Die Diagonale-Schiene „In Referenz“ ist der Schauspielerin Marisa Mell gewidmet. Das Filmarchiv Austria zeigt zwischen 30. März und 23. April „Marisa Mell – Ein Weltstar aus Graz“.
In den sechziger und siebziger Jahren gab es zwar nicht übermäßig viele, aber im Verhältnis zur Einwohnerzahl doch gar nicht so wenige österreichische Schauspielerinnen, die weltweit reüssieren konnten. Senta Berger drehte u. a. in den USA, Großbritannien oder Italien, Loni von Friedl war wie die Doppelstaatsbürgerinnen Maria Schell (Österreich-Schweiz) und Christine Kaufmann (Österreich-Deutschland) in einigen internationalen Produktionen zu sehen, und Romy Schneider, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft inne hatte, sich aber laut Regisseur Costa-Gavras als Österreicherin fühlte, lieferte – nach Hollywood-Abstechern – im französischen Kino eindrucksvolle Leistungen ab. Zu den Filmgattungen, in denen die Genannten auftraten, gehörten u. a. Dramen, Thriller, Kriegs- und Historienfilme, aber auch Komödien. Die gebürtige Oberösterreicherin Sybil Danning sollte sich nach kleineren Auftritten bei renommierten Regisseuren wie Edward Dmytryk, Claude Chabrol oder Richard Lester ja vor allem auf körperintensive Auftritte in B-Movies konzentrieren.
In allen genannten Genres war auch Marisa Mell zu sehen, der die Diagonale in Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria die Reihe „In Referenz“ widmet: Mell (1939–1992) war eine talentierte, charismatische und wunderschöne Mimin, die in künstlerisch anspruchsvollen Filmen ebenso dabei war wie in später zum Kult gewordenen Produktionen. Außerdem trat sie in dem einen oder anderen Werk auf, das man früher „Schundfilm“ zu nennen pflegte – und hatte über die Jahre nicht wenige Nacktszenen.
In Graz als Marlies Therese Moitzi geboren, besuchte Mell zunächst die dortige Schauspielschule und später das Max-Reinhardt-Seminar in Wien (wo Senta Berger ihrer Jahrgangsstufe angehörte). Die Entscheidung, einen Künstlernamen zu führen, zeugt bereits von großem Ehrgeiz, vom Wunsch, über die Grenzen ihres Heimatlandes hinaus bekannt zu werden: „Mein Name ist zu steirisch und international nicht zu gebrauchen“, vertraute sie ihrer Freundin Erika Pluhar an (ein gewisser Arnold Schwarzenegger sollte einige Jahre später bekanntlich genau die gegenteilige Strategie verfolgen).
Der Ehrgeiz führte bald zu Bekanntheit – bereits zu Beginn ihrer Zwanziger war Mell gut im Geschäft und drehte eine Reihe von Filmen, die sich inhaltlich wie qualitativ stark voneinander unterschieden: Dazu gehörten u. a. sensationalistische Problem- und Kriminalfilme wie Wegen Verführung Minderjähriger (1960, R: Hermann Leitner), solide, aber konventionelle Komödien wie Der brave Soldat Schwejk, (1960, R: Axel von Ambesser) oder Heimatfilme wie Ruf der Wildgänse (1961, R: Hans Heinrich). Letzerer ist übrigens gar nicht mal so schlecht, wie das Genre vermuten lässt. Dazwischen gab es auch Anspruchsvolles, Forderndes: In Edwin Zboneks Am Galgen hängt die Liebe (1960), ein im Griechenland des Jahres 1944 angesiedeltes Partisanendrama, spielt sie überzeugend eine humanistisch gesinnte Kriegswitwe. Mell hatte auch eine Rolle in Ken Russells Regiedebüt French Dressing (1965), wobei die Komödie aber zu den schwächeren Arbeiten des späteren „Skandalfilmers“ zählt. Schade um die Gelegenheit, denn die an Brigitte Bardot angelehnte Rolle eines Filmstars, der im Rahmen eines Filmfestivals Gäste in eine Kleinstadt locken soll, hätte prinzipiell satirisches Potenzial gehabt. Besonders gut gebucht war Mell in den Sechzigern und frühen Siebzigern in italienischen Produktionen; in der deutschen Edgar-Wallace-Reihe trat sie zweimal auf, darunter in Das Rätsel des silbernen Halbmonds (Italien, BRD 1972, R: Umberto Lenzi), dem letzten Film der Reihe (vgl. dazu auch den artverwandten DVD-Tipp auf Seite 75).
Die Diagonale hat aus der umfangreichen Filmografie Mells (69 Filme) drei stilistisch sehr unterschiedliche Werke ausgewählt.
Pulp, Pop Art, Busenfilm
Im chronologisch ersten Film, Das Nachtlokal zum Silbermond (AT 1959, R: Wolfgang Glück), war Mell noch blutjung; hier spielt sie Liliane, eines von fünf Mädchen, die von einer Tanz- und Gesangskarriere träumen. Die jungen Frauen werden an eine Spelunke im Orient vermittelt, wo man allerdings weniger an musischen Talenten, denn an äußeren Reizen interessiert ist – aufgezwungene Schulden sollen mit Striptease-Einlagen beglichen werden … Das Nachtlokal zählt unter den populären Mädchenhandel-Filmen der damaligen Zeit wohl zu den besten. Regisseur Glück, der sich später anspruchsvolleren Stoffen zuwandte, schuf eine durchaus ansprechende, pseudo-orientalische, großteils auf Innenräume fokussierte Pulp-Atmosphäre in Schwarzweiß. Dazu rollt das theatergeschulte Ensemble das „r“ dazu so charmant, wie man es von österreichischen Mimen dieser Zeit erwartet. Mells Rolle als naives Mädchen ist zwar nicht unbedingt mehrdimensional, doch die Schauspielerin – neben ihr sind u. a. Loni von Friedl und Fritz Muliar zu sehen – demonstriert mit diesem frühen Auftritt bereits, dass sie das gewisse Etwas hat.
Der beste der drei gezeigten Filme ist Mario Bavas Diabolik / Gefahr: Diabolik! (ITA 1968). Der vielseitige italienische Regisseur, der in den Genres Italowestern, Giallo, Horror und Science-Fiction tätig war – sein Film Terrore nello spazio / Planet der Vampire (1965) weist diverse Elemente auf, die sich später in Ridley Scotts Alien finden sollten – realisierte mit diesem Film einen wahren Pop-Art-Traum, einen Zelluloid gewordenen Comic (tatsächlich basiert Diabolik auf einer entsprechenden italienischen Vorlage). Mell spielt hier eine Figur namens Eva Kant, die Geliebte und Komplizin des titelgebenden Superschurken (John Phillip Law). Dieser dreht, unterstützt von technischen Gadgets, ein Superding nach dem anderen. Reichtum ist dabei nur ein angenehmer Nebeneffekt, denn der Verbrecher scheint, ähnlich wie der französische Kollege Fantômas, vor allem sein Ego durchsetzen und die Polizei (als Inspektor agiert Michel Piccoli) narren zu wollen. Mell sieht in diesem Film – wie so oft – unglaublich gut aus, ist dabei aber mehr als bloßer Aufputz. Ihre Sexualität und ihre Ausstrahlung sind Waffen, ihr Auftreten – oft posiert sie breitbeinig – überaus selbstbewusst. Der von seinen Zutaten her auch mit der Bond-Reihe verwandte Film, der nicht zuletzt durch großartige Ausstattung und coole Kameraperspektiven besticht, ist längst Kult und zweifellos eines der der Highlights in Mells Filmografie.
Wahrer Trash ist dagegen Franz Antels Casanova & Co. (AT, IT, FR 1977), worauf schon zahlreiche Alternativtitel wie Hilfe, ich bin eine männliche Jungfrau, Sex on the Run oder Some Like It Cool hinweisen. Obwohl Viel- und Unterhaltungsfilmer Antel hier ein hohes Budget zur Verfügung hatte, an Originalschauplätzen wie Venedig drehte und internationale Stars an Bord holte (u. a. Tony Curtis, Marisa Berenson, Britt Ekland, Hugh Griffith), erhebt sich der Film nicht über das Niveau seiner anderen Sex-Klamotten. Die Geschichte um den gealterten, mittlerweile impotenten Casanova und seinen triebhaften jüngeren Doppelgänger verliert sich in Banalitäten, woran auch eingestreute anachronistische Gags (teils visuell, teils in der deutschen Synchronfassung; beispielsweise ist von der Pille die Rede) nichts ändern können. Viel hat Mell in ihrer Rolle als Herzogin und Ex-Geliebte Casanovas nicht zu tun, und auch der großartige Komponist Riz Ortolani war von dem Stoff nicht übermäßig inspiriert. Einzelne Passagen in der deutschen Version vermögen immerhin durch die skurrilen Schnodderdeutsch-Einfälle der Blödel-Synchron-Legende Rainer Brandt ein (sanftes) Schmunzeln auszulösen (in Graz gezeigt wird die englische Fassung). Für Schundfreunde ist der Film sicherlich ein Fest, wer Mell allerdings in einem etwas besseren Casanova-Filme sehen möchte, sollte sich Mario Monicellis Komödie Casanova ’70 zu Gemüte führen, in der sie an der Seite von Marcello Mastroiani und Virna Lisi zu sehen ist. Ihr Auftritt bei Antel markierte jedenfalls schon eine unübersehbare Abwärtsspirale: Als ab Ende der siebziger Jahre die Angebote zurückgingen, nahm Mell viele Rollen an, um im Geschäft zu bleiben – darunter in Filmen, die Titel wie Sündige Matratzenhäschen aus Venedig (Peccati a Venezia) oder Flotte Teens – runter mit den Jeans (La liceale al mare con l‘amica di papà) trugen.
Privat hatte Mell immer wieder mit Schicksalsschlägen zu kämpfen, darunter eine nach vier Jahren gescheiterte Ehe und der Tod einer frühgeborenen Tochter; Gesichtsverletzungen, die sie in den sechziger Jahren bei einem Autounfall erlitten hatte, konnten durch mehrere Operationen beseitigt werden. In ihren letzten Lebensjahren zog Mell, die einige Jahre in Rom verbracht hatte und auch ein Drogenproblem überwand, zurück nach Wien, wo sie in relativer Armut lebte, am Vienna’s English Theatre spielte, malte und eine Autobiografie verfasste. Ihren letzten Auftritt hatte Mell 1991 in der Komödie I love Vienna (R: Houchang Allahyari), 1992 verstarb sie an Speiseröhrenkrebs.
Wollte man versuchen, ein Fazit dieser gar nicht leicht einzuordnenden Karriere zu ziehen, dann vielleicht jenes, dass Marisa Mells außerordentlich gutes Aussehen Fluch und Segen zugleich bedeutete. Ihr Talent und ihre Ausstrahlung waren groß – mit ein, zwei weiteren Rollen in anspruchsvollen Film hätte ihre Karriere auch anders aussehen können. Sehr oft wurde sie als sexy Femme fatale eingesetzt – eine Rolle, die sie zwar mehr als überzeugend zu gestalten verstand, die auf Dauer aber auch zu schauspielerischer Unterforderung führte.
„Pater Laun, der Pfarrherr vom Kahlenbergerdorf (…) hat Marisa dieses Grab geschenkt, es war nötig, Freundin dir ein Grab zu schenken, in Armut bist du gestorben“, schrieb Erika Pluhar in ihrem Erinnerungsbuch „Marisa. Eine Freundschaft“. Man hätte Marisa Mell ein längeres Leben und einige spannende Charakterrollen gewünscht.
Doku „Feuerblume“, Ausstellung „Magic Marisa“
Neben den drei Spielfilmen zeigt die Diagonale auch einen aktuellen Dokumentarfilm über die Mimin: In Feuerblume – Die zwei Leben der Marisa Mell (AT 2023, R: Markus Mörth) erzählen Mells Cousine, Freundinnen und Freunde von ihren Erinnerungen an den Star. Neben den oben schon erwähnten Schauspielerinnen Senta Berger und Christine Kauffmann macht sich auch Erika Pluhar Gedanken über Mells Filme und die Rolle der Frau in den Produktionen jener Zeit. Im Anschluss an das Screening ist ein Publikumsgespräch mit Pluhar geplant.
Ergänzend zur Filmschau gibt es im Graz Museum mit „Magic Marisa“ eine Ausstellung zu Leben und Werk der Schauspielerin. Mells wendungsreiche Karriere und ihr Leben wird anhand von Fotografien, Filmen und Erzählungen von Wegbegleitern nachgezeichnet. „Zugleich erzählt die Ausstellung eine kleine Geschichte über die Glanzzeit des italienischen Kinos der Nachkriegszeit aus der Perspektive einer beeindruckenden Frau, die mit allen Mitteln dagegen kämpfte, abgeschrieben und vergessen zu werden“, heißt es im Ankündigungstext. Ein größeres Programm zur Schauspielerin zeigt im März und April das Filmarchiv Austria, die Filmliste findet sich am Ende dieses Artikels.
Ludwig Wüst, Goran Rebić
Außerdem im Diagonale-Programm „In Referenz“ zu sehen sind Ludwig Wüsts Studien ABC (Wüsts Film I AM HERE! läuft im Wettbewerbsprogramm). ABC fungiert als Reise durch das langjährige Filmschaffen des Solitärs; zu den versammelten filmischen Fragmenten zählen dabei u. a. Wüsts erste, Ende der neunziger Jahre entstandene Videoarbeiten, die als Studien zu Ägyptische Finsternis (2002) dienten.
Die Reihe „Zur Person“ ist dem 1968 im jugoslawischen Vršac geborenen Goran Rebic´ gewidmet. Mit seinem Werk, das sich zwischen Kurz-, Dokumentar- und Spielfilm bewegt, fing der Filmemacher gesellschaftliche und politische Umbrüche im Europa respektive Eurasien der neunziger und frühen nuller Jahre ein. Mit der Diagonale verbindet der Filmemacher sicherlich gute Erinnerungen, erhielt er auf dem Festival doch im Jahr 2000 den Großen Diagonale-Preis für The Punishment, ein dokumentarisches Porträt der „verlorenen Generation“ Belgrads. Als Erweiterung des Programms wird auf Wunsch Rebic´s der Spielfilm Le Thé au harem d’Archimède (Frankreich 1985, R: Mehdi Charef) gezeigt, der sich dem Leben zweier Jugendlicher in den Banlieues von Paris widmet. Die Mischung aus Realismus und einer gewissen Traumhaftigkeit lässt sich dabei durchaus auch in Rebic´s Werk finden.