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... ned, tassot, yossot ...

… ned, tassot, yossot …

Videobeweise

| Jakob Dibold |
Mit „… ned, tassot, yossot …“ legt Regisseurin Brigitte Weich endlich Film zwei ihres außergewöhnlichen Dokumentarfilmprojekts über nordkoreanische Fußballspielerinnen vor.

 

Den „unwahrscheinlichsten Film der Welt“ nannte Ute Woltron in der Wochenzeitung „Falter“ den Dokumentarfilm Hana, dul, sed (2009; R: Brigitte Weich, Ko-Regie Karin Macher) kurz vor dessen Österreich-Premiere bei der 47. Viennale in Wien. Tatsächlich war bis zum fertigen Film – neben jahrelanger, von nicht beeinflussbaren Faktoren gefärbter Arbeit – eine Vielzahl kleiner Wunder und großer Zufälle nötig, im Detail nachzulesen in vielen Interviews oder Texten wie dem eben erwähnten. Es lohnt sich. Zu sehen sind in Hana, dul, sed jedenfalls vor allem die vier nordkoreanischen Fußball-Nationalspielerinnen Ri Jong-hui (Nummer 1), Ra Mi-ae (6), Jin Pyol-hui (10) und Ri Hyang-ok (Nummer 19) – beziehungsweise nach etwa der ersten Halbzeit des Films die Menschen, die diese Namen tragen, in einem gänzlich neuen Lebensabschnitt fern des Profialltags: die Frauen, die „Genossinnen“, die sich nach ihrer aktiven Spielerinnenkarriere nunmehr vollends in das streng reglementierte, bis in die Umgangssprache hinein kodifizierte und selbstverständlich patriarchal geordnete System Nordkorea eingliedern müssen. Denn nach der verpassten Qualifikation für das Fußballturnier der Olympischen Sommerspiele 2004 wurde das Team kurzerhand in den Ruhestand geschickt. Weil Brigitte Weich und Kamerafrau Judith Benedikt aber nach langem Bemühen endlich die Drehgenehmigung für Pjöngjang erhielten – davor filmten sie bei internationalen Turnieren –, konnten sie ab diesem Zeitpunkt die vier Frauen also als Privatpersonen besser kennen lernen, konnten dank Dolmetschern endlich mit ihnen sprechen. Die Hauptstadt Nordkoreas zu filmen, war zwar aufgrund der ständigen Überwachung kein Leichtes, doch sind zudem beeindruckende Alltags-Aufnahmen entstanden, von denen es einige in den Film Hana, dul, sed geschafft haben.

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Ähnlich unwahrscheinlich wie diese erste fast unglaubliche Unternehmung ist die Tatsache, dass sie eine Fortsetzung fand und dass jetzt, viele Jahre später, mit … ned, tassot, yossot … ein zweiter Teil des Projekts als Kinofilm zu sehen sein kann – und neue Überraschungen bereithält, die abermals auch für die Filmemacherinnen nicht vorhersehbar waren. Bereits in einem Interview zu Hana, dul, sed mit Karin Schiefer für Austrian Films schildern Brigitte Weich und Ko-Regisseurin Karin Macher, inwiefern ein beruflicher Besuch mit klarem Vorhaben, sprich die Fortsetzung des Filmprojekts, schlichtweg ja die einzige Chance war, mit Ri Jong-hui, Ra Mi-ae, Jin Pyol-hui und Ri Hyang-ok in Kontakt zu bleiben. Von außerhalb des abgeschirmten Staates ist es nicht möglich, mit ihnen zu kommunizieren. Und selbst vor Ort wäre es den Nordkoreanerinnen verboten, „einfach so“ mit den Besucherinnen zu interagieren, zu sprechen.

STADION, KINO, TV

2011 stirbt Kim Jong-il, der als Nachfolger des ersten Staatsoberhaupts und „Ewigen Präsidenten“ Kim Il-sung seit dessen Tod 1994 regiert hatte. Kurz darauf fliegt Weich mit ihrem Team wieder in die „Demokratische Volksrepublik“. Großes Anliegen und somit konzeptueller Anker im Drehplan ist zunächst, dass die vier Fußballerinnen den Film, der sie porträtiert, endlich selbst sehen, also bringen Weich, Benedikt und die Ton-Verantwortliche Cordula Thym eine 35mm-Kopie mit nach Pjöngjang. Die Führung hatte Hana, dul, sed nicht als dafür geeignet empfunden, von der Bevölkerung gesehen zu werden. Weich und ihrer nordkoreanischen Ko-Produzentin Ryom Mi-hwa von der Korea Film Export- und Import-Corporation, kurz Korfilm, gelang es, für diese außergewöhnliche Premiere das 1955 erbaute Filmtheater beim Taedong-Tor als Vorführort zu gewinnen. Jenes Kino, in dem das Pyongyang International Film Festival stattfindet – wo eine Konversation zwischen Brigitte Weich und Ryom Mi-hwa im Jahr 2002 all das erst ins Rollen brachte, wovon hier die Rede ist. Nun bringt Ryom Mi-hwa die österreichischen Filmemacherinnen obendrein noch mit der ersten Regisseurin Nordkoreas, Cha Suk, zusammen: Wie es der Zufall will, war Cha Suk für die Regie einer fiktionalen TV-Serie über die Fußballheldinnen des Landes verantwortlich und arbeitete mit eben jenen Spielerinnen, die auch Weichs Protagonistinnen sind, als „Stuntdoubles“ für die Actionszenen mit Ball am grünen Rasen. Eine weitere Fügung, die genutzt werden will; die Serie im melodramatischen, kitschigen Seifenopern-Stil, die in etwa im selben Zeitraum wie Hana, dul, sed produziert wurde, gewährt in ned, tassot, yossot … einen ungeahnten kulturellen Einblick, wird immer wieder in Gestalt von Ausschnitten eingewoben. Nach dem gelungenen Screening von Hana, dul, sed, dem sie alle beiwohnen, treffen sich die Spielerinnen erneut mit Cha Suk, um unter anderem die Unterschiede zwischen der Dramatisierung der TV-Serie und der von eiserner Disziplin geprägten Realität zu reflektieren. Regisseurin Cha Suk wird zu einer hoch interessanten Nebenfigur des Films, die ihre Gedanken über die nordkoreanische Gesellschaft mitteilt.

Als letzter Baustein für die Fertigstellung von ned, tassot, yossot …  fanden schlussendlich – wiederum dank der Unermüdlichkeit und des Geschicks von Ko-Produzentin Ryom Mi-hwa, die gemeinsam mit ihrer Genossin Aufnahmeleiterin Jang Hyang-gi von essenzieller Wichtigkeit für das Projekt war und ist – sogar aktuelle Aufnahmen aus der pandemischen Zeit den Weg aus dem abgeschotteten Nordkorea nach Wien. Es handelte sich um den Rohschnitt eines Volkspropaganda-Imagefilms über Nordkoreas Fußballerinnen, in dem auch die Protagonistinnen von Brigitte Weichs Projekt vorkommen. Die Editorin Barbara Seidler konnte daraus einen Epilog montieren.

REDEN, STREBEN, TROTZEN

Die vielen Fahrten und Impressionen zwischen den Schauplätzen wurden diesmal unter anderem mit einer GoPro-Kamera an der Stoßstange eingefangen, oft versetzen nur ein paar Sekunden davon in tiefes Staunen. Den größten Teil des Films machen in ned, tassot, yossot … – neben Sportszenen natürlich – die Gespräche mit Ri Jong-hui, Ra Mi-ae, Jin Pyol-hui und Ri Hyang-ok aus, die in den wenigen Drehtagen geführt werden konnten. „Neu war dabei, dass unsere Protagonistinnen sehr motiviert waren, vor der Kamera zu erzählen. (…) Es war unglaublich. Im ersten Film war es so schwer, sie zum Reden zu bewegen. Und dieses Mal sprudelte es nur so raus aus ihnen. Sie haben viel Offenheit und Nähe zugelassen. Wahrscheinlich waren sie auch angeregt durch die Projektion des ersten Films, den sie richtig gerne mochten“, erinnert sich Judith Benedikt in einem Interview mit Karin Schiefer für Austrian Films. Und wirklich reden die Ex-Kickerinnen sehr ungezwungen, über ihre Leben, auch im Speziellen über schwerwiegende Erfahrungen in ihrem Leben als Frauen im Patriarchat. Gerahmt wird dies von für Langzeitbeobachtungen durchaus typischen Themen: Wer mittlerweile welchen Beruf erwählt hat – teils über Umwege sind schlussendlich dann doch alle ihrer großen Liebe Fußball treu geblieben und Trainerinnen verschiedener Art geworden –, ein paar Kinder gibt es, hier und da im Hintergrund Ehemänner.

Noch stärker als in Teil eins gelingt das komplexe Bild von Frauen, die in der totalen Diktatur, der totalen Konformität, einfach ihr Dasein bestmöglich verbringen wollen. Neben der gefestigten Vertrauensbasis liegt das sicher an den neuen Englischkenntnissen von „Mittelfeld-Rückgrat“ (Übersetzung ihrer Worte) Ri Hyang-ok. Deren nächster Traum ist es, WM-Schiedsrichterin zu
werden, weshalb sie weiterhin gelegentlich das Land verlassen kann und mehr und mehr von der restlichen Welt weiß. Sind auch nie, niemals in diesem unwahrscheinlichsten der Filme die Protagonistinnen Projektionsflächen für ein theatralisches Aufzeigen des ultimativen Bösen oder als desparate Unterdrückte dargestellt, will der Film ebenso wenig beschönigen. Gerade weil die offene Art zu sprechen und die Souveränität der Frauen so informell vermittelt werden, verstört die dauernde Erwähnung des „Großen Führers“ noch beim x-ten Mal Hören. Er ist es, den alle glücklich machen wollen, das scheint für sämtliche Individuen dieser Gesellschaft das höchste Ziel und die höchste Freude. Die katastrophale Hungersnot der neunziger Jahre, im Zuge derer (mindestens) Hundertausende starben, wird manchmal erwähnt, auch die ehemaligen Fußballstars verwenden dafür ausschließlich den verharmlosenden Ausdruck „Beschwerlicher Marsch“.

Hana, dul, sed und ned, tassot, yossot … sind insgesamt ein Filmprojekt der kaum fassbaren Kontradiktionen, erreicht durch unbändigen Mut zum Ungewissen. Vielleicht ist denn darin das Unwahrscheinlichste überhaupt die Überzeugung, mit der Brigitte Weich und ihr Team viele Jahre ihres Lebens lang für diese Begegnungen kämpften, Resignation beharrlich verweigerten. Der Mut, das Projekt ohne wirklich greifbare Aussichten auf „Erfolg“ weiterzuverfolgen, konfrontiert mit Rückschlägen bis hin zur zuletzt völligen Abriegelung des Landes wegen Covid-19, hat sich gelohnt. So auch der Mut, in einem totalitär regierten Raum Formen von Feminismus, feministische Praxen zu finden, die Widersprüche aushalten – und diesen trotzen: Ri Jong-hui, Ra Mi-ae, Jin Pyol-hui und Ri Hyang-ok waren Meisterinnen des Sports, nun sind sie Trainerinnen und Mütter und Ehefrauen, loten die Grenzen der freien Entscheidung fortwährend aus, spielen in einem ultrarepressiven System leise ihr eigenes Spiel. Gleichzeitig verehren sie allem Anschein nach, lieben sie trotzdem ihre Führer, deren jüngster mittlerweile Kim Jong-un heißt und seit Jahren mit atomaren und anderen Drohgebärden auffällt. Die Fortsetzung von alldem steht in den Sternen.