blick auf die Gesellschaft. Die Charaktere waren Alltagsfiguren, die sich mit schwarzem Humor gegen den Wahnsinn des Krieges zur Wehr setzten. Wie ungewohnt Altmans Methoden – der erst engagiert wurde, nachdem 15 Regisseure das Projekt abgelehnt hatten – waren, lässt sich übrigens am Umstand erkennen, dass sich Sutherland und Gould beim Studio beschwerten: Altman würde durch seine Art der Regie ihre Karrieren gefähren. Sutherland, viele Jahre später in einem Making-of: „We thought that Bob should probably be put in a institution for the mentally unbalanced.“

Sauberer Krieg, schmutziger Krieg
Auch das Budget der Filme unterschied sich enorm: Während der kostspielige Patton mit großem logistischen Aufwand in sechs Ländern (darunter Spanien und Marokko) gedreht wurde, entstand MASH auf einem Studiogelände in Kalifornien. Altman wollte eine Kameradschaft unter den Schauspielern erreichen, und so wohnten diese zum Teil sogar in den aufgestellten Lazarett-Zelten. „It was a very crazy camp. It was a very mad set. Robert Altman allowed us to be foolish“, erinnerte sich Schauspieler Tom Skerritt, der die Rolle des Duke spielte. Zusätzlich war der Drehort kurz zuvor von Sturm und Regen verwüstet worden und sah so durchaus ein wenig nach Dschungellandschaft aus. Altman: „We did everything to diffuse this and make it dirty“. So ließ Altman seinen Kameramann Harold E. Stine Nebelfilter einsetzen, um das Bild noch verwaschener wirken zu lassen. Die Strategie des Regisseurs war es, unter Budget zu bleiben und keine große Aufmerksamkeit der Studio Executives auf sich lenken, um mit dem Film sozusagen davonzukommen; ein Verbündeter war Produzent Ingo Preminger, der Altman stets unterstützte. Doch ganz ohne Aufmerksamkeit ging es nicht, wie Altman im Audiokommentar weiter ausführt: Die Studiobosse hätten die Dailies des Films gesehen und kommentiert, dass die Soldaten zu dreckig wirken würden. Die Order: Die Uniformen sollten sauberer erscheinen. Als beide Filme zur Hälfte abgedreht waren, erfuhr Altman, dass das Studio die Patton-Crew in Spanien angerufen und kritisiert habe, dass die Soldaten in Patton zu sauber wirkten …

Während Patton sein Budget nicht versteckt und in seiner umfangreichen Laufzeit von 170 Minuten ausführliche Kriegsszenen (ein eindrucksvoller Aufwand in Zeiten lange vor CGI) präsentiert, werden die Verluste an Menschenleben allerdings eher zahm dargestellt: Gewiss, man sieht viele Soldaten fallen, allerdings so gut wie kein Blut. Bei MASH gibt es im Gegenzug keine Kriegsszenen zu sehen, allerdings extrem viel Blut im Operationssaal (Altman gab Anweisung, die Farbe des Blutes so realistisch wie möglich zu gestalten) – und dazu machen die Ärzte einen Witz nach dem anderen. Als Hawkeye beispielsweise gerade eine Amputation vornimmt, bittet er eine Schwester, ihn an der Nase zu kratzen, was er dann auch so richtig genießt. Nicht nur der Krieg wird hier kritisiert, auch die Institution Armee an sich – Obrigkeitshörigkeit und Patriotismus ohnehin. Die OP-Szenen wären übrigens fast geschnitten worden, da das Studio zunächst der Ansicht war, man könne sie dem Publikum nicht zumuten. Als sich Zanuck mit seiner Freundin und einem befreundeten Paar allerdings den Rohschnitt ansah, waren es gerade die Frauen, die meinten, dass diese Szenen unbedingt im Film bleiben müssten, da sie das Herz von MASH bilden würden. Zanuck vertraute dem Gefühl der jüngeren Generation, und die Szenen blieben im Film. Apropos Schnitt: Die Idee für die zahlreichen Lautsprecherdurchsagen, die den Film gliedern, kam Altman erst ganz am Ende, als es daran ging, den Film zu schneiden.

Exzentrisch-bizarren Humor hat Patton stellenweise auch zu bieten, was dann so gut wie immer an der schillernden Titelfigur liegt: So beobachtet der General während des Afrikafeldzugs mit dem Feldstecher, wie seine Panzer die Nationalsozialisten immer mehr zurückdrängen und brüllt dabei begeistert: „Rommel, you magnificent bastard! I read your book!“ (eine Anspielung auf ein Buch über Taktik, das der Deutsche nach dem Ersten Weltkrieg herausgebracht hatte). Als Patton später jedoch erfährt, dass der „Wüstenfuchs“ zum Zeitpunkt der Schlacht Afrika bereits verlassen hatte und er sich mit einem unbekannten General „duellierte“, ist seine Enttäuschung grenzenlos – sieht er sich doch sozusagen um den Ruhm gebracht.

Obwohl MASH eine schwarze Satire ist und Patton auf den ersten Blick „realistischer“ erscheint, hat ersterer Film doch den berühmten Altman-Touch von Naturalismus zu bieten. Die Figuren in dieser Satire wirken durch die Art der Inszenierung „relatable“, wie der Ami sagt. Patton erscheint am ehesten in den Szenen mit seinem Freund General Omar Bradley (Karl Malden; der reale Bradley fungierte als militärischer Berater während der Kampfszenen) nahbar: „I have a lot of faults, Brad. But ingratitude is not one of them. I owe you a lot. Hell, I know I’m a primadonna. I even admit it.“

Glaube, Liebe, Vaterland
In MASH greifen die Ärzte zu Sex, Alkohol und Streichen, um dem Wahnsinn – für Altman das heimliche Thema des Films – zu entgehen. In Patton wird dieser Wahnsinn indirekt thematisiert: Der General besucht, historisch verbürgt, verwundete Soldaten in einem Lazarett und sieht einen jungen Mann, der äußerlich keinerlei Verletzungen aufweist. Als der Soldat auf Nachfrage angibt, kriegsbedingt unter Schock zu stehen, ohrfeigt ihn der General und meint, dass dieser nichts unter den anderen, den verwundeten Helden verloren habe. Patton musste sich für diesen Übergriff entschuldigen. Und dann ist da noch die Sache mit dem Glauben: Der historische Patton ließ 1944 während der Belagerung von Bastogne ein eigens verfasstes Gebet an die Soldaten verteilen, in dem diese für besseres Wetter beten sollten – ein Umstand, der sich auch als Filmszene wiederfindet.

MASH dagegen unterlässt keine Gelegenheit, gegen Religion zu wettern: Zunächst wird Frank Burns (Robert Duvall) von Hawkeye (Donald Sutherland) und Trapper (Elliott Gould) wegen seiner bigotten Art nach Strich und Faden verarscht und schließlich, nachdem eine Affäre des scheinheiligen Arztes aufgeflogen ist, so lange provoziert, bis er Hawkeye zusammenschlägt – und in Zwangsjacke von der Militärpolizei abtransportiert wird. Richtig legendär ist aber jene Szene geworden, in der Zahnarzt „Painless Pole“ (John Schuck) – der ein einziges Mal im Bett versagte, deshalb latente Homosexualität an sich vermutet und Selbstmord begehen will – „verabschiedet“ wird: Altman stellte für diese Szene Leonardos berühmtes „Letztes Abendmahl“ nach („Painless“ feiert übrigens Wiederauferstehung, nachdem man ihm eine Frau in den „Sarg“ legt). Konservative Kritiker verdammten die Respektlosigkeit Altmans gegenüber religiösen Gefühlen, zudem war MASH, welch ein Skandal, einer der ersten Studiofilme, in denen das Wort „fuck“ zu hören war.

Die junge Generation allerdings liebte den Spirit dieses Films und machte MASH im Erscheinungsjahr zum dritterfolgreichsten Film des Jahres in Nordamerika. Patton folgte auf Platz vier der Liste (Tora! Tora! Tora! nahm Platz acht ein, Mike Nichols’ für Paramount gedrehte Kriegssatire Catch-22 Platz neun; insgesamt also vier Kriegsfilme unter den ersten zehn, wenn man David Leans Ryan’s Daughter auf Platz sieben nicht als Kriegsfilm wertet). Bei den Kritiken zu Patton stand die schauspielerische Tour de Force Scotts im Mittelpunkt, wobei vereinzelt auch angemerkt wurde, dass die zweite Hälfte des Films repetitiv sei und zu wenig historischen Kontext für einzelne Entscheidungen der Hauptfigur zur Verfügung stellen würde.

Renommee gab es jedenfalls für beide Filme: Sowohl MASH (der bereits 1970 die Goldene Palme in Cannes holte) als auch Patton wurden 1971 oscarprämiert. Interessanterweise waren die Triumphe nicht ungetrübt: George C. Scott lehnte den Hauptdarsteller-Oscar schlichtweg ab, weil er sich nicht in Konkurrenz mit anderen Schauspielern fühlte (weitere sechs Statuetten gab es u. a. für den Besten Film, die Beste Regie und das Beste Originaldrehbuch). Wer weiß, vielleicht hätte diese Art  von „Rebellentum“ dem General gefallen – andererseits: Würde dieser nach Ruhm strebende Mann einen Orden abgelehnt haben?

Und im Fall von MASH wurde ausgerechnet Drehbuchautor Ring Lardner Jr. (für das Beste adaptierte Drehbuch) prämiert, der den Film nicht besonders mochte, weil Altman und Ensemble sich nicht wirklich an sein Skript gehalten hatten, sondern es eher wie eine Art von Jazzpartitur verwendeten. Dass der „Old school“-Autor Lardner, der die Verfilmung initiiert hatte, über den „laxen“ Umgang mit dem Drehbuch enttäuscht war, tat Altman übrigens aufrichtig leid, vor allem, weil der Autor als einer der „Hollywood Ten“ in der McCarthy-Ära einige Jahre mit Berufsverbot belegt worden war.

Während Patton eher kein großes populärkulturelles Phänomen wurde (mit Ausnahme der gelegentlich zitierten bzw. parodierten Eröffnungsszene), war dies bei MASH anders: Nicht nur war der Film die Inspiration für zwei lang laufende Fernsehserien (MASH, 1972–1983, und Trapper John, M.D., 1979–1986), das Filmlogo fand sich in den siebziger Jahren auch auf vielen T-Shirts wieder. Mehrfach gecovert, darunter von Marilyn Manson, wurde auch das brillante Titellied „Suicide Is Painless“, in dem die fröhliche Musik von Johnny Mandel und der zynische Text des damals 14-jährigen Altman-Sohns Mike einen makaberen Kontrast ergeben. Dass Fox heutzutage noch einen derart respektlosen Film produzieren würde, ist eher unwahrscheinlich – das Unternehmen wurde 2019 vom familienfreundlichen Disney-Konzern geschluckt. Allein die vielen bewusst geschmacklosen Witze würden wohl einen Shitstorm sowie Zensurrufe seitens der politisch korrekten Meute auslösen.

Bleibt noch, die Filmenden zu zitieren: Patton endet mit einem Monolog des Generals (der Ende 1945 an den Folgen eines Autounfalls starb), in dem dieser über Triumphzüge der römischen Feldherren sinniert: „A slave stood behind the conqueror, holding a golden crown and whispering in his ear a warning that all glory is fleeting …“

Und in MASH sagt der von Bobby Troup gespielte Staff Sergeant Gorman: „Goddamn army.“