Mit „Rickerl“ setzt Adrian Goiginger eine stimmige Milieustudie in Szene. Ein Gespräch über Musik, Nostalgie und das Tragikomische.
Ein Wiener Liedermacher träumt vom Durchbruch, aber seine alkoholgetränkten Beisltouren sorgen nicht gerade für eine große Karriere. Auch das Verantwortungsbewusstsein für seinen kleinen Sohn Ben lässt sehr zum Leidwesen der getrennt lebenden Mutter Viki (Agnes Hausmann) zu wünschen übrig. Der Salzburger Filmemacher Adrian Goiginger setzt mit seinem vierten Film nach den schwierigen Kindheitserinnerungen in Die beste aller Welten, der Aussteigerballade Märzengrund und dem Kriegsdrama Der Fuchs auf humorvollere Töne, auch wenn die Milieustudie um den titelgebenden Musiker Erich „Rickerl“ Bohacek – gespielt von Austropop-Star Voodoo Jürgens – durchaus ihre dunklen Seiten hat. Die Jury des Erste Bank Filmpreises der eben zu Ende gegangenen Viennale attestierte dem autodidaktisch geprägten Regisseur dabei „einen ethnologischen Blick“ auf Wiens Ränder, der ohne viel Klischee auskommt. Dies überzeugte: Der zum 13. Mal verliehene, von der Erste Bank initiierte und gestiftete Preis ging an Rickerl (wobei es mit Martha Mechows ausgelassen-performativem Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin heuer einen gleichgestellten zweiten Gewinnerfilm gibt), und ermöglicht Adrian Goiginger damit einen Aufenthalt in New York City. Man darf gespannt sein, was die Beschäftigung mit diesem doch noch einmal völlig anderen urbanen Raum hervorbringen wird. Zum Kinostart geht es aber weiterhin um die österreichische Hauptstadt-Seele: Im Gespräch erzählt Goiginger von den musikalischen Inspirationen des Films, der Zusammenarbeit mit Voodoo Jürgens und dem nostalgischen Wien, das er im Film wiederauferstehen lässt.
Was war zuerst da, Voodoo Jürgens oder die Geschichte über einen Musiker und seinen Sohn?
Adrian Goiginger: Voodoo Jürgens, tatsächlich. 2017 habe ich das erste Album gehört, „Ansa Woar“. Es ist so direkt ins Herz gegangen, vor allem durch die Melancholie und die bildhafte Sprache. Die ist schon sehr szenisch. Dann dachte ich: Vielleicht wird’s Zeit für einen Austropop-Film. Wir haben uns getroffen und Probeaufnahmen gemacht, dann haben wir uns gemeinsam die Story ausgedacht.
Wie kann man sich diesen Prozess der Zusammenarbeit vorstellen?
Adrian Goiginger: Wir haben verschiedene Storylines ausprobiert und uns dann peu à peu aneinander herangepirscht. Es waren immer einzelne Elemente, die wir drin haben wollten, zum Beispiel, dass er ein Kind hat – so ist es im echten Leben ja auch. Dass die Ex-Partnerin immer noch so eine große Rolle in seinem Leben spielt, dass er schon relativ spät dran ist mit der Karriere – das war im Leben von Voodoo Jürgens auch so, er war kein Rising Star mit zwanzig. Und dann haben wir geschaut, wo wir die Lieder einbauen können. Mir war es wichtig, dass man das Gefühl hat, die Lieder kommen von dem, was er erlebt. Aber Voodoo Jürgens hatte sehr viel Mitspracherecht bei verschiedenen Departments, viel mehr, als ich üblicherweise einem Schauspieler überlassen würde. (Lacht.) Er hat bei der Besetzung mitreden dürfen, beim Szenenbild, Kostüm, Drehorten. Mir war es wichtig, dass er sich wohlfühlt.
Bislang haben Sie ja Filme mit autobiografischem oder persönlichem Flair gedreht. Wo docken Sie beim „Rickerl“ an?
Adrian Goiginger: Wir haben einige biografische Überschneidungen, und ich glaube, darum hat mich das so angesprochen –Ådas ist zum einen das Familiäre: Er ist auch in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, sein Vater ist wegen Drogen im Gefängnis gewesen. Und mit der Musik, die er liebt, bin auch ich als Kind aufgewachsen: Wolfgang Ambros, Georg Danzer oder die Siebzigerjahre-Rockmusik. Und ich habe tatsächlich einige Sachen reinbringen können, die biografisch sind: Zum Beispiel nimmt Rickerl einen Job im Sexshop an – das hat meine Mutter ebenfalls gemacht, die hat mich auch ein paar Mal mitgenommen.
Sie haben Ambros und Danzer erwähnt, deren Lieder auch dieses Milieu beschreiben. Welche Songs waren für Sie wichtig?
Adrian Goiginger: Eine Inspiration war der Danzer-Song „Ruaf mi ned au“ – da singt er über seine Ex-Freundin, die einen reichen Typen mit Porsche kennenlernt und mit dem immer fein essen geht. Bei uns ist es auch so, dass die Ex mit jemandem zusammenkommt, der berufsmäßig erfolgreich ist, und es ist schwer für den Rickerl, das zu ertragen. Bei uns kommt natürlich noch dazu, dass es ein Deutscher ist. (Lacht.) Dann die Ambros-Lieder – da gibt es zum Beispiel eine Szene, wo er nach der Arbeit beim Würstelstand nachts durch Wien wandert und die Sonne geht auf, das war für uns immer „De Kinettn wo i schlof“. Es kommen ja auch andere Austropop-Songs im Film vor. Hans Orsolics, STS, Heinrich Walcher. Auch Voodoo Jürgens hat dazu beigetragen, dass wir versuchen, die Seele von diesen melancholischen österreichischen Liedern einzufangen.
Sie beschreiben den Film als einen Blick auf ein Wien, das nur noch in der Erinnerung existiert. Ist das nostalgisch betrachtet?
Adrian Goiginger: Eines der großen Themen des Films ist Nostalgie und das Leben in der Vergangenheit. Dieses Urige, Wienerische verschwindet immer mehr. Das ist ganz normal. Es gibt viel weniger klassische Stammkneipen, eine starke Gentrifizierung durch die Studenten, und so weiter. Für uns war es reizvoll, dieses alte Wien wiederherzustellen. Ein bisschen so, wie es etwa Woody Allen oder Richard Linklater machen. Die behaupten gar nicht, das sei das authentische Paris, Rom, oder auch Wien – sondern erschaffen eine Kunstwelt, wo die Figuren aber dann authentisch handeln. Bei uns ist es beispielsweise so beim Rauchen: Man darf in unserer fiktiven Welt überall noch rauchen, auch im Kino oder beim AMS. Und natürlich ist es auch an die Figur gebunden, weil der Rickerl mit der Gegenwart und der Zukunft nichts anfangen kann. Er lebt auch am liebsten in der Vergangenheit, weil damals noch alles besser war – redet er sich zumindest ein. Ich glaube, der Mensch verklärt die Vergangenheit immer ein bisschen romantisch. Filmisch finde ich das spannend.
Mit Voodoo Jürgens haben Sie einen sehr authentischen Protagonisten in dieser Welt. Was bringt er zu der Rolle, was ein „traditioneller“ Schauspieler nicht gebracht hätte?
Adrian Goiginger: Er hat eine wahnsinnige Ausstrahlung und er denkt nicht so technisch, er denkt sehr emotional. Seine Lieder sind natürlich Kern des Films, das kann niemand anders so machen. Diese Herzlichkeit, die er hat, übertragt sich dann hoffentlich auch in den Film und macht ihn als Protagonisten nahbar.
Wie sind Sie auf Agnes Hausmann gekommen, die hauptsächlich einen Theaterbackground hat?
Adrian Goiginger: Ich habe der Casterin gesagt, dass ich keine bekannten Schauspieler haben will in den kleineren Rollen. Ich wollte das ganz ehrlich und frisch von den Gesichtern her halten. Mir hat bei ihr gefallen, dass sie eine gute Chemie zum Rickerl hat, und dass man ihr diese zwei Seiten abkauft – dass sie früher auch gerne um die Häuser gezogen ist und jetzt ihrem Sohn zuliebe gesagt hat: „Nein, jetzt gehe ich in ein etwas faderes Leben mit einem normalen Job, aber dafür geht es meinem Kind gut.“
Durch „Die beste aller Welten“ haben Sie schon Erfahrung mit Kinderdarstellern. Wie schwierig war es, den Newcomer Ben Winkler zu finden?
Adrian Goiginger: Es war nicht leicht, weil das Kind musikalisch sein musste. Ben war fünf, als er zum Casting gekommen ist und hat dort ein Austropop-Lied und einen Rapid-Fangesang gesungen, da hat er gleich die ganzen Herzen gewonnen. (Lacht.) Dann hat er vier Monate lang Gitarrenunterricht gekriegt. Er hat ein Talent, die emotionalen Situationen zu begreifen und auch wirklich zu spielen. Er hat sich super mit dem Voodoo verstanden, die haben sich beide sofort geliebt. Die Eltern waren auch ganz unterstützend, das ist sehr wichtig. Man sagt ja, man castet die Eltern bei Kindern immer mit.
Sie haben den Film als Ihre erste Komödie angekündigt. Ich würde ihn sofort als Drama einordnen.
Adrian Goiginger: Im Kino bin ich wirklich überrascht, wie viel die Leute an allen möglichen Stellen lachen. Inzwischen würde ich wahrscheinlich sagen: Tragikomödie. Es ist deswegen eine Komödie, weil es humorvolle Szenen gibt, zum Beispiel eine Hochzeitsschlägerei. So habe ich früher nie gedacht, das wollte ich einfach mal ausprobieren. Es ist keine Schenkelklopferkomödie, sondern der Humor ergibt sich aus den Dialogen und aus dem, wie die Figuren ihr Leben und sich selber sehen, was meistens nicht der Realität entspricht. Ich habe mich da zum Beispiel an Ein echter Wiener geht nicht unter orientiert oder an Kaisermühlen Blues. Oder den legendären Alltagsgeschichten. Elizabeth Spira hat über zwanzig Jahre am Würstelstand, in der U-Bahn, im zehnten Bezirk einfach Leute interviewt – darunter auch viele traurige Schicksale, wo man sich denkt: Wirf doch dein Leben nicht so weg; aber dann wieder so viel Hoffnung und lebensbejahende und lustige Momente, dass man irgendwie immer zwischen Lachen und Weinen ist. Da habe ich teilweise sogar ein paar einzelne Sätze geklaut, die mir gefallen haben. (Lacht.)
Hoffnungsvoll ist der Film definitiv, es kommt letzten Endes nie zum Schlimmsten. In Ihren anderen Filmen scheint dieser Optimismus auch immer durch.
Adrian Goiginger: Ich glaube, es wird bei jedem meiner Filme immer irgendein Happy End geben, irgendeine Form von Hoffnung – egal, wie schlecht das Schicksal einem mitspielt oder wie viele Fehler man selbst macht. Beim Rickerl denkt man oft: „Geh bitte, krieg deinen Scheiß zusammen, wirf doch dein Talent nicht so weg!“ Aber die Gefahr ist nicht, dass sein Kind verlorengeht oder er seine Wohnung verliert, sondern eher, dass nichts passiert. Dass eine langsame Entfremdung zum Kind passiert – und dass das Kind auf einmal zwölf, dreizehn, vierzehn ist, und man hat nie eine Beziehung aufgebaut. Es sind nicht so oft diese dramaturgischen Plot-Points im Leben, sondern ganz oft ist es ein schleichender Prozess. Wenn man in diesen Beisln seine zweite Heimat findet, ist es gefährlich, weil man so langsam sein Leben versitzt. Es war auch mal im Drehbuch, dass er ganz drogensüchtig ist und dann obdachlos wird, und dann haben wir uns gedacht: Nein, das ist nicht das Leben.
Es geht ja auch darum, dass Rickerl wie sein Vater werden könnte. Man sieht ihn in zwanzig Jahren immer noch im Beisl sitzen und anderen kluge Ratschläge zu etwas geben, wovon er selbst keine Ahnung hat.
Adrian Goiginger: Richtig. Und es ist diese gefährliche Welt der Beisln – er hat da natürlich nur Freunde um sich, die ihm nichts Böses sagen würden. Ich kann das nur vergleichen mit der Drogenkommune, in der ich durch die Eltern aufgewachsen bin: Man will ja nicht, dass irgendjemand ausbricht und sein Leben komplett ändert, weil man dann einen Spiegel des eigenen Versagens vorgehalten kriegt. Man will nicht alleine Bier trinken, man will mit zehn anderen Leuten Bier trinken. Das hat schon eine gefährliche Sogwirkung. Ich wollte diese Stammtischrunde auch bewusst ganz herzlich zeigen – dass die ihn schon fast adoptiert haben, wie eine Art Schwiegersohn. Die werden ihm nie sagen: „Hearst, hör mal auf zu trinken.“