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Buchneuerscheinung

Talent und Charakter

| Jörg Becker |
„Das Damengambit“ machte auf Netflix Furore. Die Romanvorlage von Walter Tevis ist nun auf Deutsch erschienen. Unvergesslich sind auch drei weitere Filme über Billard und Science-Fiction, die auf Büchern von Tevis beruhen.

Im Kinderheim erblickt das achtjährige Waisenmädchen Beth Harmon im Keller den Hausmeister, der ihr anfangs nicht ganz geheuer ist, neben einem geheimnisvollen Spiel, das er für sich allein auf dem Brett spielte. Eines Tages stellt sie sich neben ihn und wartet, bis er eine Figur bewegt, fragt schließlich, wie das Spiel heißt – Mr. Shaibel, der Hausmeister, zuckt die Achseln. „Es heißt Schach.“

„Zwischen Mr. Shaibel und dem Heizkessel hing an einem schwarzen Kabel eine nackte Glühbirne herab. Beth gab acht, dass ihr Kopf keinen Schatten auf das Brett warf. Es war Sonntagmorgen. Oben in der Bibliothek war Gottesdienst, und sie hatte die Hand gehoben, um austreten zu dürfen, und war dann in den Keller gekommen. Zehn Minuten stand sie da und sah dem Hausmeister beim Schachspielen zu. Keiner der beiden sagte etwas, doch schien er ihre Anwesenheit hinzunehmen. Minutenlang starrte er die Figuren an, reglos, mit einem Blick, als würde er sie hassen, dann beugte er sich über seinen Bauch, hob eine Figur mit den Fingerspitzen an, hielt sie einen Moment in der Luft, als würde er eine tote Maus am Schwanz halten, und stellte sie auf ein anderes Feld. Zu Beth sah er nicht auf. Beth hatte den schwarzen Schatten ihres Kopfes vor sich auf dem Betonboden und sah unverwandt auf das Brett. Sie beobachtete jeden Zug.“

Das eher unscheinbare achtjährige Mädchen Elizabeth ist nach dem Unfalltod seiner Eltern ohne Angehörige, eine Waise, die in einem Kinderheim in Kentucky aufgenommen wird. Zum Wunderkind wird sie durch die Begegnung mit Hausmeister Shaibel und seiner Schachleidenschaft. Eine sagenhafte Karriere beginnt, als sie nach ihrer Adoption durch Mrs. Wheatley ihrer Passion für das Spiel folgen kann, bis vor der Schachgenialität des Schulmädchens selbst die etablierten Großmeister kapitulieren. Beth sieht die Figuren so deutlich vor ihrem inneren Auge wie damals, mit acht, im Bett des Waisenhauses mit Blick zur Decke, und doch, bei allen größten Triumphen im Establishment der Szene, vor der Öffentlichkeit der großen Auditorien, beschleicht sie mitunter noch jenes angsterfüllte Selbstgefühl eines Kindes auf einer Veranstaltung für Erwachsene.

Grüne Pillen
Dem Zustand des Schachspielens im Kopf am nächsten kommt jenes leise Glühen, das sie erwärmt, wenn sie die grünen Pillen, die täglich im Heim ausgegebenen Beruhigungsmittel für ein „ausgeglichenes Gemüt“, aufsparen kann, um sie zum richtigen Zeitpunkt in geballter Menge einzuwerfen. Sie kennt nun nicht nur die Bewegungsgesetze der Schachfiguren, spürt die Macht der Figuren über Linien und Diagonalen, die Kraftlinien auf dem Brett, und findet es „erregend, wie sich Energieströme kreuzten“, es gelingt ihr auch herauszufinden, wie sich ihre inneren Anspannungen in ein Wohlgefühl verwandeln lassen, „süßes Behagen… tiefe chemische Seligkeit“. Die täglich verabreichten Pillen – in der Netflix-Serie The Queen’s Gambit heißt das fiktive Präparat „Xanzolam“ – entsprechen wohl dem Medikament namens Librium, das 1960 auf den amerikanischen Markt kam: erregungs- und angstmindernd, beruhigend und muskelentspannend, ließ es die Probanden mitunter robotisch ruhig erscheinen, hochdosiert führte es zu Verlangsamung, Schläfrigkeit und Gedächtnislücken. Beth bekam das (heute bekanntermaßen suchterzeugende) Mittel Benzodiazepin, laut Handlungszeit des Romans Ende der fünfziger Jahre, im Alter von acht, neun Jahren (!) und hatte mit 13 ihren ersten Entzug, wurde gewissermaßen Opfer einer frühen Pillenepidemie in den USA. Berührungen mit der Sozialgeschichte der Vereinigten Staaten, der geistigen Epidemie des Kalten Krieges, finden sich zudem mit der Erwähnung eines elitären Girl’s Clubs der Oberklassenmädchen der Schule, in Kaschmirkleidung und mit eigenen Pferden, zu dessen Mitgliedschaft Beth erst eingeladen wird, nachdem Turniersiege sie zu einer Prominenten der Region werden ließen. Und als die Wettkampfeinladung nach Moskau eintrifft, kommt mit „Christian Crusade“ eine christlich-fundamentalistische Organisation ins Spiel, die es gewohnt ist, ihre finanzielle Unterstützung an eine vorgefertigte Stellungnahme mit antikommunistischer Stoßrichtung zu knüpfen, der sich das Mädchen aber entschieden verweigert.

Beth beginnt, neben der Schule (mithilfe von Arzt-Attesten) Turniere zu bestreiten, als aber ihre häufig unter Einfluss von Stimulantien stehende, flatterhafte Adoptivmutter von der Höhe der Preisgelder erfährt, sind der Schülerin die Wege zur Landes- und US-Meisterschaft geebnet. „Weiblicher Mozart versetzt die Schachwelt in Aufruhr“ lautet im „LIFE-Magazin“ der Titel einer Story über sie, in der es primär darum geht, dass sie ein Mädchen sei unter lauter Männern. Nun liegt es auch in der Natur der Spannungsdramaturgie der Handlung, dass diese enorme Begabung ihren Preis haben muss und eine Zeitlang Gefahr besteht, dass Tabletten oder auch Beths Entdeckung des Alkohols Sucht erzeugen und ihr beispielloses Talent zerstören. Mit 17 – in der Phase von ersten Parties, Joints und Bier, von Lippenstift und erstmals richtigem Musikhören – besitze sie Geld auf dem eigenen Konto, sei keine Jungfrau mehr und verstehe sich aufs Trinken, so resümiert sie in der Zeit ihres Highschool-Abschlusses. Da bestreitet Beth bereits ihr erstes internationales Turnier, gilt als „intuitive Spielerin“, die sich auf ihren Angriffsgeist verlassen kann. Neben Menschenbegegnungen und ihren Unwägbarkeiten mit den schwierigen, meist introvertiert schizoiden Koryphäen der Branche gibt es da noch die gesammelten Partien der Schachgroßmeister („chess review“), die Beth unentwegt studiert und manisch durchspielt, es sind Kämpfe der Logik, die aber „vor Damenopfern und Melodramen nur so strotzen“.

Der undurchdringliche Gegner
„Seit Jahren flirtete sie mit dem Alkohol. Es war Zeit, die Beziehung zu vertiefen.“ Eine verlorene Partie, nach abgestumpftem „Katerschach“, verursacht bei ihr einen Schock, ob die zeitweiligen Trinkexzesse ihre „Synapsenverflechtungen weggeschabt“ hätten, und bald steht die Einladung zum Turnier in Moskau auf dem Programm, wo mit dem Russen Borgov die Nummer eins der Weltrangliste auf sie wartet, der ihr bereits bei einem ersten Aufeinandertreffen in Paris keine Chance gelassen hatte. Was Borgov in ihr auslöst, beunruhigt sie, sein ausdrucksloses, beherrscht feindseliges Gesicht hat sie erschreckt.

„Sie sah hinüber zu Borgov, der schon auf seinem Platz saß und sie erwartete, und da wurde ihr bewusst, dass sie es nicht nur mit seinem gnadenlosen Schach aufnehmen musste. Sie fürchtete ihn auch als Menschen. (…) Er sah lediglich auf die noch unberührten schwarzen Figuren vor sich, doch bei seinem bloßen Anblick stockten ihr Herz und Atem. An ihm war keinerlei Anzeichen von Schwäche auszumachen, reglos saß er am Brett, ohne sie oder die Tausenden von Menschen, die ihn anstarrten, überhaupt wahrzunehmen. Er sah aus wie eine furchteinflößende Ikone. Wie eine Zeichnung an einer Höhlenwand.“

Während einer Partie geht es für sie oft darum, den Blick auf den Gegner zu vermeiden, dessen Ausdruck zu viele Zeichen aussenden könnte, für die man sich nicht bereit fühlt, nicht das flüchtigste Augenmerk auf Uhr oder Auditorium abschweifen zu lassen, vielmehr ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Gefahren zu richten, die von Springer, Läufer, Turm, Bauer, König und Dame verkörpert werden. Ein Minimum an Schachspielverständnis schadet nicht, um sich vom Binnenschauplatz der Handlung, dem Kampfplatz der Figuren, etwas vorstellen zu können. Nachdem Beth ihre „geistige Leinwand“ eine Weile dunkel gelassen hatte, sieht sie im letzten Duell des Romans ein Matt in neunzehn Zügen voraus.

Der Vorlagengeber
Ein Schriftsteller ist (wieder) zu entdecken, der als Liebhaber des Billard, der Science-Fiction und des Schachspiels mit seinen Romanen ein Vorlagengeber erster Güte war für Filme von Robert Rossen, Nicolas Roeg, Martin Scorsese. „The Queen’s Gambit“ wurde als siebenteilige Miniserie verfilmt und im Oktober 2020 von Netflix veröffentlicht. In Erstübersetzung für den deutschsprachigen Raum hat der Zürcher Diogenes Verlag nun die Roman-Vorlage herausgebracht. Ein Button auf dem Buchumschlag, als dessen fotografisches Covermotiv der hypnotisch-intensive Blick von Anya Taylor-Joy, Darstellerin der Hauptfigur Beth, einen beim Betrachten so fixiert, dass man sich en miniature in den Spiegelungen ihrer Pupillen gefangen glaubt, weist auf „A Netflix Original Series“ hin.

Walter Stone Tevis (1928–1984), geboren in San Francisco, lebte seit seinem zehnten Lebensjahr in Kentucky und leistete in den vierziger Jahren den Militärdienst an pazifischen Kriegsschauplätzen ab. Während seines anschließenden Studiums an der University of Kentucky arbeitete er in einem Billard-Lokal, veröffentlichte bereits eine Erzählung über Poolbillard, die er für A. B. Guthries Schreib-Seminar verfasst hatte. Nach seinem Master-Abschluss schrieb er und unterrichtete an der University of Kentucky in Lexington, ab 1965 an der Ohio University in Athens Englische Literatur und arbeitete seit Mitte der siebziger Jahre als freier Schriftsteller.

Drei seiner Romane liegen gleichnamigen Kino-Verfilmungen zugrunde: „Haie der Großstadt“ (engl.: „The Hustler“, 1959) und „Die Farbe des Geldes“ (engl.: „The Color of Money“, 1984), die beide um dieselbe Hauptfigur, den erfundenen Billardspieler „Fast Eddy“ Felson, kreisen – und der Science-Fiction-Roman „Der Mann, der vom Himmel fiel“, deutscher Alternativtitel: „Spion aus dem All“ (engl.: „The Man Who Fell to Earth“, 1963). Darüber hinaus ist der Science-Fiction-versierte Autor Verfasser von „Die Letzten der Menschheit“ (engl.: „Mockingbird“, 1980), „Far From Home“ (1981), „The Steps of the Sun“ (1983) und, mit eigenem Faible für das Schachspiel, von „The Queen’s Gambit“ (1983). Tevis wurde 1980 mit seinem Sci-Fi-Roman „Mockingbird“ für den Nebula Award nominiert und 1991 posthum in die Hall of Fame des Billiard Congress of America aufgenommen.

Talent und Charakter
Als Eddie und Charlie eine kleine Bar betreten, scheinen sie ganz mit sich selbst beschäftigt – sie reden, bestellen Drinks und beginnen ein Spiel. Doch schnell teilt sich einem mit, dass Worte und Verhalten gleich einer raffinierten Theaterinszenierung von dem Billardprofi und seinem Manager an alle anderen im Lokal gerichtet ist mit der Absicht, die Fähigkeiten Eddies zu verschleiern. Ihr Verhalten ist auf Verführung angelegt, Ermunterung zu einem scheinbar leichten Spiel, das einen sicheren Sieg verspricht.

Der eigentliche Film, The Hustler (1960, Robert Rossen), beginnt und endet in „Ames Billard Salon“, einem Ort, den man nur als Sieger oder Verlierer verlässt, alles geschieht zwischen zwei großen Spielen, zwischen denen viele kleinere Duelle stattfinden. Der junge, ehrgeizige Eddie will partout den Besten herausfordern, um der Beste zu werden. Sein Kontrahent ist Minnesota Fats (Jackie Gleason), die Autorität der Branche, eine massige, schwere Erscheinung, die reglos zurückgenommen das Spielgeschehen beobachtet, den Gegner taxiert und damit den größten Kontrast zu Eddie verkörpert. Der teuflische Billard-Manager (George C. Scott) hat den schnellen Eddie instinktiv als „Loser“ ausgemacht, weil diesem zu all seinem grandiosen Talent der nötige Charakter abgehe.

Das erste große Duell mit seinem Billard-Antipoden verliert „Fast“ Eddie nach über vierzig Stunden zähen, zermürbenden Ringens. Übernächtig streift er durch Bars und Wartesäle, trifft eine ebenso einsame, verlorene Frau (Piper Laurie) und zieht in ihr Appartement, wo die beiden sich einander und dem Alkohol hingeben. Als Eddie wieder zurückkehren muss ins Spielgeschehen, ist es seine Freundin, die ihm den destruktiven Charakter des Managers und Wetthais auf tragische Weise vor Augen führt. Zum Schlussduell, der Revanche gegen Minnesota, erscheint Eddie als veränderter, reiferer Mensch. Der moralischen Abrechnung mit dem Manager und Spekulanten gegen Ende steht der Respekt gegenüber, von dem das Verhältnis zwischen wahren Spielern bestimmt ist.

Mysterious Stranger
The Man Who Fell to Earth (1976): Nicolas Roeg erzählt die Handlung von Walter Tevis’ gleichnamigem Science-Fiction-Romans als Besuch eines Rockstar-Alien auf der Erde. Wiederholt vermochte er Ikonen des Pop in seine Filmerzählungen zu integrieren, seinen Filmen deren Imagines zu unterlegen – zu denken an Mick Jagger in Performance (1970) oder an Bad Timing (Black Out – Anatomie einer Leidenschaft, 1980), in dem er Art Garfunkel als Psychoanalytiker gegen sein sanftes Troubadour-Image besetzt hatte. Am prägendsten allerdings erscheint die Besetzung der Rolle eines Außerirdischen in der Leinwandadaption des Tevis-Romans.

David Bowies Alterität gegenüber jeder Anpassungsleistung an eine Rolle, ein rätselhafter Abstand zur irdischen Wirklichkeit, nicht zu trennen von der Aura seiner „Stage Persona“, scheinen ihn prädestiniert zu haben für die Rolle des Thomas Jerome Newton, eines Kundschafters aus fernem Universum, der die Erde besucht, um seinen Heimatplaneten vor tödlichem Wassermangel zu retten. Die Idee eines guten Alien ohne dunkle Seite schien einen naiven Kern in den Film zu bringen, mit Bowies Gegenwart jedoch wandte sich die Erzählung hin zu einer Schönheit der Erscheinung von Fremdheit und Geistigkeit, die man nicht erst in irgendetwas verwandeln musste.

David Bowies Konzeptalben, aus dem Zentrum eines Kunstcharakters wie „Ziggy Stardust“ entwickelt, bildeten die Referenz für die Rolle jenes Alien, der, gleich einem Pop-Heroen, aus dem Nichts auftaucht, zu Ruhm und Erfolg gelangt, in diesem Fall ein Weltunternehmen begründet dank mitgebrachter wissenschaftlicher Innovationen – Flachbildschirm, Polaroidkamera etc. -, die vermuten lassen, dass er aus einer näheren Zukunft zu Besuch ist.

Nicolas Roeg versetzt die gradlinige Quelle der Romanvorlage in die für ihn charakteristische non-lineare Erzählweise, bevorzugt fragmentierenden Schnitt und ausgefeiltes, gewagtes Crosscutting. Der Verlauf von Zeit geht nicht aus den Szenen hervor, er steckt dazwischen, verloren im Schnitt, von unbestimmter Dauer, und erst in der Nachträglichkeit setzen die „impressionistischen“ Momente der Handlung ihre Bedeutung frei.

„World Enterprises“
Die Science Fiction-Filme jener Jahre befassten sich eher mit der Expansionsbewegung in den Weltraum und den Herausforderungen, denen die Menschheit in der Vorstellung des Unendlichen begegnet – und wenn es Besucher from outer space gab, galt es meist, sie als Bedrohung abzuwehren, also die anthropozentrische Perspektive nie zu verlassen. Mit dem Blick des Außenseiters indessen, eines humanoiden Alien mit rot-orangen Haaren, erscheint die Erdpopulation, mit amerikanischem Gesicht, als bizarr bedrohliche Spezies.

Der „Mysterious Stranger“ reagiert durchweg kühl, spricht ohne emotionale Ausschwünge. Das zutrauliche Zimmermädchen Mary-Lou, das sich im Motel in Albuquerque, New Mexico, liebevoll um den „Traveller“ mit britischem Pass (!) kümmert, ist die einzige, deren Nähe er zu vertragen scheint. Schon der erste Menschenkontakt Newtons setzt Vorzeichen, als der Ankömmling in einem Laden einen Ring gegen Dollars eintauschen will, die ältere Frau hinter dem Tresen ihm 20 $ anbietet („Take it or leave it!“) und mit schmuckbehängten Händen die Scheine aus einer Schublade holt, in der man einen Revolver sieht. Ein Anfangskapital des Botschafters aus fernen Welten für das Konzernprojekt »World Enterprises« ist gegeben, doch die Zeit für sein Vorhaben auf der Erde verrinnt, bis der betrügerische Take-over von Newtons Company die Hoffnung auf Rückkehr platzen lässt. Über die unerfüllten Versprechen des Anfangs sieht man die resignierten, von Alkohol gezeichneten Figuren altern, mit Ausnahme des alterslosen Alien.

Als Zweck seiner Expedition rückt immer wieder das Motiv Wasser ins Blickfeld Newtons, dessen berauschte Aufmerksamkeit im Apartment zunehmend von einer ganzen Wand von TV-Monitoren in den Bann gezogen wird, deren unterschiedliche Programme und Filmklassikerausschnitte die Story ironisch konterkarieren; vielleicht sei die Natur der Television, so Newton, „just waves in space“, die dem fremden Kundschafter das Leben auf dem ‚Planeten des Wassers‘ näher zu bringen scheinen. Aber natürlich leuchtet hinter dem Sci-Fi-Story-Rahmen, der bestimmt ist von einer bedrückenden Parabel über das Startum und die Zukunft des kapitalistischen Wirtschaftssystems, aufs Deutlichste auch die moralische Botschaft einer außerirdischen Reinheit auf, die durch Erfahrung im Kontakt mit dem Erdgeschehen korrumpiert wird.

„I’m back!“
Die Filmadaption von Tevis‘ „The Color of Money“, um Geld und Gier des Spielgeschäfts, bildete das Sequel zu seinem früherem Billard-Roman „The Hustler“, und es soll Paul Newman, die Verkörperung Eddie Felsons, gewesen sein, der Martin Scorsese zur Annahme dieses Projekts bewegt hatte. Der Regisseur von Taxi Driver (1976) gab an keiner Stelle vor, irgendeine Ahnung von Pool zu haben, interessierte sich jedoch umso mehr für die Intrigen und Manipulationen des Business, vor allem aber für die Charaktere der beiden Spieler, die ein Generationsabstand voneinander trennt.

Da er eine Leidenschaft für Pool-Billard, nicht aber für das Kalkül dahinter hatte, gab „Fast“ Eddie Felson (Paul Newman) das Spiel auf und wurde, als Whiskey-Händler, ein „Nichts… auf dem langsamen Weg ins Grab“ (Walter Tevis). Als er eines Tages in einer Spielhalle auf ein junges Talent (in seiner ersten großen Rolle: Tom Cruise) aufmerksam wird, sieht er die Chance für ein Comeback, reizt den jungen übermütigen Spieler nicht nur mit gewonnenem Geld, sondern lehrt ihn auch zu verlieren, um zu gewinnen, sich nicht hinreißen zu lassen, sondern Bedürfnisaufschub zu üben, mithin zu reifen, zu lernen für den zukünftigen Triumph. Eddie lehrt seinen ungestümen Juniorpartner das Bluffen und Tricksen, und der fluide Blick von Michael Ballhaus‘ Kamera versetzt den Betrachter in eine gauklerische Bewegung zur Fake- und Blendwirkung des Spiels, ein Gleiten auf seifigen Brettern. Doch eine wundersame Läuterung geschieht: „I’m back!“ – und am Ende von The Color of Money (1986, Martin Scorsese) kehrt Eddie, durch eine demütigende Niederlage erschüttert, zu seiner eigentlichen Leidenschaft zurück.