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Filmkritik

Mauthausen – Zwei Leben

| Jörg Schiffauer |
Stimmen aus der Hölle

Elf Jahre war Franz Hackl alt, als Österreich durch den Einmarsch von Hitlers Wehrmacht an Nazi-Deutschland „angeschlossen“ wurde. Und wie viele andere in diesem Land empfand er dies als einen Grund zur Freude. Er habe mit Gleichaltrigen die Soldaten der Wehrmacht mit Blumen empfangen, erklärt Hackl ganz offen. Seinem Vater habe das schon damals nicht gefallen, und auch sein naiver Blick auf den Nationalsozialismus begann ein anderer zu werden, als die jungen Männer aus seinem Heimatort, dem in Oberösterreich gelegen Städtchen Mauthausen, zur Wehrmacht eingezogen und sich knapp eineinhalb Jahre nach dem „Anschluss“ mit der Invasion Polens mitten im Zweiten Weltkrieg wiederfanden.

Der 1922 geborene Stanislaw Leszczynski bekam die Barbarei des nationalsozialistischen Regimes vom ersten Moment an zu spüren. Die jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt Lodz wurde in einem Ghetto zusammengepfercht. Leszczynskis Mutter konnte sich nur unter Lebensgefahr hineinschleichen, um als Hebamme dringend benötigte Hilfe zu leisten. Weil sich einer seiner Brüder einer Widerstandsgruppe angeschlossen hatte, geriet die Familie ins Visier der Besatzer und wurde in Konzentrationslager deportiert, Stanislaw in jenes nach Mauthausen.

Simon Wieland, der sich in dokumentarischen Arbeiten wie Nemci ven – Deutsche raus, Heil Hitler – Die Russen kommen und Unser Kampf mit zeitgeschichtlichen Themen und deren Auswirkungen auf die individuelle und kollektive Psyche befasst hat, nimmt sich nun zweier Schicksale an, die in einem entscheidenden – und zugleich dem finstersten – Abschnitt ihres Lebens in dem titelgebenden Ort zusammengeführt werden – auch wenn sie sich nie begegnet sind. Wieland vertraut dabei auf die Kraft der Oral History, indem er über weite Strecken seines Dokumentarfilms die beiden hochbetagten Protagonisten ohne intervenierenden Kommentar Zeugnis ablegen lässt.

Franz Hackl sah als Schlosserlehrling in einem Betrieb, in dem auch KZ-Häftlinge arbeiten mussten, welchen Grausamkeiten sie ausgesetzt waren. Da habe er begriffen, dass die Verbrecher nicht jene gewesen sind, die im Lager eingesperrten waren, wie er mit immer noch sichtbarer Erschütterung berichtet.

Stanislaw Leszczynskis Schilderungen der tagtäglich in Mauthausen und dessen Außenlager Gusen vorherrschenden Brutalitäten, machen deutlich, in welcher Hölle die Häftlinge sich befanden. Besonders beklemmend wirkt dabei, dass Leszczynski von der polnischen in die deutsche Sprache wechselt, wenn er von den Unmenschlichkeiten erzählt –  die Sprache der Täter scheint dem beeindruckenden alten Herrn, der 2017 unmittelbar nach den Dreharbeiten verstarb, das  Mittel, um das Ausmaß der Barbarei adäquat zu vermitteln. Der Tod, schreibt Paul Celan in seinem Gedicht „Todesfuge“, ist ein Meister aus Deutschland – und er hatte eifrige österreichische Gehilfen.