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Sommer im Film

Summertime

| Jörg Becker :: Ralph Eue |
Leicht-sinnige Miszellen zum Kino rund um die Hundstage.

Eigentlich braucht es nur ein paar Akkorde, um dem Sommer Gesicht und Geruch, Klang und Gestalt zu verleihen: E7(#5) | Am6 | E7/B | Am6 | E7/B | Am6 | E7/B | Am6 | E7/B | Dm7 | F | Dm7/A | Adim7 | E/G# | B7 | E7 | Bb9(#11).

Das Leben fühlt sich leicht an. Sogar Fische – Gershwin sei Dank – heben zum Sprung an. Und über hochstehenden Baumwollfeldern nahen Hitzewellen. In Madres paralelas (Parallele Mütter, 2021) von Pedro Almodóvar gibt es diesen berückenden Moment eines musikalischen Sommersonnenaufgangs, wenn die ältere Janis (Penélope Cruz) der jüngeren Ana (Milena Smit) bei offener Dachterrassentür – mit hübsch almodóvaresk platziertem Zitronenbäumchen im Bildhintergrund – Janis Joplins Summertime von der LP „Cheap Thrills“ anspielt und erzählt, dass sie von ihren Hippieeltern nach der amerikanischen Sängerin benannt wurde. Es ist ungefähr auch der Moment, da der Film sowohl Tonart wie Gewicht ändert und sich vom kleinen Fait divers zum großen interpersonellen wie auch intergenerationellen Melodram aufschwingt, und wir glaubten, in diesem Moment und an diesem Ort einen guten Beobachtungsposten gefunden zu haben, um zu sondieren, was das Kino mit dem Sommer eigentlich anzufangen weiß. Sicher hätten wir uns im Weiteren auch der pennälerhaften Erinnerung an die Präsenz der jungen Elke Sommer überlassen – nomen est omen – und dem somnamblen Zauber gehuldigt, den sie in Georg Tresslers westdeutsch-mexikanischem Totenschiff (1959) verströmt, wenn sie in Horst Buchholz’ Blickfeld auftaucht als eine verlockend im Mittagslicht sitzende Fata Morgana, die Szene aber so inszeniert ist, dass man kaum auszumachen weiß, ob sie ein Wesen in seiner Phantasie ist oder er in der ihren. Denn der Sommer ist auch im Kino die Zeit, da sich Luft- und Wasserwesen zwischen den Menschen tummeln, während die Erdgeister in bleiernen Sommerschlaf verfallen sind.

Vor einigen Wochen noch hatten wir klar im Blick, welchen Filmen wir folgen wollten, damit es ein angenehm träger Ausflug Im Zeichen des Löwen (1962, Eric Rohmer) werden würde. Dass wir uns Barfuß und ohne Hut (1965, Jürgen Böttcher), auch mit dem notwendigen Leichtsinn, Uschi Obermaier, Sylvia Kekulé, Gaby Go und Diana Körner, den protofeministischen Amazonen aus Rote Sonne (1969, Rudolf Thome) genähert hätten. Dass wir abends in ihrer Münchener Mordkommune vielleicht darüber spekuliert hätten, warum der Titel von Bruce Browns Surf-Klassiker The Endless Summer (1966) einmal als Versprechen galt, inzwischen aber nur noch als Horror wahrgenommen werden könne und künftig eher Am Tag, als der Regen kam (1959, Gerd Oswald) für ein authentisches Sehnsuchtsbild stehen solle. Anderntags, auf der Terrasse, hätten Nancy Sinatra und Lee Hazlewood „Summerwine“ serviert, und es hätte Coquillages et Crustacés, also Meeresfrüchte (2006, Olivier Ducastel, Jacques Martineau) gegeben. Die folgenden Tage wären dann zwischen Unmut und Langeweile, Ausgelassenheit und Müßiggang im Prinzessinnenbad (2003, Bettina Blümler) verstrichen. Wir hätten wiederholt, schon reichlich schläfrig und dennoch immer wieder begeistert, in André Acimans Romanvorlage zu Call Me By Your Name (2017, Luca Guadagnino) rumgeblättert. Und ein paar weitere Helle Nächte (2017, Thomas Arslan) später, noch immer war die drückende Schwüle nicht aus den Häusern gewichen, hätten wir im Spätprogramm eines obskuren Senders unerwartet Marianne de ma jeunesse (1955) von Julien Duvivier entdeckt, wo an einer Stelle der Erzähler des Films räsoniert: „Die Sommerhitze brachte die Menschen und alle anderen Lebewesen dazu, sich nur noch vegetativ durch die Tage zu bringen. Alles lag unbeweglich und ermattet. Die Zeit unter der Hitzeglocke schien stillzustehen.“

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All das aber spielte sich ab, bevor uns the Shock of the Real erwischte. Vielerlei Klarheiten sind seither zerstoben. Grünes wechselte ins Olivgrüne, Militärisches kontaminierte Phantasie wie Sprache. Und kamen einem früher einmal Tretboot-Saison, fragwürdige Sommerhits oder der erste Pastis in einer Bar Tabac abseits der Autoroute du soleil wie feststehende Marker im Jahresverlauf vor, so werden sie heuer überblendet mit blockierten Getreideexporten, Sommeroffensiven und verminten Stränden in den Küstenstädten südlich von Odessa. Unwillkürlich geraten damit auch die Zeilen aus Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“ wieder auf die innere (und äußere) Tagesordnung: „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! | Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn | Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende | Hat die furchtbare Nachricht | Nur noch nicht empfangen. || Was sind das für Zeiten, wo | Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist | Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! | Der dort ruhig über die Straße geht | Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde | Die in Not sind? || Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt | Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts | Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen. | Zufällig bin ich verschont.“

Während der Hundstage, im August 1993, schlug in Sarajevo auf dem Platz vor dem Pozoriste Mladih, dem Theater der
Jugend, eine von serbischen Kommandos abgefeuerte Granate ein. Nermin Tulic – damals Intendant des Hauses sowie legendärer Shakespeare-Interpret und König-Ubu-Darsteller, außerdem Choreograf und virtuoser Tänzer – überquerte gerade den Platz auf dem Heimweg von einer Probe. Die Granate riss ihm beide Beine ab. In Marcel Ophüls‘ Kriegsreporterfilm The Troubles We’ve Seen: A History of Journalism in Wartime (1994) trifft der Regisseur den ehemaligen Tänzer, der, obwohl fundamental eingeschränkt, vor Vitalität zu bersten scheint, in einem armseligen Verschlag mit seiner Familie. Radebrechend verständigen sie sich auf Französisch. Ophüls will vorsichtig darauf hinaus, ob Tulic Rachegefühle gegen die Serben hegt. Der Angesprochene, die Frage missverstehend, sagt, seine Frau sei Serbin, zieht sie zu sich heran und herzt sie übermütig. Ophüls hakt noch einmal nach, stellt die Frage konkreter – als Archivsequenz ist dazu der stumm und nachdenklich durch die Dekoration eines leeren Schiffsdecks schreitende James Cagney (ein Ausschnitt aus Yankee Doodle Dandy) eingefügt: Was, wenn Tulic wieder auf der Bühne stehen könnte und er im Publikum den Serben entdecken würde, der ihn so fundamental beschädigt hat? Die sachliche, geradezu „alternativlose“ Antwort des Tänzers: Ich würde ihn erschießen. Der Satz fährt einem in die Magengrube, denn es ist ein wider alle künstliche Dramatik sich herstellender, echter Moment, an dem das Gewicht der Welt aufgehängt ist und ohne weitere Abfederung auch hängen bleibt. Kommentiert wird Tulics Satz nur durch die Weiterführung des Cagney-Ausschnitts, in dem der stiernackige, kleinwüchsige Mann über die Musik von „Give my Regards to Broadway“ in einen trotzigen Stepptanz fällt und seinen kompakten Tänzer-Körper – der einem wie der rustikale Gegenentwurf zum schlaksig eleganten Fred Astaire vorkommen kann – eine unhintergehbare Lebenswut artikulieren lässt. Against All Odds!

Die Sonnenblumen der Ukraine
In Wellen wogt das Getreide auf schier grenzenlosen Feldern, leicht gekrümmt liegt der Horizont am oberen Bildrand. Von den ersten Bildern an scheint Alexander Dowschenkos Film Zemlja (Erde, 1930) vor Fruchtbarkeit zu platzen. Inmitten von Sonnenblumenfeldern der Ukraine, zwischen großen Blüten sieht man die Bäuerinnen mit weißen Kopftüchern. Bilder gleich einer aktivistischen Musik, unaufhaltsam in ihrer Beschleunigung: der Traktor, als Produktionsmittel Kultgegenstand des Fortschritts, der Pflug, der Mähdrescher, Handgriffe der Feldarbeiterinnen dazwischen, schließlich fließt das Korn, in Großbäckereien, fabrikmäßig. Und der Rain, die Ackergrenze, ist umgepflügt, der Kolchose nutzbar gemacht.

Heute ein Klassiker, war Zemlja zu seiner Entstehungszeit eher schlecht angesehen. Zu wenig Pamphlet, befanden die zuständigen Kunstkommissare der Sowjetunion. Zu sehr Poem. Zwar ein ansehnlicher „Traktorfilm“, aber zu verschlungen zwischen Tradition und Moderne navigierend. Auch zu pantheistisch: Oft wird der Blickwinkel eines Betrachters eingenommen, der, auf dem Rücken im Gras liegend, Mensch und Tier vor dem gleichen hohen Azurgrund anschaut. Auch individuelle Motive der beteiligten Kontrahenten würden zu sehr berücksichtigt. Und zu wenig bedingungslos (!) würde der Nutzen der Revolution propagiert. Ja, tatsächlich wollte Dowschenko seinen Film als ein Poem über die Bedingungen (!) der Kollektivierung verstanden wissen: durchaus parteiisch. Eine Eloge über den Beginn eines neuen Lebens auf dem Dorf. Ein Choral über und für die Natur. Und auch der Tod hat seinen Platz darin. Genau genommen ist der gesamte Film um zwei Tode herum inszeniert: erst das friedliche Sterben das alten Bauern, gleich zu Beginn, dann, später, die gewaltsame Ermordung von Wassilij, dem Helden des Films, der den Traktor aus der Stadt geholt hatte, durch politische Gegner. Also das Singuläre und das Universale. Das Alte und das Neue. Letzteres aus Ersterem geboren, sich notwendig und unter Schmerzen davon lösend. Einheit der Gegensätze oder: Dialektischer Entwurf für die Vision eines künftigen Kollektivwesens, das in bis dahin beispiellosem Einklang mit der Natur existieren wird und zugleich in tradierten Mythen des ukrainischen Landes verwurzelt ist.

 

Summer In The City (1)
Ein Panoramablick über Mailand, abwärtsgleitend an gläserner Hochhausfassade eröffnet La Notte (1961, Michelangelo Antonioni): eine Nacht, die während eines gleißend hellen, heißen Sommernachmittags beginnt. Antonionis Bildeinstellungen sind immer als Oberflächen für innere Vorgänge genommen worden, seither ist man es gewohnt, auch Schauplätze, Spielräume oder das Ambiente einer Handlung als Indizienfeld für emotionale Erschütterungen, für Liebesverfall und Vereinsamung zu sehen. Doch bei Antonioni haben die Schauspieler aufgehört, als Reporter der Gefühle ihrer Figuren zu agieren. Und die Schauplätze geben sich unbeeindruckt.

Das nachmittägliche Umherstreifen von Lidia (Jeanne Moreau) durch ein armes Altstadtviertel Mailands, in dem sie mit Giovanni (Marcello Mastroianni) einmal glücklich war, scheint von einem Sog zunehmender Aufmerksamkeit bestimmt gegenüber Orten vergangenen Lebens, daliegend wie in Siesta-Stimmung, als sei da eine Tür geöffnet worden: Dem verwunderten Blick tun sich Spielräume auf, die sich von der handelnden Person, die sie betrachtet, lösen. Und da die Anwesenheit von Menschen an einem Ort provisorisch ist, bleibt nur, den verlassenen Schauplatz zu betrachten, seine Leere zu spüren, seine Hitze.

Das westdeutsche Fernsehen der siebziger Jahre hatte einmal eine Kinosendung, die hieß Schaukasten. In einem dieser Schaukästen berichtete damals ein Herr Göckeritz, dass US-amerikanische Kinos in den Großstädten gerade von einer Seuche heimgesucht würden, nämlich einem vorgeblichen Triller (sic!) über einen angeblichen Killerhai. Diese Seuche sei, die Rede war natürlich von Jaws (1975, Steven Spielberg), schon bis in die amerikanischen Bade- und Küstenorte geschwappt, habe Strände leergefegt und Gleiches drohe auch für hiesige Gestade. Empörung sprach aus seiner Stimme, und die Stirn war in tiefe Falten gelegt, dass von der Nordsee bis nach Spanien mit verlassenen Hotels und arbeitslosen Tretbootvermietern zu rechnen sei, bloß weil rücksichtslose Filmleute stressgeplagten Großstadtmenschen die schönsten Wochen des Jahres vermiesen wollten. Später erst erfuhr man, dass der Herr Göckeritz sein täglich Brot als Sprecher des Reiseveranstalters Touropa verdiente.

Der weiße Hai machte zu seiner Entstehungszeit richtig Angst – sowohl die Geschichte an sich als auch die Euphorie bzw. Hysterie, die damit verknüpft war. Äußerst seltsam aber war es, den Film im ersten Corona-Sommer 2021 wiederzusehen. Seltsam deshalb, weil einem die ersten 30 Minuten des Films, die man bei vorherigen Begegnungen immer nur als notwendiges Übel angesehen hatte, um der nachfolgenden Spannungsachterbahn eine mehr oder weniger plausible Startrampe zu verschaffen, plötzlich wie mit Widerhaken gespickt vorkamen, so, als dränge sich Jaws nun förmlich auf, ihn als plakative Parabel zu betrachten, bei der gegenwartsbezügliche Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich sind. Man glaubt sich als Zuschauer eines Gesellschaftsspiels: mit einem auf Prävention und Vorsicht setzenden Sheriff, der angesichts der Hai-Gefahr sofort den Strand sperren lassen will und einem unbekümmerten, zuerst mutig, später leichtsinnig die Gefahr leugnenden populistischen Politiker, weil die Feriengäste fern- und deshalb die Kassen leer bleiben könnten. Erstmals fiel auch auf, dass dieser Anfang sich eigentlich als ziemlich werkgetreue Adaption von Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ (1882) darstellt, denn des Sheriffs Ohnmacht entspricht genau der Erfahrung von Ibsens Protagonisten, dem Arzt Thomas Stockmann, der mundtot gemacht werden soll, als er öffentlich verkündet, die vermeintlichen Heilquellen des Küstenorts enthielten Krankheitserreger. Die Haltung des korrupten Stadthauptmanns bei Ibsen, der auf „einen guten Sommer“ und „einen großen Zustrom von Kurgästen“ hofft und damit Stockmann unter Druck setzt, taucht nahezu identisch in den Reden des populistischen Politikers zum bevorstehenden großen Saisonbeginn am 4. Juli in Jaws auf.

Summer In The City (2)
Toute une nuit (1982, Chantal Akerman): In einer heißen Sommernacht in Brüssel ereignen sich Szenen, die sich fast durchwegs zwischen Liebespaaren abspielen. Fragmente meist aus langem Warten und plötzlicher Bewegung. Situationen zwischen ungerichteter Sehnsucht und unumwundenem Begehren sind zu einer Anthologie zusammengefügt, d.h. zu Höhepunkten der Leidenschaft, die aus vorstellbaren Geschichten erwachsen, aber nur in ihrer jeweiligen Gegenwärtigkeit und in raumtotalem Abstand mitzuerleben sind: sommerliche Wärmezufuhr als Reaktionsbeschleuniger. Entscheidungen brechen hervor, Lust zum Aufbruch wuchert. Spiel-Räume dieser Ereignis-Szenen sind Cafés und Bars, Hauseingänge, Vorstadtstraßen, Wohnungstüren, Treppenhäuser, Balkons und Schlafzimmer. Was an Klängen durch die weit geöffneten Fenster einströmt oder entweicht, formt sich zu einem artifiziellen Tongebilde aus allen möglichen Lauten, Stimmen, Gesängen. Auch an- und abschwellendes Motorenbrummen, in welches sich Schritte der Paare und Passanten mischen, was sich gegen Morgen immer mehr verdünnt, bis nur noch vereinzelt Geräusche aus Gassen von den Fassaden widerhallen.

Die Hitze, beim Betrachten fast körperlich spürbar, löst sich schließlich in einem kühlenden Gewitter auf. Ein neuer Tag bricht an und in blassem, schattenlosem Frühlicht liegt Vogelgezwitscher auf den Bildern. Die Aufnahmen dieses Films sind nicht auf Handlung oder Blicke gerichtet. Alles Exaltierte erscheint wie flüchtig, vermag die Gleichgültigkeit der Orte, an denen es sich abspielt nicht zu tangieren. Unbeeindruckte Schauplätze auch hier. Wie in Antonionis La Notte. Dort in kontrastreichem Schwarzweiß, hier vor tiefblauem Grund.

Ein letztes Dolce Vita
Sommerferien. Ausnahmezustand. Etwas, das weniger quantitativ als qualitativ spürbar wird und erfüllt ist von einer Empfindungsenergie ohne spezifisches Eigengewicht: Leichthin. Intensiv. Flirrend. Instabil. Und zur wirklichen Perfektion gelangt diese Saison oft erst indirekt, in der erzählten Erinnerung oder durch die sehnsüchtige Erwartung eines kommenden makellosen Moments im laufenden Jahr – aber hat der innige Wunsch, dass die Zeit ruhen möge („Verweile doch, du bist so schön!“) nicht immer schon vor der Unerbittlichkeit von Uhren und Kalendern kapitulieren müssen?

Otto Premingers Bonjour Tristesse (1958) ist solch ein Fall: „Ich war siebzehn Jahre in jenem Sommer. Und ich war vollkommen glücklich“ beginnt Cécile, die von Jean Seberg gespielte Hauptfigur, ihre Schilderung eines wahrscheinlich letzten Dolce Vita an der Côte d’Azur. Das Jahr über führt Cécile, zusammen mit ihrem vergnügungssüchtigen Vater Raymond (David Niven) ein existenzialistisch grundiertes Schwarzweißleben zwischen Cocktail-Parties und Nachtclubs in Paris. Den Sommer verbringen sie, wie in jedem Jahr, in einer traumhaften Technicolor-Villa am Mittelmeer. Sonne, Drinks, good and bad jokes sowie ein Junge von nebenan. Eines Tages kommt die berühmte Modedesignerin Anne Larsen (Deborah Kerr), eine frühere Geliebte Raymonds, zu Besuch. Die oberflächliche Freizügigkeit von Tochter, Vater und dessen aktueller Geliebter (Mylène Demongeot) sind Anne ein Graus. Und als Raymond auch noch ebenso plötzlich wie unerwartet wieder Gefallen an seiner alten Bekanntschaft findet und ihr sogar die Ehe anträgt, versucht diese sofort, die eingespielte Leichtlebigkeit in der Villa mit straffer Zucht in geordnete Bahnen zu lenken. Cécile fühlt sich nicht nur um diesen Sommer betrogen, sondern ihrem Vater entfremdet und aus dem Paradies vertrieben. Mit einer verletzenden Intrige treibt der übermütige Teenager die verhasste Frau aus dem Haus, die, offensichtlich verzweifelt, in einer berüchtigten Haarnadelkurve an der Steilküste die Kontrolle über ihren Sportwagen verliert, die Klippen hinabstürzt und stirbt. Mit dem Ende des Sommers nehmen Vater und Tochter ihre alte flatterhafte Existenz zwischen Luxus und Langeweile, Müßiggang und Tändelei wieder auf.

Was ein breit ausgemaltes Schlachtengemälde in Technicolor um die Grundfragen des Generationskonflikts und die Oberflächlichkeit der Moderne hätte sein können, begnügt sich stattdessen, ein leicht hingetupftes impressionistisches Kino-Pastiche zu sein, in dem Luxus, Ruhe, Sinnlichkeit oder – frei nach dem Maler und Bildhauer Henri Matisse – luxe, calme et volupté zelebriert werden. „Nur im Morgengrauen“, so räsoniert Cécile am Ende von Otto Premingers Film wie auch in Françoise Sagans Roman, „wenn ich in meinem Bett liege und nichts höre als das Geräusch der Autos in den Straßen von Paris, wird mein Gedächtnis mir manchmal zum Verräter: Der Sommer kehrt wieder mit all seinen Erinnerungen. ‚Anne, Anne!‘ Immer wieder sage ich diesen Namen sehr leise und lange Zeit ins Dunkel hinein. Dann steigt etwas in mir auf, das ich mit geschlossenen Augen empfange und bei seinem Namen nenne: Traurigkeit – komm! Bonjour Tristesse!“

So kehrten wir zu unserer alltäglichen Arbeit zurück
In der DDR war es für Filme nicht leicht, sich auf den 13. August 1961, also auf den Tag des Mauerbaus, zu beziehen. Einer der wenigen Filme, in denen es explizit geschah, war Konrad Wolfs Der geteilte Himmel (1964). Gegen Ende des Films resümiert Rita Seidel (Renate Blume) die Geschichte ihrer Liebe mit dem Chemiker Manfred (Eberhard Esche) und den Zusammenhang zwischen ihrer kleinen Geschichte und den großen Ereignissen: „Die Stadt atmete in jenem Sommer heftiger als sonst. Ihr Atem fuhr als geballter Rauch aus hunderten Fabrikschornsteinen in den reinen Himmel. Wir fanden diesen Himmel auf einmal ungewöhnlich und schwer zu ertragen. Die Luft legte sich schwer auf uns. Und das Wasser? Dieses verfluchte Wasser, das nach Chemie stinkt, seit wir denken können, schmeckte uns bitter. Aber die Erde trug uns noch und würde uns tragen, solange es sie gab. So kehrten wir zu unserer alltäglichen Arbeit zurück, die wir einen Augenblick unterbrochen hatten. Wer hätte gedacht, dass einem das alles so wichtig ist. Wir lebten aus dem Vollen. Als gäbe es übergenug von diesem seltsamen Stoff Leben. Als könnte er nie zu Ende gehen.“