Schön, kühl und begehrenswert: Catherine Deneuve ist die Grande Dame des französischen Kinos. Seit über sechzig Jahren dreht sie Filme, 143 immerhin, und ein Ende ist nicht abzusehen. Am 22. Oktober wird sie 80 Jahre alt.
Auch wenn sie behauptet, keine Diva zu sein – sie ist es natürlich doch. Als Catherine Deneuve im Oktober 2015 zu Interviews nach Hamburg kommt, lässt sie die Journalisten lange warten. Doch kaum hat sie den Raum betreten, füllt sie ihn mit ihrer Ausstrahlung und Präsenz. Sie gibt jedem Kollegen die Hand und sieht ihn dabei freundlich an – von Kühle, die so gern zur Beschreibung ihres Temperaments angeführt wird, keine Spur. Wie selbstverständlich zündet sie sich zu Beginn des Gesprächs eine Zigarette an, später noch eine – wer wollte es ihr verbieten? Ihre Antworten sind manchmal etwas kurz geraten. Fragen, die ihr zu weit gehen, lehnt sie freundlich, aber bestimmt ab. Als Grande Dame des französischen Kinos, die mit den besten Regisseuren der Welt zusammengearbeitet hat, muss Catherine Deneuve nicht mehr alles mitmachen.
Apropos Kühle: „Ein glühender Eisberg ist sie und ein kalter Vulkan, ein tiefer See, dessen Oberfläche sich nur unmerklich kräuselt, ein flaches Gestade mit Spuren im Sand“, schreibt Peter W. Jansen in einem Essay, der 1998 zur Deneuve-Hommage der Berlinale erschien, um dann auf die Vielfalt ihrer Rollen zu verweisen, vom jungen Mädchen bis zur Hausfrau und Mutter. „In jedem nächsten Film kann sie eine andere sein und bleibt doch sie selbst“, schlussfolgert Jansen, und das ist das eigentlich Faszinierende an dieser Karriere, die nun schon weit über 60 Jahre andauert: Catherine Deneuve liebt die Gegensätze, sie kann ebenso verrucht sein wie distinguiert, ebenso unnahbar wie geheimnisvoll, ebenso leidenschaftlich wie unterkühlt. Catherine Deneuve ist eine großartige Schauspielerin, das darf man einmal so bewundernd konstatieren, nicht zu vergessen ihre außergewöhnliche Schönheit, die als Resonanzboden für zahlreiche Sehnsüchte fungiert. Vielleicht ist sie von allen kühlen Blondinen – Grace Kelly, Eve Marie Saint oder Tippi Hedren, jene ikonischen Hitchcock-Schauspielerinnen – die kühlste. In ihren besten Filmen ist sie auf Augenhöhe mit den bezauberndsten Frauen des Kinos, schön, reserviert, atemberaubend. Manchmal möchte man gar nicht glauben, dass sie noch nie Theater gespielt hat, so vielfältig ist ihr Rollen-Repertoire, so divers ihr Können. Doch Deneuve leidet an Lampenfieber. „Ich mag es nicht so sehr, auf der Bühne zu stehen und angeschaut oder angehört zu werden. Aber ich gehe gern ins Theater“, gesteht sie.
Catherine Deneuve hat mit den wichtigsten europäischen Regisseuren zusammengearbeitet, von Jacques Demy bis Roman Polanski, von Luis Buñuel bis Jean-Pierre Melville, von François Truffaut bis Marco Ferreri, später, im neuen Jahrtausend, kommen Regisseure wie François Ozon oder Lars von Trier hinzu. 143 Filme weist die Internet Movie Database aus. Doch welche soll man herauspicken? Als großer Fan von Jacques Demy, ihr erklärter Lieblingsregisseur, schätze ich natürlich Die Regenschirme von Cherbourg (Les parapluies de Cherbourg, 1963) und Die Mädchen von Rochefort (Les demoiselles de Rochefort, 1966). Musicals sind das, in denen die Dialoge ausschließlich gesungen werden – auch wenn Catherine Deneuve in letzterem nur tanzen, nicht aber singen durfte. Immerhin brachte sie dieser Film mit ihrer älteren Schwester Françoise Dorléac zusammen. Die Geburt eines Traumpaares, wie Peter W. Jansen anregt, doch Françoise starb im Jahr darauf bei einem Autounfall. Zwischendurch, 1965, dreht Catherine Deneuve Ekel (Repulsion) für Roman Polanski, die Geschichte eines Mädchens, das in einem Apartment in London den Verstand verliert und zwei Männer tötet. Catherine Deneuve unterstreicht die Reinheit und die Unschuld ihrer Figur – zu Beginn noch sensibel und gedankenverloren, bis sich die Anzeichen häufen, das mit ihr etwas nicht stimmt. Am Schluss versteckt sie sich unter einem Bett, die Augen weit aufgerissen, der Körper starr. Deneuves berühmteste Rolle ist wahrscheinlich die Titelfigur aus Belle de jour (1966) von Luis Bunuel. Sie spielt Séverine, Frau eines Chirurgen, die sich tagsüber als Gelegenheitsprostituierte verdingt und so ihre masochistischen Fantasien erfüllt. Berühmt geworden ist jene Szene, in der sie im Freien an einen Pfahl gefesselt ist, die Arme nackt nach oben gerichtet, und mit Schlamm beworfen wird. Für Bunuel wird sie noch Tristana (1969) drehen, in dem sie sich gegen das Begehren von Fernando Rey wehren muss. Auch hier macht sie eine Wandlung durch, von dem unschuldigen Mädchen mit Pferdeschwanz und altmodischen Hut zur überlegen-kaltblütigen Frau, die ihren Körper selbstbewusst einem Jungen zeigt.
Zwei Filme für Marco Ferreri, den großen Außenseiter des italienischen Kinos: In Allein mit Giorgio (La cagna, 1972) unterwirft sich die Deneuve dem Mann, indem sie seinen Hund tötet und dessen Platz einnimmt, Berühre nicht die weiße Frau (Non toccare la donna bianca, 1974) hingegen ist ein Western, der mitten in Paris in einer riesengroßen Baugrube die letzte Schlacht von General Custer am Little Big Horn nachstellt. Robert Aldrich lockt sie 1975 für Straßen der Nacht (Hustle) nach Hollywood, wieder spielt sie eine Edel-Prostituierte, diesmal an der Seite von Burt Reynolds. Ebenfalls in den USA entstand Tony Scotts Begierde (The Hunger, 1982). Unvergessen, wie sie als Vampirin im engen Ledermini, unterstützt von David Bowie, wildfremden Menschen das Blut aussaugt. Zwischendurch ihre vielleicht besten Filme, Truffauts Die letzte Metro (Le dernier métro, 1980) und Wahl der Waffen (Le choix des armes, 1981) von Alain Corneau, in dem sie als Frau von Yves Montand nicht verhindern kann, dass Gérard Depardieu als junger Gangster ihr Leben zerstört. In Indochine, einem populären, oscarprämierten Kolonialdrama, spielt sie 1993 überzeugend die Besitzerin einer Kautschukplantage. Weitere wichtige Filme: Diebe der Nacht (Les voleurs, 1996) von André Téchiné, natürlich Ozons 8 Frauen (8 femmes, 2002), in dem sie die ältere (Danielle Darrieux) und die jüngere Generation (Virginie Ledoyen) zusammenhält, Ozons Das Schmuckstück (Potiche, 2010), in dem sie einen knallroten Trainingsanzug trägt, vielleicht noch Madame empfiehlt sich (Elle s’en va, 2013) von Emmanuelle Bercot, in dem sie als 60-Jährige einfach in einen Mercedes steigt und ihrem Alltag entflieht, und Der Flohmarkt der Madame Claire (La dernière folie de Claire Darling, 2018) von Julie Bertuccelli, in dem sie ihren ganzen Besitz verkauft, weil sie glaubt, sterben zu müssen. Was für eine Karriere! Und wieder macht Catherine Deneuve eine Wandlung durch, von den unabhängigen, leidensfähigen Frauen zu jenen Damen, die sich mit ihrem Älterwerden abfinden müssen.
80 Jahre alt wird Catherine Deneuve in diesem Monat, und immer noch dreht sie Filme, einige kommen bald ins Kino, zwei sind noch in der Postproduktion. Bereits 2015, im bereits erwähnten Gespräch, bestätigte sie ihre Weigerung, mit der Arbeit aufzuhören: „Ich liebe das Kino. Ich spreche mit Kollegen, mit Regisseuren, ich bin mit auch Technikern befreundet. Es ist einfach Teil meines Lebens. Ich gehe viel ins Kino. Ich kann mir nicht vorstellen, mich in einem Haus auf dem Land zurückzuziehen und um Tiere oder den Garten zu kümmern.“ Für die Rente ist Catherine Deneuve nicht geschaffen.