Die hohe Kunst der Schauspielerei, oder: ein Psychostück
Eines schönen Tages in Paris begegnet die erfolgreiche Verlegerin Joan Verra (Isabelle Huppert) ihrer ersten Liebe, Doug, den sie 1970 in Dublin aufgrund ungünstiger Umstände zurücklassen musste, und der nicht weiß, dass er seinerzeit Vater geworden ist. Irritiert und unschlüssig, was zu tun ist, begibt sich Joan in ihr Landhaus, um nachzudenken und sich darüber klar zu werden, und natürlich erinnert sie dabei auch ihr vergangenes Leben. Schon beginnen sich das Damals, das Gestern, das Heute und die Möglichkeiten miteinander zu vermischen, unmerklich ineinander überzugehen.
Da ist Joans Mutter, die die Familie für ihren Karate-Lehrer verlassen hat und nach Japan zog. Oder vielleicht doch nicht? Da ist der Schriftsteller Tim Ardenne, der ihr hartnäckig nachstellte und mit seinen Kapriolen schließlich doch ihr widerspenstiges Herz eroberte. Ist er es, der sie immer wieder zurück auf den Boden der Realität holt? Und da ist ihr Sohn Nathan, der nach Kanada ging – und just im Moment die Allee zum Landhaus heraufkommt. Ein willkommener Besuch oder ein Geist aus der Vergangenheit?
Isabelle Huppert steht – der Titel verrät es – im Mittelpunkt von Laurent Larivières sanftem Drama À propos de Joan. Selbstverständlich würde sie den ihrer Figur gewidmeten Film auch ganz alleine auf ihren schmalen Schultern tragen, hat aber mit Lars Eidinger als entschlossenerm Liebhaber und eigenwilligem Schriftsteller sowie Swann Arlaud als Nähe in der Entfernung spiegelndem Sohn zwei temperamental unterschiedliche Schauspieler zur Seite; sozusagen zwei Klangfarben, die das Zusammenspiel der Figuren mit ihrer jeweiligen Melodieführung abwechslungs- und spannungsreich gestalten. Eidinger und Huppert begegnen einander auf Augenhöhe und schlagen aus dem Zusammentreffen eines närrisch Verliebten mit einer distinguierten, um einiges älteren Dame sprühende Funken. Während zwischen Arlauds Sohn und Hupperts Mutter die tiefe familiäre Zuneigung einen friedvollen Grundton selbstverständlichen Vertrauens zum Schwingen bringt.
Bis die Geschichte schließlich eine Volte vollführt und die Perspektive ändert. War unsere Erzählerin verlässlich? Und wenn sie es nicht war, was ist dann die Wahrheit über Joan? Nicht zuletzt nämlich ist À propos de Joan auch ein Film über das Trügerische der Erinnerung respektive die realitätsverändernde Kraft von Verdrängung beziehungsweise das Potenzial von Illusionen, Fakten zu stiften. So gesehen also auch ein psychologisches Drama.