Ambitionierter Versuch einer Romanadaption, deren Vorlage zu gut ist
Man muss nicht hoch oben im Norden Deutschlands geboren sein, um sich in den Geschichten von Dörte Hansen zu Hause zu fühlen. Ihre Figuren sind speziell und universell zugleich. Ein bisschen verschroben, aber Menschen mit den gleichen Sorgen, Nöten und Ängsten wie wir. So wie Ingwer Feddersen (Charly Hübner), der in Lars Jessens Verfilmung von Hansens Bestseller Mittagsstunde in seine Heimat zurückkehrt, um sich um seine Großeltern zu kümmern, die mittlerweile beide über 90 Jahre alt und pflegebedürftig sind. Er fühlt sich verantwortlich für „Mudder“ Ella (Hildegard Schmahl) und „Vadder“ Sönke (Peter Franke), die kurz vor der Gnadenhochzeit stehen. Nur wenn Ingwer, der Historiker, der Eigenbrötler, jetzt aus seiner Kieler WG ins nordfriesische Geestdorf Brinkebüll umsiedelt, geschieht das nicht allein aus Liebe und Pflichtgefühl, es ist auch eine Flucht vor dem eigenen Leben.
Aus dieser Prämisse entwickelt Hansen in ihrem Roman ein bewegendes Drama über Familie und Freundschaft, Herkunft und Identität, Abschied und Neubeginn. Jessens Versuch einer Kinoadaption schafft es jedoch nur bedingt, der famosen Vorlage etwas hinzuzufügen. Dabei macht es durchaus Sinn, die Geschichte zu verfilmen. Denn die Sprache, die Hansen in ihren Büchern findet, hat im Kern etwas Bildliches, was die Lektüre so aufregend macht. Deshalb hat sich die Drehbuchautorin Catharina Junk wohl auch dazu entschieden, viele der Dialoge aus dem Original zu übernehmen. In den plattdeutschen Aussprüchen liegt die ganze Wahrheit verborgen, so manche Familiengeheimnisse oder verdeckte Liebesgeschichten, und noch einiges mehr: „Mensch wärmt Mensch“, sagt der jüngere Sönke (Rainer Bock) einmal, als er den neugeborenen Enkel fest an seine Brust drückt. In dem Moment weiß er längst, dass er den Jungen wie einen Sohn großziehen wird, weil seine Tochter Marret (Gro Swantje Kohlhof) in ihrer eigenen Welt lebt, von der sie stets glaubt, dass sie bald untergeht.
Hansens Kunst liegt in der geschickten Verflechtung der verschiedenen Zeitebenen, woran bereits der Fernsehzweiteiler Altes Land scheiterte, der sich an ihrem Debütroman versuchte. Und auch Jessens Film tut sich einigermaßen schwer damit, der komplexen Struktur zwischen gestern und heute Herr zu werden. Sein größeres Problem sind jedoch die Figuren selbst, denen im Roman eine viel größere Authentizität eingeschrieben ist, als der bisher vor allem TV-erfahrene Regisseur ihnen auf der Leinwand einzuhauchen vermag. Ein paar starke Momente lassen sich zwar ausmachen, aber insgesamt wirkt sein Film zu blass und zu bemüht, um dem besonderen Charme des Romans tatsächlich nahe zu kommen.