Seit Anfang dieses Jahres ist Katharina Albrecht-Stadler neue Geschäftsführerin der Akademie des Österreichischen Films. Sie bringt unter anderem ihre langjährige Erfahrung im Film vermittelnden und fördernden Verein EU XXL FILM mit. Ein Gespräch über die Unersetzlichkeit des Kinos, die Wichtigkeit von Filmpreisen und Zusammenhalt, die politische Komponente und über neue Formate der Akademie.
Worin sehen Sie die aktuell dringendsten Aufgaben der Akademie und Ihre persönlich dringendsten? Wie werden Sie Ihre zehnjährige Tätigkeit bei EU XXL FILM in Ihre Arbeit einfließen lassen — Stichworte Vermittlung und Niederschwelligkeit?
Katharina Albrecht-Stadler: Meine dringendste Aufgabe in der Akademie in dieser schwierigen Zeit ist es, ein positives Signal für die Kinobranche zu senden, auch in die breite Öffentlichkeit, und zu sagen: Kino ist erstens wichtig, und zweitens lebt es weiter. Wir genießen gerade alle die Vorzüge der VoD-Plattformen, aber über ein echtes Kinoerlebnis geht nichts. Das reale, mit Freunden gemeinsame Kinoerlebnis, das einen noch viel mehr in den Film eintauchen lässt als zu Hause. Insofern bin ich auch sicher, dass das weiterleben wird, kann und muss. Es ist ganz wichtig, dafür zu sorgen, dass es für die Kinobranche genug Unterstützung gibt. Deswegen ist es mir eine große Freude, dass wir entschieden haben, den Filmpreis stattfinden zu lassen. Dass wir ihn in den Sommer verlegt haben, und es hoffentlich möglich ist, wirklich Gäste zu empfangen und eine schöne Gala zu machen, um damit eben diese Signalwirkung für die Kinobranche zu haben. Wir haben genauso viele Einreichungen wie in den letzten Jahren, was toll ist.
Für mich geht es in erster Linie darum, unseren Mitgliederstamm zu pflegen und neue Mitglieder dazuzugewinnen. Ihnen die Plattform zu bieten, die die Akademie sein sollte. Durch die Zusammenarbeit mit den Medien wiederum wollen wir den Fokus noch mehr auf die Kinobranche lenken. Auf die Filmschaffenden, und nicht nur auf die, die vor, sondern auch auf die, die hinter der Kamera stehen. Denn Film ist nun mal Teamarbeit, da gehören so viele Sektionen dazu. Ein Teil meiner Arbeit wird auch darin liegen, dass Drehbuch, Kamera, Schnitt, Szenenbild, Kostüm, Tongestaltung, Musik, Maske, Casting, … eben auch gesehen werden.
Gibt es schon erste Ideen für neue Impulse oder Veranstaltungen?
Katharina Albrecht-Stadler: Mit den Akademiegesprächen habe ich ein neues Format begonnen, das niederschwellig ist. Dazu werden unsere Mitglieder, aber auch unsere Netzwerkpartner eingeladen und zu Worte kommen, wie jetzt im ersten Gespräch Alexander Dumreicher-Ivanceanu und Markus Deutsch von der WKO, die ihr neues Investitionsprämien-Modell vorstellen. So würde ich gerne weitermachen und solche Informationsveranstaltungen anbieten. Das ist etwas, was ich bei EU XXL die letzten zehn Jahre gemacht habe, und ich finde, dass das auch ein Teil des Filmschaffens ist. Das eine ist der kreative Prozess, aber damit dieser kreative Prozess funktioniert, müssen eben auch ganz viele andere Dinge funktionieren. Es muss faire Arbeitsbedingungen geben, es muss der Blick auf Geschlechtergerechtigkeit geworfen werden und so weiter. Ich glaube, da kann man für unsere Mitglieder durchaus noch einiges an Informationen und Hilfestellungen zur Verfügung stellen. Außerdem planen wir gerade einen Jugend-Kinoclub, der nennt sich Lei(n)wand Kino Club und kommt aus der Zusammenarbeit mit dem Young Audience Award. Der findet einmal im Jahr statt, Jugendliche aus ganz Europa prämieren den besten europäischen Jugendfilm. Da machen wir schon seit Jahren mit, es kommen viele Jugendliche, schauen sich die Filme an, und danach bieten wir mit Medienpädagogen und Filmschaffenden Workshop-Runden an. Daraus ist die Idee entstanden: Warum machen wir das nicht einmal im Monat? Warum bieten wir nicht österreichweit einen Jugendclub, der eben auch online funktioniert, stellen einen im besten Fall österreichischen Film vor und bieten Workshops für Film- und Medienanalyse, Medienvermittlung an? Wir wollen junges Publikum heranbilden, das neue, nächste Kinopublikum, das sich nicht nur dem amerikanischen Mainstream widmen soll. Die Dohnal ist ein super Beispiel, so ein toller Dokumentarfilm. Ich habe ihn mit meiner Tochter und meiner Mutter gemeinsam geschaut – drei Generationen von Frauen – und wir mussten alle zehn Minuten pausieren, weil wir so viel diskutiert haben. Das ist Filmvermittlung at its best, wenn man in der Familie so etwas schaut und darüber redet. Wir kamen dann auf alle möglichen Themen und meine Tochter fragte oft, „Wie war das damals?“, „Wie war das bei dir?“ Das war wirklich toll.
Der Österreichische Filmpreis wird heuer erst im Juli verliehen. Hat diese notgedrungene Terminabweichung vielleicht Zukunft, den Termin Ende Jänner generell abzulösen? Und planen Sie, die jährliche Rotation zwischen Wien und Grafenegg beizubehalten?
Genau, 2022 wird es wieder in Grafenegg sein, aber auch da noch einmal im Sommer, sonst liegen die beiden Filmpreise zu nah beieinander. Ich will mich jetzt noch nicht festlegen, ich finde einen Sommertermin auch charmant, weil man da ja auch das Draußen hat. Dieses Jahr sind wir das erste Mal im Globe Wien in der Marx Halle, wo man auch rausgehen kann, es gibt einen großzügigen Eingangsbereich. Auch für den Abend der Nominierten, der immer ein paar Tage vorher stattfindet, ist das schön, wenn es im Sommer ist. Es gibt gute Gründe für den 30./31. Jänner, und es gibt gute Gründe für den Sommer. Jetzt schauen wir uns einfach mal an, wie sich das entwickelt. Viele unserer Mitglieder spielen halt in den Sommertheatern, dann gibt’s natürlich auch viele, die im Sommer drehen, das könnte ein Problem sein.
Provokant gefragt: Sind nationale Filmpreise überhaupt jährlich notwendig? Wo verorten Sie, abgesehen von den Preisen, Möglichkeiten und Ansätze, die heimische Filmbranche zu fördern und ihr mehr Öffentlichkeit zu bringen?
Zum einen: Auf jeden Fall ist das notwendig. Das Filmschaffen ist umfangreich, wir sprechen immer von mindestens 40 eingereichten Langfilmen und dann noch mal 15-20 Kurzfilmen. Wie soll man dem gerecht werden, wenn man das nur alle zwei Jahre macht? Außerdem ist der Filmpreis auch ein wichtiger Event in der Kulturlandschaft geworden, weil er fokussiert ins Bewusstsein rückt, was es alles gab. Die Leute kommen auf die Bühne, und eben auch jene, die hinter der Kamera arbeiten. Das finde ich extrem wichtig. Das sieht man auch in anderen Ländern, das schwappt über: Man hört, wer den César hat, wer den Goya, die Lola. Das breite Publikum wendet sich einmal vom großen Mainstream ab und sieht, was im heimischen Kinomarkt los ist. Ich habe das Gefühl, dass diese Filmpreise es durchaus geschafft haben, dass das nationale Filmschaffen breiter wahrgenommen wird. Um breites Publikum zu erreichen, sind natürlich auch die Kooperationen mit den Fernsehstationen sehr wichtig. Zeigt doch mal die Filme, zu einer Zeit, wo Leute auch fernsehen! Als Atmen von Markovics im Hauptabendprogramm gezeigt wurde, hatte der Film 800.000 Zuseher, das ist doch beeindruckend. Es hat durchaus Potenzial, mehr darauf zu verweisen: Die Filme werden im Fernsehen gezeigt, und es gibt jetzt diese tolle Kino-VoD-Plattform, mit denen wir heuer auch das erste Mal für den Filmpreis kooperieren. Wenn man an diesen verschiedenen Punkten ansetzt, hilft das.
Weil immer das „Heimische“ im Fokus steht: Inwiefern sollte eine nationale Filmakademie auch verstärkt international agieren und sich interkulturell stärker vernetzen? Aktuell ist „Quo Vadis, Aida?“ ein Erfolgsbeispiel einer internationalen Koproduktion. Wie kann man dieses internationale Arbeiten fördern?
Es gibt ein internes Netzwerk aller europäischen Filmakademien, in dem wir uns sehr stark austauschen, z.B. darüber, wie wir mit Richtlinien in solchen Zeiten umgehen, wie das zum Beispiel die anderen mit dem Filmpreis-Voting machen, oder mit den Anträgen für neue Preiskategorien. Einmal monatlich gibt es mittlerweile ein virtuelles Treffen und einmal im Jahr ein reales Treffen in Karlovy Vary.
Was ich in einem ersten Schritt vorhabe, ist, auf – auch internationalen – Festivals als Institution sichtbarer zu werden. Beispielsweise zu sagen, man ist als Gastgeber bei einem Empfang dabei, man bietet eine Anlaufstelle, sodass die Mitglieder sehen, dass man dort ist, nicht nur als Geschäftsführerin, sondern als Institution Akademie. Damit sich unsere Mitglieder dort auch vertreten fühlen, als Teil dieser Plattform. Das gilt natürlich auch für die heimischen Festivals. Hier gibt es durchaus Möglichkeiten, sich da ein bisschen mehr als Institution einzuklinken. Und ich glaube, dass es durch Initiativen wie etwa dieses Investitionsprämien-Modell, das schon seit Jahren gefordert und gewünscht wird, und jetzt hoffentlich durchgeht und dann auch greift, auch mehr Bewegung hier in Österreich geben wird, was internationale Produktionen angeht. Wir haben etwa die tolle Synchron Stage Vienna, diesen wunderschönen Ort für Filmmusik, an dem großartig aufgenommen werden kann. Die holt viele Leute her. Dem muss man sich dann einfach öffnen. Auf die Koproduktionen selbst haben wir nicht wirklich Einfluss, aber viele unserer Regisseure arbeiten ja auch schon im Ausland. Das sind alles Träger dieser Botschaft, die sagen: „Lasst uns noch mehr zusammenarbeiten!“ Wie schon vorhin gesagt, ist es dann auch wichtig, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Akademie selbst ist kein politisches Gremium, aber daran arbeitet zum Beispiel auch EU XXL FILM, solche Dinge in Brüssel zu besprechen. Mit denen bin ich natürlich weiterhin verbunden. Ich versuche, Synergien zu schaffen, wo es geht.
Erstmals in ihrer Geschichte hat die Wiener Filmakademie eine Regie-Professur in Person von Jessica Hausner mit einer Frau besetzt – hoffentlich kein Feigenblatt. Wie empfinden Sie die immer noch vorherrschende Männerdominanz der Branche und wie wollen Sie dieser entgegenwirken?
Das ist ein Thema. Es gibt einen neuen Gender-Report, und ich weiß auch, dass das Ministerium sich damit beschäftigt. Das ist schon stark im Bewusstsein, dennoch ist es nicht einfach, diese herrschenden Strukturen zu verändern. Hier muss ich wieder auf Die Dohnal referieren, weil sie das so toll beschreibt: Am Anfang wurde das „Frauenthema“ wohl gelitten, im Sinne von „ihr habt da jetzt eh auch euren Platz“, dann wurde es kritisch beäugt, weil es nicht mehr wegging, und jetzt ist es fester Bestandteil und wir müssen uns damit ernsthaft auseinandersetzen. Sobald es aber in eine staatliche oder politische Krise geht, das sagt die Lebensgefährtin von Dohnal im Film treffend, sind die Ersten, die darunter leiden, wieder die schwächer Positionierten – und das sind leider auch immer noch die Frauen. Wir hatten bei EU XXL ein sehr schönes Format, „Learning from Europe“, zu dem wir Dänemark eingeladen haben. Dort hat man es mit einer starken Gewerkschaft ziemlich gut hinbekommen, erstens auf die Geschlechterfrage zu schauen und zweitens vertraglich die 40-Stunden-Wochen durchzusetzen. In diese Richtung muss es gehen. Aber Familie und Film wird immer ein Problem bleiben. Ich komme selbst aus einer Künstlerfamilie: Mein Vater war Dirigent, meine Mutter Bühnenbildnerin. Sie hat dann ihren Beruf – gerne und ohne Opfer – aufgegeben, denn es war schwierig, ihre 14-Stunden-Tage am Theater und die wochenlangen Reisen meines Vaters mit Familie und Kindern zu vereinen. Das bleibt ein Thema, und da spielt die gesamte Gesellschaft mit, das fängt mit der Kinderbetreuung an. Bei uns am Land wirst du immer noch schräg angeschaut, wenn du dein Kind nach zwei Uhr vom Kindergarten abholst. Doch ich glaube, dass da längst eine neue Generation nachwächst. Wir haben mit Marie Kreutzer, Barbara Eder, Barbara Albert, Jessica Hausner, Mirjam Unger oder eben auch Sabine Derflinger – und natürlich noch vielen mehr – tolle Filmemacherinnen. Wir haben ein sehr starkes Frauenpotenzial bei uns in der Akademie, und nicht nur in der Regie, auch an anderen Stellen – zum Beispiel Kamerafrauen wie Astrid Heubrandtner, die Vorsitzende des Kameraverbands ist; Kamera war ja auch immer so ein „Fach der Männer“. Kurz gesagt: Die Zeichen gehen in die richtige Richtung, aber ich glaube, wie Johanna Dohnal so schön sagte, „wir dürfen nicht aufhören, lästig zu bleiben.“
Inwiefern ist die Akademie dann doch auch eine politische Akteurin? Wie kann sie helfen, nachhaltige Veränderungen, Verbesserungen herbeizuführen?
Politisch ist ja weit zu fassen: Es gibt parteipolitisch, „politisch-politisch“, aber politisch ist auch einfach, sich in einen gesellschaftlichen Prozess und eine gesellschaftliche Diskussion einzubringen. So gesehen haben wir auf jeden Fall eine Verantwortung, wir haben eine Aufgabe. Aber wir haben auch ein breites Spektrum an Mitgliedern und wollen da auf gar keinen Fall stark polarisieren. Was ich meine, ist: Ich selbst habe natürlich eine politische Meinung, aber die hat an dieser Stelle nichts zu suchen – ich versuche einfach, eine Plattform zu bilden, die bestmöglichen Austausch ermöglicht. Ich versuche auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen, wenn es im Sinne unserer Mitglieder ist und von ihnen auch mehrheitlich getragen wird. Da habe ich auch keine Angst, anzuecken. Allen kann man es eh nie recht machen, manchmal muss man Stellung beziehen. Und da sind dann auch gerade wir aufgerufen, einmal zu sagen, dass die Kinos wieder aufmachen sollten. Solche Anmerkungen gibt es dann von verschiedenen Verbänden, und das halte ich für wichtig. Dass wir uns zusammenschließen und dass wir eine starke Lobby sind – die es in der Kultur im Vergleich zur Industrie oder Wirtschaft immer noch viel zu wenig gibt. Dass wir sagen: „Hey, wir sind der Kreativsektor. Wir machen so viel Geld, wir zahlen Steuern, wir generieren Content und wir generieren auch Umsätze, und zwar Milliardenumsätze!“ Das wird ja immer abgetan: Die Kultur, unser Sahnehäubchen, das wir uns halt nur leisten können, wenn es uns gut geht. Nein! Wenn die Fernsehanstalten zusperren würden und die Streaming-Plattformen mal eine Woche lang dichtmachen, möchte ich wissen, was dann draußen los wäre. Da hätten wir wahrscheinlich bürgerkriegsähnliche Zustände. Das ist alles Content, das ist alles Kreativität. Da darf man doch auch mutig sein. Es gibt eine tolle Sozialwissenschaftlerin aus Berlin, mit der wir viel zusammengearbeitet haben, Lisa Basten, die Studien über die Kreativwirtschaft gemacht hat, die hat uns immer angespornt und gesagt: „Ihr seid ein riesiger Wirtschaftsfaktor, also sorgt dafür, dass man euch auch als solchen behandelt.“ Wir sollten also mutig aufstehen. Wir müssen in der Kultur, also auch in der Filmbranche, keineswegs in der Rolle der Bittsteller sein!