Josef Hader im Gespräch über seine zweite Regiearbeit „Andrea lässt sich scheiden“, die bei der Berlinale ihre Weltpremiere feiern wird.
Ein wenig wirken die beiden Polizisten, die an einer Landstraße in der niederösterreichischen Provinz stehen, wie Charaktere von Samuel Beckett. Denn ihr Auftrag, Fahrer, die sich nicht an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten, zu ermitteln, erscheint ein wenig sinnentleert, weil an diesem heißen Sommertag einfach kein Auto daherkommen will. Doch das scheint Andrea (Birgit Minichmayr) und ihren jungen Kollegen Georg (Thomas Schubert) wenig zu tangieren, mit geradezu stoischer Gelassenheit versehen sie ihren Dienst. Als die beiden doch noch einen Temposünder entlarven, ist das ausgerechnet der örtliche Tierarzt, der noch dazu wegen eines Notfalls mit einer kalbenden Kuh einen triftigen Grund für die Eile hat. Dass der Veterinär die Geldstrafe ungeachtet der Bekanntschaft zu den Beamten dennoch an Ort und Stelle entrichten muss, verbessert die Stimmung auch nicht gerade. Derartige Situationen sollen aber für Andrea schon bald der Vergangenheit angehören. Die dörfliche Gemeinde, die zugleich ihr Lebens- und Dienstort ist, möchte sie alsbald hinter sich lassen, um nach St. Pölten zu übersiedeln und als Kriminalbeamtin zu fungieren. Ein auch in privater Hinsicht klarer Schnitt, mit der Scheidung von ihrem Ehemann Andy (Thomas Stipsits) soll die Trennung endgültig vollzogen werden. Doch zuvor steht noch die Geburtstagsfeier ihres Kollegen Georg an, in deren Verlauf es zu einer unangenehmen Begegnung mit Andy, der das Scheitern der Beziehung nicht wahrhaben will, kommt. Als Andrea dem sturzbetrunkenen Andy die Autoschlüssel sicherheitshalber abnimmt, droht die Situation zu eskalieren. Schließlich macht er sich grummelnd zu Fuß auf den Heimweg. Nur wenig später verlässt auch Andrea das Fest, aber eine kurze Unaufmerksamkeit während der Fahrt auf der nächtlichen Landstraße hat fatale Folgen: Andrea überfährt ihren Noch-Ehemann und begeht im ersten Schock Fahrerflucht. Zu Hause angekommen erreicht Andrea alsbald die Nachricht von Andys Tod, worauf sie sich unverzüglich zur Unfallstelle aufmacht. Dort findet Andrea ein bizarr anmutendes Szenario vor: Der tote Andy wurde noch einmal überfahren, und nun hält man den Religionslehrer Franz (Josef Hader) für den eigentlichen Unfalllenker. Andreas Panikreaktion scheint also ohne Folgen zu bleiben, doch als ihr in den kommenden Tagen und Wochen nicht verborgen bleibt, wie schwer Franz von seiner – vermeintlichen – Schuld geplagt wird, fällt es ihr immer schwerer, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Josef Hader, einer der populärsten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum, zählt als Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur längst zu den unverrückbaren Größen unter Österreichs Filmschaffenden – und nicht nur dort. Zu den markanten Kapiteln dieser Erfolgsgeschichte zählen Hauptrollen in Indien (1993; R: Paul Harather), der filmischen Adaption des gleichnamigen von Hader und Alfred Dorfer verfassten Theaterstücks, Der Überfall (2000; R: Florian Flicker), Aufschneider (2010; R: David Schalko) oder Arthur & Claire (2017; R: Miguel Alexandre). Außerordentlich erfolgreich gerieten auch die Verfilmungen der „Brenner“-Romane von Wolf Haas (Komm, süßer Tod; Silentium; Der Knochenmann; Das ewige Leben), in denen Hader nicht nur den ungewöhnlichen Privatdetektiv Brenner verkörpert, sondern auch gemeinsam mit Regisseur Wolfgang Murnberger und Haas die Drehbücher verfasst hat.
Im Rahmen der Landkrimi-Reihe war Josef Hader in Der Tote am Teich sowie Der Tote am See zu sehen. Hochgelobt wurde er zudem für seine Darstellung Stefan Zweigs in Maria Schraders Vor der Morgenröte. 2017 feierte Hader mit Wilde Maus sein Regiedebüt, für das er auch das Drehbuch verfasste und die Hauptrolle übernahm. In seiner zweiten Regiearbeit, Andrea lässt sich scheiden, zeichnet Hader den eigenwilligen Mikrokosmos eines sich irgendwo in der Provinz befindlichen Dörfchens und seiner Bewohner, wo Tragödie und Farce eng aneinander zu liegen scheinen.
Wie darf man sich die Entwicklung eines Ihrer Filmprojekte wie „Andrea lässt sich scheiden“ vorstellen?
Josef Hader: Die erste Überlegung war, nach Wilde Maus, einem Film, der in der Stadt spielt, einen Film auf dem Land zu machen, rein wegen der Abwechslung. Ich habe mir gedacht: Du hast die ersten zwanzig Jahre deines Lebens dort verbracht, da wär’s doch interessant, sich mit diesem Kosmos auseinanderzusetzen. Die Entscheidung, dass eine Frau die Hauptfigur sein würde, ist früh gefallen, weil es eine Frau am Land immer noch schwerer hat als ein Mann, wenn sie Dinge tut, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen. Und dann gab es noch die Überlegung: Wenn in einem Film am Anfang etwas richtig Schlimmes passiert, was für eine Art von Komödie ist dann noch möglich?
Hatten Sie beim Entwickeln eines Drehbuchs bereits bestimmte Schauspielerinnen und Schauspieler für die Besetzung im Auge?
Josef Hader: Birgit Minichmayr war beim Schreiben sehr schnell im Kopf, andere sind dann von Fassung zu Fassung dazugekommen. Ich brauche immer ziemlich viele Fassungen, dadurch wird für mich alles langsam deutlicher. Die Gegend, wo es spielen soll, die Art, wie es gedreht werden könnte und auch die Figuren. Und irgendwann werden es konkrete Schauspieler und Schauspielerinnen, zumindest, was den Haupt-Cast betrifft. Dann schreibt man bis zu dem Punkt, an dem man meint, jetzt ist das Drehbuch soweit, dass man es der Birgit zeigen kann und man eine Chance hat, dass sie auch „Ja“ sagt.
Was im Fall von „Andrea lässt sich scheiden“ offensichtlich funktioniert hat?
Josef Hader: Ja, ich habe keine Absage bekommen. Und dann kommt die nächste Überarbeitung des Buchs gemeinsam mit dem Cast. Weil kluge Schauspielerinnen und Schauspieler ein Drehbuch enorm verbessern können. Niemand schaut so genau auf eine bestimmte Figur im Drehbuch, wie jemand, der sie spielen soll.
Gehören intensive Probezeiten vor Drehbeginn zu Ihrer Arbeitsweise?
Josef Hader: Wenn ich selber Schauspieler bin, mag ich es nicht gern, wenn in irgendeinem nüchternen Proberaum schon sehr konkret geprobt wird. Lieber habe ich, dass man sich viel Zeit nimmt, miteinander zu lesen und über die Szenen zu reden. Das habe ich mit allen Schauspielerinnen und Schauspielern gemacht, aber meistens einzeln, nicht als Gruppe. Außer sie müssen ein Team sein, so wie die Polizisten im Film, die sollten schon Gelegenheit haben, sich zusammenzuspielen. Aber sonst finde ich es gut, wenn die Darsteller und Darstellerinnen am Set noch nicht ganz genau wissen, was der andere machen wird, wenn sie in gewisser Weise aufeinander stoßen. Und wir hatten am Beginn jedes Drehtags eine lange Busfahrt von Wien ins oberste Weinviertel, das war ein Bus, wo wir uns gegenübersitzen konnten und die Szenen, die gedreht werden sollten, noch einmal gemeinsam untersucht und abgeklopft haben. Da haben wir noch einiges verändert. Das ist nur gegangen, weil Birgit und der ganze Cast diese Spontanität und Flexibilität aufgebracht haben und weil auch das übrige Team offen dafür war.
Das Thema Schuld und der Umgang damit spielt in „Andrea lässt sich scheiden“ eine zentrale Rolle, ein Motiv, das sich wiederholt in Ihrer filmischen Arbeit findet.
Josef Hader: Das geschieht nicht bewusst, aber vielleicht unbewusst, das ist wahrscheinlich der katholische Hau, den man durch die Erziehung mitbekommen hat. Irgendwie war ein Fehler, den man gemacht hat, immer eine Katastrophe, und man ist immer bestraft worden, wenn man ihn zugegeben hat. Folglich hat man ab einem sehr frühen Zeitpunkt versucht, seine Fehler zu vertuschen. Da wird man als Kind schon mit Schuld konfrontiert und die Gegenstrategie war bei mir immer eine Notlüge.
Das ist ähnlich wie beim von Ihnen gespielten Musikkritiker in „Wilde Maus“, der seine Entlassung auch lange zu verheimlichen versucht, sogar vor seinem privaten Umfeld.
Josef Hader: Stimmt, er empfindet den Jobverlust als seine eigene Schuld, als Versagen, obwohl er ja genauso gut sagen könnte, dass er ein unschuldiges Opfer ist. Aber er ist bereit, das sofort als persönliches Schuldproblem zu nehmen. Dadurch wird er aber auch zu einer komischen Figur, weil von außen betrachtet ist ja überhaupt keine existenzielle Katastrophe passiert, es ist ein Erste-Welt-Problem, eine Bobo-Katastrophe. Aber für ihn ist es die größtmöglichste und er ist der eine, der daran schuld ist, und der zweite, in dem Fall sein Chef, der muss dann vernichtet werden. Das innere Schuldgefühl auf jemand anderen richten, das ist ja auch eine sehr beliebte Sache in der Religion.
Etliche Ihrer Figuren, wie etwa die Titelfigur in den „Brenner“-Krimis, bei denen Sie auch am Drehbuch mitgewirkt haben, begegnen dem Tod mit einer ausgeprägten lakonischen Haltung.
Josef Hader: Das ist vielleicht wirklich eine eigene Haltung, ich halte den Tod für keine schlimme Sache, derzeit, aber wer weiß, das kann sich ja alles noch ändern, wenn er vor der Tür steht. Vielleicht zittere ich dann vor Todesangst und der ganze lakonische Witz ist beim Teufel. Als Jugendlicher hat mich die Rede des Sokrates sehr beeindruckt, die er hält, bevor er den Giftbecher trinken muss. Darin sagt er, dass niemand weiß, ob der Tod nicht eine gute Sache ist. Die einen würden behaupten, dass man dann Menschen trifft, die vor einem gelebt haben, was Sokrates super findet, er würde gern einmal mit Homer plaudern. Oder aber der Tod ist wie ein langer Schlaf, und da sagt er dann, wenn er die Tage in seinem Leben abzählt, die besser gewesen sind als ein guter Schlaf, kämen nicht mehr als eine Handvoll heraus.
Resultiert daraus eine Erzählweise, die das Gleichgewicht zwischen Tragödie und Komödie hält und sich bei Ihnen immer wieder findet?
Josef Hader: Dieses Gleichgewicht würde ich gerne einmal erreichen und hoffe, mit diesem Film dem Ziel näher gekommen zu sein. Bei Andrea lässt sich scheiden war die Idee, dass es nicht eine gefühlte Tragödie ist wie in Wilde Maus, eine, die sich die Hauptfigur einbildet, sondern eine wirkliche Tragödie. Ich mag selber als Zuschauer die Filme am liebsten, wo Drama und Komödie sich tatsächlich die Waage halten. Das passiert aber selten, sehr oft ist die Komödie im Vordergrund und das Drama ist nur in Spurenelementen vorhanden. Man darf das Drama nicht an den Witz verraten, sonst lehnt sich das Publikum zurück und denkt sich, so schlimm wird es schon nicht werden. Das meiste, was als „tragikomisch“ firmiert, ist eigentlich überwiegend komisch und geht selten ans Eingemachte.
Ist die Doppelfunktion Schauspieler/Regisseur schwieriger, wenn man neben der Inszenierung auch die Hauptrolle spielt, wie das in „Wilde Maus“ der Fall war?
Josef Hader: Ich habe Andrea lässt sich scheiden als Regisseur schwieriger gefunden und als Schauspieler auch. Das lag daran, dass wir weniger Zeit zum Drehen hatten, weil wir logistisch wegen der auseinanderliegenden Motive viele Kilometer machen mussten. Wir haben Schauplätze gesucht, die eine gewisse Herbheit und Trostlosigkeit haben, aber auch ein bisschen „drüber“ sind, ganz leicht zugespitzt. Das hat zu weiten Anfahrtswegen geführt und wir hatten mehr Stress als bei Wilde Maus, wo alles so schön in Wien beisammen gelegen ist. Als Schauspieler war es deshalb schwieriger, weil das eine Rolle ist, die immer extreme Szenen hat. Der Franz ist entweder total überfordert oder in einer eigenen Welt, in die nichts mehr durchdringt. Er ist sehr nahe am Abgrund. Aber es war eine unglaublich schöne Arbeit, mit der Birgit als Hauptdarstellerin durch den Film zu gehen. Sie ist nicht nur als Schauspielerin eine Naturgewalt, sondern auch im Austausch von Ideen großartig, sie fordert vom Buch absolute Glaubwürdigkeit, sie ist Gott sei Dank nicht bereit, eine Szene zu „retten“, was ja meistens der Tod der Szene ist. Sie war ein unbestechliches Korrektiv und hat den Film um einiges besser gemacht, als er im Buch angelegt war, und das gilt praktisch für den ganzen Cast. Der Wolfgang Murnberger sagt immer, mit der Besetzung hat die Regie schon 80 Prozent der Inszenierung festgelegt, da hat er nicht ganz unrecht.
Die Schauplätze vermitteln ein ganz spezielles Bild mit ihrem etwas morbide anmutenden Charme.
Josef Hader: Wir haben wenig verändert, die Ausstattung hat kaum etwas dazu gebaut, aber wir sind, wie gesagt, viel herumgefahren, um diese Welt zusammenzuklauben. Der Kreisverkehr mit der riesigen Zwiebel in der Mitte ist ein gutes Beispiel, der steht in Unterstinkenbrunn und ist ein Kunstwerk, von einem Künstler gestaltet. Denn Unterstinkenbrunn ist eine Gemeinde, in der viel Zwiebel angebaut wird und im Sommer gibt es ein Zwiebelfest. Das kann man nicht erfinden.
Warum dominiert in dieser Welt zumeist intensives Sonnenlicht?
Josef Hader: Wir wollten dieses hochsommerliche Licht, das die Farben wegnimmt und ein bisschen was Drückendes hat. Den Himmel nicht so blau wie in der Fremdenverkehrswerbung, das Gras nicht frisch und grün, sondern schon ein wenig vertrocknet. Draußen ist es heiß und die Behausungen, die sich die Menschen gegen das Wetter gebaut haben, sind auch nicht direkt eine Erleichterung, das war so ein bissl das Ziel.
Auffallend sind bei „Andrea lässt sich scheiden“ auch die langen Einstellungen und eine betont ruhige Kameraarbeit als Teil der formalen Gestaltung, die man auch bei „Wilde Maus“ findet.
Josef Hader: Der Rhythmus findet ja nicht nur im Bildschnitt statt, sondern auch im Ton, in den Atmosphären der Szenen, im Klang der verhungerten Automotoren, im Zirpen der Grillen in der Nacht, die bei uns ein bisschen wie die Zikaden klingen im Italowestern. Ich mag es, wenn Close-ups nur sehr bewusst verwendet werden und manchmal in langen Einstellungen der Hintergrund ein bisschen grinst über die Menschen. Und man kann sich eine Zeit lang frei entscheiden, wen oder was man gerade beobachten will. Die Landschaft und die Dörfer sind sozusagen auch ein Star im Film, der mitspielt, die Umgebung macht ja etwas mit den Menschen und deformiert sie auch. Genauso wie die Menschen in der Stadt von ihrer Umgebung deformiert sind. Ich bin am Land aufgewachsen und habe als Kind dort bestimmte Verletzungen mitbekommen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass das aus Bosheit geschieht, sondern eher aus Unbeholfenheit. Ein bisschen wie Elefanten im Porzellanladen, die sich eine dicke Haut wachsen lassen mussten gegen die unwirtliche Umgebung.
Diese Gemeinschaft erscheint durchaus ambivalent. Einerseits bietet sie eine Form von Geborgenheit und Sicherheit, sie kann aber auch einengend sein.
Josef Hader: Andrea hat sich entschieden, Polizistin zu werden. Was als Frau keine einfache Entscheidung ist am Land. Noch dazu arbeitet sie ausgerechnet dort, wo sie wohnt und sie alle kennen. Sie hat also einige Probleme in Kauf genommen, damit sie bleiben kann, wo sie aufgewachsen ist. Aber der Druck der Provinz ist am Beginn des Films schon so groß geworden, dass sie weggehen will. Wahrscheinlich nicht wegen eines großen schlimmen Ereignisses, vielleicht wegen vieler einzelner Nadelstiche, kleiner Bemerkungen, als Witz getarnter Gemeinheiten, die sie zermürbt haben. Dieses Dableiben oder Weggehen ist immer ein Thema am Land. Nicht nur in Österreich. Eine Provinz wie in Andrea könnte auch in Ostdeutschland, in Finnland oder im Norden Frankreichs sein. Da sitzen viele einsame Menschen in ihren brüchigen Häusern herum, sehr oft Männer, wie einsame Ritter in ihren Burgen.
Wie gehen Sie als Regisseur bei der visuellen Gestaltung vor, sind etwa Einstellungsgrößen schon genau festgelegt?
Josef Hader: Es gibt immer einen Plan A, aber er kann verändert werden. Ich habe in Fernsehfilmen erlebt, dass sich Kamera und Regie schon vor dem Drehen die ganze Szene ausgeschnapst hatten und wir Schauspielerinnen und Schauspieler da nur noch eingebaut wurden. Das ist nicht mein Zugang, wir haben uns dem angepasst, was bei den Proben entstanden ist. Die Zusammenarbeit mit Carsten Thiele war sehr eng und in positiver Weise übergriffig, weil er mir genauso seine Meinung zu bestimmten Aspekten im Drehbuch gesagt hat, wie ich ihm zur Bildgestaltung. Er hat mich sehr hineingelassen in seine Arbeit, das hätte er nicht müssen. Weil wenn ein Regisseur vom Kabarett kommt, keine Filmhochschule besucht hat und technisch nicht sehr versiert ist, kann die Kamera entscheiden: Wie weit lasse ich mir von dem überhaupt hineinreden? Carsten war sehr offen dafür, eine gemeinsame Vorstellung zu entwickeln.
Ihre Filme erfreuen sich eines großen Zuspruchs beim Publikum, gibt es da ein Erfolgsrezept?
Josef Hader: Das Einzige, was ich bewusst mache, ist, dass ich nach einer Geschichte suche, die mich wirklich interessiert. Und irgendwie auch herausfordert, etwas, wo ich Angst habe, ob ich das überhaupt schaffe. Und mit dieser Angst vor dem Scheitern schreibe ich dann, wie schon gesagt, viele Fassungen, bis sie kleiner wird, die Angst.
Im Gegensatz dazu taucht im Zusammenhang mit dem Österreichischen Film immer wieder die Frage bezüglich geringer Zuschauerzahlen auf.
Josef Hader: Das sind die Nachteile eines kleinen Landes mit einem kleinen Markt, aber es gibt ja auch Vorteile. Man merkt bei jedem großem Kinoland, dass die Versuchung, mit Kino Geld zu verdienen, zu sehr grauslichen Ergebnissen führt. Die am Reißbrett kalkulierte deutsche Komödie etwa oder das französische Feelgood-Movie mit dem kleinen Arthouse-Touch, die letzen Events für die Golden Ager, bevor sie wegsterben. Das sind Veranstaltungen wie früher die katholische Messe, man weiß genau, wie das Maschinchen läuft. Diese Verführung hat der Österreichische Film nicht, auch der Dänische nicht oder der Finnische. Da kann man viel unbelasteter sein, ein Labor für alle möglichen Ideen. Außerdem läuft ein österreichischer Arthouse-Film in mehreren Ländern und erreicht dort auch Publikum. Filme, die bei uns staatlich gefördert werden, sind selbstverständlich dazu da, vom österreichischen Publikum gesehen zu werden, sie sind aber auch Botschafter des Landes. Jeder Film erzählt der ganzen Welt vom Land, aus dem er stammt, es gibt nicht nur eine platte Kosten-Nutzen-Rechnung rein auf Österreich bezogen.
Dagegen sind Genrefilme, wie etwa die Landkrimi-Reihe, vermehrt ins Fernsehen gewandert.
Josef Hader: Das ist sicher eine wichtige Schiene, wo auch junge Leute sich erproben können. Oder „Das kleine Fernsehspiel“ im ZDF. Man kann immer viel über das Fernsehen schimpfen, aber das leistet es schon.
Übernimmt das Fernsehen da mehr und mehr die Rolle des Kinos, was den gehaltvollen Genrefilm angeht?
Josef Hader: Ja, wobei sich schon die Frage stellt, ob man gehaltvolle Genre-filme mit einem Fernsehbudget und 21 Drehtagen herstellen kann. Da haben immer alle Mitwirkenden sehr viel Spaß dabei, soweit ich höre. Ich glaube, der gehaltvolle Genrefilm ist in Österreich schwer zu machen. Fürs Kino vor allem deswegen, weil wir hier keine Kino-Stars haben. Das wären nämlich Schauspielerinnen und Schauspieler, die nur fürs Kino arbeiten und nicht auch im Fernsehen zu sehen sind, die müssten hier verhungern. Dadurch gibt es keinen großen Anreiz, für jemanden ins Kino zu gehen, der ohnehin im Fernsehen rauf und runter gespielt wird. Der Star im österreichischen Kino ist meistens der Film, der dann oft zwischen den Genres oszilliert und ich finde das ganz gut so.
Welche Kriterien sind bei der Auswahl ihrer Rollen entscheidend?
Josef Hader: Ich bin ja kein Schauspieler mit unendlicher Bandbreite, ich merke recht schnell, ob mich eine Rolle anspringt. Das muss was sein, wo ich mir denke, es hat einen Sinn, dass ich das spiele und nicht ein anderer, vielleicht viel besserer Schauspieler. Meist schreibe ich ja am Drehbuch mit, dann stellt sich diese Frage gar nicht. Aber wenn doch, dann möchte ich mit so viel Lust und Herz dabei sein, als ob ich es selber geschrieben hätte. Das Wichtigste für jeden Künstler und jede Künstlerin ist, dass man seine eigene Arbeit noch interessant findet nach zwanzig oder dreißig Arbeitsjahren. Das ist die Hauptleistung.
Derzeit wird ja heftig über die Zukunft des ORF als öffentlich-rechtliches Medium diskutiert, der in dieser Form eine der Säulen der Finanzierung des Österreichischen Films ist. Was würde ein möglicher Wegfall oder eine starke Reduzierung der Förderungen von dieser Seite für die heimische Filmlandschaft bedeuten?
Josef Hader: Das wäre natürlich katastrophal, einerseits, weil man nicht weiß, wo das fehlende Geld herkommen soll, andererseits, weil der ORF ja auch eine Plattform ist, über die die Filme weit übers Kino hinaus viele Zuschauer erreichen. Es würde wahrscheinlich eine völlig neue Machart bedeuten, die Filme müssten anders und billiger produziert werden, was schlussendlich bedeutet, dass die Leute, die mitarbeiten, weniger Geld bekommen. Und es würde weniger Filme geben. Aber das wäre nur eine Randerscheinung, verglichen damit, was ein schwacher ORF für unsere Demokratie bedeuten würde. Die Art von Information und Politik, die dann möglich ist, kann man schon jetzt in Ungarn oder den USA besichtigen. Ich mag ja einiges am ORF nicht, sie verhalten sich gegenüber den Kreativen teilweise immer noch wie ein Renaissance-Fürstentum, aber man muss trotzdem für ihn eintreten.