sonne
Sonne

Filmstart

Sonne

| Ines Ingerle |
Porträt einer Generation im Identitätskonflikt

Yesmin (Melina Benli), die in Wien geborene Tochter irakischer Eltern, hat ihre beiden Freundinnen Bella (Law Wallner) und Nati (Maya Wopienka) zu sich eingeladen. Gekleidet in Hijabs singen die drei zu R.E.M.s „Losing My Religion“, tanzen provokant und rauchen. „Ich hab’ mich noch nie so schirch und geil zugleich gefühlt“, bemerkt Nati, die alles mit dem Handy mitfilmt. Am nächsten Tag landet das Video auf YouTube und erhält unerwartet viele Klicks. Die Reaktionen fallen überraschenderweise überwiegend positiv aus: Man interpretiert das Video als mutiges Zeichen der weiblichen Lebenslust und Selbstbestimmung. Die Mädchen werden über Nacht zum Symbol einer neuen Art, Kultur zu verstehen, zu leben und zu transportieren.

Während sich Yesmins Vater begeistert zeigt und die Mädchen ermutigt, bei diversen muslimischen Veranstaltungen aufzutreten, sieht die Mutter ihre Kultur ins Lächerliche gezogen und die Familie beschmutzt. In einer der bewegendsten Szenen des Films teilt sie die traumatischen Erinnerungen an den Krieg mit ihrer Tochter: eine emotionale Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft, die schwer zu entwirren ist.

Sonne ist der zweite Langfilm der im Irak geborenen Kurdwin Ayub, die sich in ihren Arbeiten schon öfter mit dem Thema der Identität junger Migranten und Migrantinnen sowie Social-Media-Trends auseinandergesetzt hat. Auch in Sonne werden Fragen nach Heimat, Zugehörigkeit, Kultur und Kongruenz aufgeworfen. Gleichzeitig wird die dominierende Rolle, die Soziale Medien im Leben junger Menschen spielen, eindrucksstark verdeutlicht: Die intime Handkamera von Enzo Brandner wird mit unzähligen verwackelten Handyaufnahmen kombiniert.

Dies stellt das Publikum durchaus vor eine Herausforderung, denn gefühlt sieht man man sich in Endlosschleife mit Insta-und TikTok-Reels von jener Sorte konfrontiert, die man vermutlich nicht einmal in den eigenen Feed gespült bekommen würde. Gleichzeitig erzielt diese Zwangsbeglückung eben gerade den ausschlaggebenden Effekt: Wir befinden uns mitten in der absurden Lebensrealität von Yesmin und Menschen ihres Alters – ein ständiges Feilschen nach der Bestätigung aus dem Außen, ein Leben für den Content, tagtäglich gefangen in einem Smartphone-Display. In welche emotionalen Krisen dieser Alltag junge Menschen stürzt, wird an der Figur von Yesmin – die beeindruckende Newcomerin Benli verkörpert sie in einer Mischung aus kindlicher Verletzlichkeit und rebellischem Widerstand und schafft es, die inneren Kämpfe durch subtile Mimik und Gestik sichtbar zu machen – deutlich. Sonne greift ein höchst relevantes Thema auf, die filmische Gestaltung erweist sich jedoch streckenweise als nervliche Zerreißprobe.