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Rheingold

Rheingold | Interview

Fatih Akin im Gespräch

| Marc Hairapetian |
Fatih Akin über seinen neuen Film "Rheingold", vorherige Regiearbeiten und persönliche Erinnerungen

„Rheingold“ ist Ihrem Vater gewidmet, der während der Dreharbeiten verstarb. Zuerst einmal mein aufrichtiges Beileid. War das nicht ungemein schwer, den Film zu Ende zu bringen?
Fatih Akin: Ja, es war natürlich sehr schwer. Mein Vater starb am 24. Oktober letzen Jahres, zwei Tage vor seinem 79. Geburtstag. Er ist nicht Jahrgang 1943 gewesen, wie in seinem Pass steht, sondern 1942. Er war nicht krank, war aber jederzeit bereit zu gehen, so nach dem Motto: „Es könnte jeden Moment vorbei sein.“ Er sagt auch in Kurz und schmerzlos (Fatih Akins erster langer Spielfilm; Anm.) diesen denkwürdigen Satz: „So wie ein Film zu Ende geht, geht auch irgendwann das Leben zu Ende.“ Und so ist es auch wirklich mit ihm zu Ende gegangen. Mein Vater hat noch seine Memoiren verfasst. Und da schreibt er, dass er eigentlich in den Wintermonaten 1942 geboren sei, dass sein Vater ihn aber später eingetragen habe, damit er nicht so früh zum Militär muss und länger Geld verdienen kann für die Familie. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis, da werde ich nie wirklich darüber hinweg sein.

Auch wenn es nicht einfach fällt, aber kommen wir auf Ihren neuen Film zu sprechen. Weite Teile sind wie ein Mafia-Epos inszeniert, aber der Anfang, der im Iran und im Irak spielt, hat Politthriller-Elemente. Beim Sehen habe ich gedacht: Martin Scorsese trifft auf Costa-Gavras. Können Sie mit dieser Analogie etwas anfangen?
Auf jeden Fall. Der Film sprüht doch nur so vor Filmzitaten und drückt meine Liebe zum Kino sehr gut aus.

Ist „Rheingold“ also auch ein Genre-Film?
Es verhält sich so: Die Idee war eigentlich, als ich das Buch von Xatar gelesen habe, dass alles so aussehen sollte, als ob der Zuschauer durch Landschaften fährt, aber da sind nicht Berge und Flüsse, sondern Genres. Da ist ein Politthriller, da ist ein Jugendgang-Film beziehungsweise eine Coming-of-Age-Geschichte, aber auch ein Musikfilm. Ich wollte schon immer einen Film über Yilmaz Güney machen – und er hat seinen Film Yol – Der Weg ähnlich, wie es sich bei Xatar mit der Musik verhält, aus dem Knast gemacht. Er hat ihn nicht selbst inszenieren können, aber sein Drehbuch wurde aus dem Gefängnis geschmuggelt. Und hier bei Rheingold konnte ich eben jetzt einen Film über einen anderen Kurden machen …

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… der auch im Gefängnis saß. Das erinnert auch an Costa-Gavras und seinen legendären Politthriller „Z“, bei dem der in Griechenland inhaftierte Komponist Mikis Theodorakis, den Score herausschmuggeln lassen musste. Schwingt bei Ihnen nach der intensiven Beschäftigung mit Xatar auch Bewunderung für ihn mit?
Klar. Bewunderung vor allem, so ein Leben gelebt zu haben. Eigentlich sind es sogar drei oder vier Leben. „Die ersten Erinnerungen meines Lebens sind die Erinnerungen an das Gefängnis“ – das ist der erste Satz in seinem Buch. Das Buch ist viel „pulp“, aber der Satz ist ganz schön krass. Genau wie er das alles überstanden hat und nicht geredet hat unter Folter. Sagen wir es mal so: Das finde ich schon alles sehr faszinierend.

Und seid Ihr jetzt dicke Freunde?
Ja. Mein Vater ist gestorben und eine Woche später ist sein Sohn geboren. Er fragte mich: „Wie hieß denn dein Vater?“ „Enver“, antwortete ich. Und dann hat er beim Zweitvornamen seinen Sohn „Anvar“ genannt, während wir weiterdrehten. Das heißt „Der Erleuchtete“ und das war mein Dad!
G (Abkürzung für Giwar Hajabi, der bürgerliche Name von Xatar; Anm.) und ich sind inzwischen tief verbunden. Rheingold war kein Auftragsfilm, es war nicht so, dass Xatar mit zwei Koffern voller Geld kam und sagte: „Hier! Dreh mir mal mein Leben!“ Ich las einfach sein Buch und wusste: „Das will ich verfilmen!“

Hatten Sie schon vorher seine Musik gehört?
Ich kannte die Musik nicht so gut, ich hörte kaum Deutsch-Rap. Jetzt höre ich das Zeug.

Und gefällt es Ihnen?
Es gibt Platten, die finde ich großartig, wie alle Platten von Haftbefehl. Er ist der Johnny Cash des deutschen Rap. Eno habe ich neu entdeckt für mich. Xatar und ich haben einen gemeinsamen wichtigen Freund, Moritz Bleibtreu. Dieser hat den von Özgür Yildirim gedrehten Film Nur Gott kann mich richten produziert und Xatar hat darin mitgespielt und einige Songs dazu beigesteuert. Auch Familye von Kubilay Sarikaya und Sedat Kirtan über Kleingangster in Berlin-Spandau hat Moritz produziert, während Xatar wieder mitgespielt hat.

Emilio Sakraya, der Xatar verkörpert, musste für „Rheingold“ im Wortsinn Haare lassen.
Er ist einfach ein hervorragender Schauspieler. Die Szenen, wo er im Film noch Haare hat, haben wir als Erstes gedreht. Und dann hat ihm Xatar die Glatze rasiert.

Kann er das?
Der war im Gefängnis! Da gibt es nicht viel, was er nicht kann.

Emilio Sakraya überzeugt dadurch, dass er bei seiner Darstellung nicht auf Sympathie und Gefälligkeit setzt. Selbst in der Endsequenz, wo er glücklich vereint zusammen mit seiner Frau und Tochter zusammensitzt, hat er ein Pokerface. Er ist in „Rheingold“ mehr Antagonist als Protagonist …
Als Gangsterrapper Xatar gibt es bei ihm auch Grenzen. Das sieht man in den Mafia-Szenen. Das ist Punkt, wo er erkennt: Das ist nicht meins. Das ist nicht mein Leben. Emilio hat soviel mitgebracht in Rheingold. Er hat sogar seinen eigenen Bruder ans Set geschleppt, der auch im Film mitspielt.

Es gibt in Ihrem Film heftige Gewalt. Schockierend sind etwa die Folterszenen im Irak, wenn dem dort inhaftierten Xatar von einem Wärter ein Zahn mit einer Zange gezogen wird. Ist am Set die Stimmung bei solchen Szenen gedrückt oder eher nicht, weil das vom Drehen her ein technischer Vorgang ist?
Letzteres. Es ist sehr technisch und wir haben viel am Set gelacht dabei. Ich habe bei Der Goldene Handschuh gelernt, viele gewalttätige Szenen nicht explizit zu zeigen. In der Andeutung liegt der eigentliche Horror, der sich im Kopf des Zuschauers weiterspinnt.

Für „Der Goldene Handschuh“ haben Sie insgesamt betrachtet viel Kritik einstecken müssen.
Von meinen eigenen Produktionen ist Der Goldene Handschuh mein Lieblingsfilm.

Ich persönlich finde neben „Der Goldene Handschuh“ ihren Debütfilm „Kurz und schmerzlos“ und „The Cut“ über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich am besten, der in Deutschland von vielen Kritikern auch negativ bewertet wurde.
Fast zehn Jahre nachdem ich The Cut gedreht habe, werde ich immer wieder auf ihn angesprochen. Wenn ich nach Frankreich gehe, sagt mir wirklich jeder Armenier, der den Film gesehen hat, wie viel er ihm bedeutet. Und auch Xatar, der Kurde ist, sagte, als er gefragt wurde, was sein Lieblingsfilm von mir ist: The Cut!

Sie haben „Gegen die Wand“ noch nicht erwähnt. Gehört dieser fulminante Erfolg nicht zu Ihren eigenen Lieblingsfilmen?
Meine Filme sind alle meine Kids. Ich gucke die ja ganz anders: Ich sortiere mein Leben nach den Filmen, die ich gedreht habe. Das ist immer ganz hilfreich. Jeder von meinen Filmen, der immer für eine bestimmte Lebensphase bei mir steht, ist, wenn ich ihn mir nochmals anschaue, ein Ansporn es beim nächsten Mal besser zu machen. Ich unterscheide auch zwischen Originalstoffen und Fremdstoffen. The Cut war basierend auf historischen Fakten ein Originalstoff. Soul Kitchen ist ein sehr persönlicher Film. Auch Gegen die Wand. Tschick (die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Wolfgang Herrndorf; Anm.) hingegen ein Fremdstoff, eine Auftragsarbeit, die ich aber gern gemacht habe. Auch Rheingold ist kein Originalstoff.

Warum nehmen Sie seit geraumer Zeit immer wieder sogenannte „Fremdstoffe“ an?
Ich kann nicht darauf warten, dass mich die Muse mit Originalstoffen küsst. Das passiert heute eher alle sieben Jahre. Früher, als ich jünger war, hatte ich mehr zu erzählen.

Haben Sie wirklich jetzt weniger zu erzählen?
Originalstoffe sind wie Pickel – in der Jugend hast du mehr davon. Ich habe viele Sachen, die mir wichtig sind, schon erzählt. Und ich hasse es, mich zu wiederholen. Es gibt einen Ausspruch bei Rappern: „Je reicher der Rapper, desto schlechter die Platte, die dabei herauskommt.“ Jetzt bin ich nicht reich, doch mein Leben bewegt sich viel in der Filmwelt, aber ich will keine Filme über Regisseure in der Krise machen wie es Paolo Sorrentino oder Alejandro González Iñárritu tun. Die Phase, in der ich mich befinde, legt den Fokus mehr auf das Handwerk. Der Goldene Handschuh gefällt mir deshalb am besten, weil er vom Handwerklichen der Höhepunkt meines bisherigen Schaffens ist.

Jetzt startet erst einmal „Rheingold“ in den Kinos. Doch was wird Ihr nächster Film sein?
Ich werde nach einem Drehbuch von Hark Bohm eine Kindheitsgeschichte von ihm namens „Amrum“ auf die Leinwand bringen. Diese spielt auf der gleichnamigen Nordseeinsel in der letzten Woche des Zweiten Weltkriegs. Das ist wirklich sehr weit weg von meinen Originalstoffen.

Apropos Originalstoffe: Sie waren in Hamburg selbst in einer Hamburger Jugendgang. Auch wenn „Rheingold“ von Xatars Leben erzählt, fließen da nicht persönliche Erlebnisse von ihnen ein?
Doch, klar. Bestimmte Sachen, die ich selbst in meiner Jugendzeit erlebt habe, sind in die Inszenierung eingeflossen. Als Xatar das gesehen hatte, bestätigte er dies: „Genauso war es auch bei mir.“ Es gibt also Dinge bei Kleinkriminellen, die sich universell wiederholen. (Lacht.) Ich hatte beispielsweise eine Szene mit Nunchakus geschrieben, die der Schere zum Opfer gefallen ist. In ihr wird von der Bande das „Würgeholz“ mittels eines zersägten Besens und einer Haustürkette hergestellt. Doch beim ersten Schlag geht sie gleich kaputt. Vielleicht hätte ich sie drin lassen sollen. Fast alle Kampfszenen in Rheingold sind ein Tribut an Yoo Has südkoreanischen Action-Klassiker Once Upon a Time in Highschool: The Spirit of Jeet Kune Do aus dem Jahr 2004. Der hat am Ende wirklich die besten Schlägereien der Filmgeschichte!