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Chinatown
Chinatown

FILMJAHR 1974

Aufbruchsstimmung

| Jörg Schiffauer |
Besonders in den Vereinigten Staaten erwies sich 1974 als ebenso exzellentes wie richtungsweisendes Filmjahr. Ein Rückblick auf eine außergewöhnliche Startliste.

 

1974 verlief für die USA in Sachen Innenpolitik turbulent. Am 9. August dieses Jahres vollzog sich ein Akt, der bislang immer noch als einzigartig in der Geschichte des Landes dasteht. An diesem Tag erklärte nämlich Richard Milhous Nixon seinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten. Der Rückzug Nixons war der Kulminationspunkt der seit zwei Jahren schwelenden Watergate-Affäre, in deren Verlauf durch die hartnäckigen Nachforschungen der beiden Reporter der „Washington Post“, Bob Woodward und Carl Bernstein, immer mehr höchst unsaubere Machinationen des Präsidenten und seiner engsten Berater ruchbar geworden waren.

Inmitten aufregender Zeiten befanden sich die Vereinigten Staaten allerdings schon seit den sechziger Jahren, hatten doch die von der Gegenkultur forcierten gesellschaftlichen Umbrüche auf zahlreichen Ebenen gewaltig an Fahrt aufgenommen. Auch die US-amerikanische Filmindustrie sah sich dabei mit grundlegenden Umwälzungen konfrontiert. Das Studiosystem des klassischen Hollywoods befand sich schon seit geraumer Zeit in einer veritablen künstlerischen wie auch ökonomischen Krise. Eine neue Generation von Filmemachern – etliche davon hatten ihre Ausbildung an Filmhochschulen absolviert – trat an, um frischen Wind ins amerikanische Kino zu bringen. New Hollywood war keine Bewegung im eigentlichen Sinn, dazu waren dessen Protagonisten in ihren filmischen Vorstellungen wohl zu heterogen, doch die Absicht, ein zeitgemäßes Kino, was Formen und Inhalte angeht, zu schaffen, kann als über alle Unterschiede verbindende Generallinie angesehen werden.

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Richard Nixons illegale Manöver, die schlussendlich zu seinem Rücktritt führten, stellen zweifellos einen Tiefpunkt politischen Agierens dar, der das Misstrauen jenes Teils der US-amerikanischen Gesellschaft, der der Regierungspolitik ohnehin seit geraumer Zeit höchst kritisch gegenüberstand (Stichwort Vietnamkrieg), noch verstärkte. Eine Entwicklung, die sich auch im Filmschaffen niederschlagen sollte, doch dazu später. Hinterlassen Nixons Machenschaften in Verbindung mit 1974 negative Konnotationen – auch wenn die Medien hier ihre Aufgabe als Vierte Gewalt vorbildlich erfüllt haben – so erweist sich dieses Jahr, gerade was das US-amerikanische Kino angeht, als ein ungemein fruchtbares. Vor allem New Hollywood und dessen Vorstellungen bahnten sich umfangreich ihren Weg und schickten sich an, eine dominierende Rolle zu übernehmen. Erstaunlich ist jedoch, in welcher Vielfalt die große Erneuerung des US-amerikanischen Films 1974 stattfinden konnte. Die Bandbreite reicht dabei vom großen Kritiker- und Publikumserfolg über Schätze des Independentfilms bis hin zu höchst eigenwilligen Regiearbeiten mit singulärem Charakter.

DIE NEUE GENERATION

Besonders deutlich wurde der zunehmende Einfluss von New Hollywood 1974 mit The Godfather Part II. Mit The Godfather, der facettenreichen Geschichte einer Mafiafamilie, war Francis Ford Coppola zwei Jahre zuvor einer der ersten ganz großen Erfolge der neuen Generation von Filmemachern geglückt. Wie bereits der erste Teil der Saga um die Corleones, heimste auch The Godfather Part II Kritikerlob und Auszeichnungen – dazu zählen sechs Oscars, darunter jene für Bester Film und Beste Regie – ein. Coppolas Fortschreibung geriet zudem zu einem großen Publikumserfolg, der es unter die Top Ten schaffte, was die Einspielergebnisse an den US-Kinokassen anging. Wie schon The Godfather wurde Coppola auch mit Part II einem Anliegen New Hollywoods auf kongeniale Weise gerecht: Seine Inszenierung zollte einem traditionellen Genre wie jenem des Gangsterfilms Respekt, um diesem aber gleichzeitig einen kreativen Schub zu verleihen und damit einer dringend notwendigen Erneuerung zu unterziehen. Die „Godfather“-Filme etablierten Francis Coppola als ausgewiesenen Auteur – ein Status des Filmemachers der ganz im Sinn New Hollywoods war – und verhalfen einer neuen, jungen Schauspielergarde um Al Pacino, Robert De Niro, Diane Keaton, Robert Duvall, James Caan und dem großartigen, viel zu früh verstorbenen John Cazale zum Durchbruch.

Mit einer weiteren Regiearbeit, die einige Monate vor dem Kinostart von The Godfather Part II ihre Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes feierte, war Coppola ein weiteres Schlüsselwerk New Hollywoods gelungen. In The Conversation übernimmt der Abhörspezialist Harry Caul (Gene Hackman) den Auftrag, die Frau des Direktors eines großen Unternehmens zu überwachen. Caul beabsichtigt eigentlich, seine Jobs professionell und unbeteiligt zu erledigen, doch bei einem der abgehörten Gespräche der Frau mit ihrem Begleiter – Caul vermutet in ihm ihren Liebhaber – erscheint ihm der Inhalt doch bedenklich. Weil er glaubt, dass Leben der beiden könnte bei Auffliegen der Affäre gefährdet sein, verweigert Harry Caul die Übergabe der Tonbänder an seinen Auftraggeber. Doch nach und nach sieht er sich damit konfrontiert, dass die Dinge nicht so klar sind wie zunächst angenommen, wobei Caul befürchtet, selbst ins Visier mächtiger Kräfte zu geraten. Mit The Conversation setzt Coppola einen Thriller ins Szene, der behutsam eine von Verunsicherung geprägte Atmosphäre aufbaut, die sich für den Protagonisten zu einem alles beherrschenden Bedrohungsszenario entwickelt. Damit spiegelt The Conversation jenes Misstrauen gegenüber dem politischen System wider, das in der US-amerikanischen Bevölkerung seit den sechziger Jahren um sich griff. Affären wie jene um die Pentagon-Papiere – eine geheime Studie des Verteidigungsministeriums, die das politische und militärische Engagement der USA in Vietnam seit 1945 aufzeigte und erst durch den Whistleblower Daniel Ellsberg publik wurde – trugen ebenso ihren Teil dazu bei wie die bereits angesprochenen Machenschaften Richard Nixons und seiner Vertrauten.

Noch deutlicher zeigt sich dieses Misstrauen in Alan J. Pakulas Politthriller The Parallax View. Darin werden zwei Journalisten (gespielt von Warren Beatty und Paula Prentiss) Zeuge eines Attentats, dem ein Politiker, der als Kandidat für das Amt des Präsidenten gilt, zum Opfer fällt. Eine Untersuchungskommission – die Parallelen zur Warren-Kommission, die sich mit dem Mord an John F. Kennedy befasste, sind offenkundig – konstatiert, der Mord sei von einem Einzeltäter ausgeführt worden. Drei Jahre später wird Joe Frady, einer der beiden Reporter, wieder auf den Fall aufmerksam. Im Verlauf seiner Recherchen erscheint die Einzeltäter-Theorie zusehends fragwürdig, besonders als Frady auf einen mysteriösen Konzern stößt, der hinter seiner legalen Fassade offensichtlich höchst bedrohliche Aktivitäten entwickelt. Dabei werden Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsstrukturen gesucht, um potenzielle Attentäter rekrutieren zu können. Pakula, der seine Karriere auf eher traditionelle Weise in den fünfziger Jahren inmitten des Studiosystems begonnen hatte, brachte die zunehmende Skepsis – vor allem aus den Reihen der Gegenkultur – gegenüber tradierten Machtstrukturen und deren Umtrieben mit seiner Paranoia-Trilogie, bei der The Parallax View den Mittelteil bildet, auf den Punkt. Begonnen hatte Pakula die Trilogie mit dem im Rotlichtmilieu angesiedelten psychologischen Thriller Klute (1971), der abschließende All the President’s Men (1976) rückt die Arbeit der Watergate-Aufdecker Woodward und Bernstein (gespielt von Robert Redford und Dustin Hoffman, zwei markante Gesichter New Hollywoods) in den Mittelpunkt und weist damit den direktesten Bezug zum realen politischen Geschehen auf.

Mit seinen Regie-Kollegen George A. Romero und Wes Craven zählt Tobe Hooper zu jenen Filmemachern, die dem amerikanischen Horrorfilm eine neue, besonders Furcht einflößende Ausrichtung verliehen. Mit einem schmalen Budget von knapp 140.000 Dollar drehte Hooper den 1974 veröffentlichten The Texas Chainsaw Massacre, der sich zu einem veritablen Überraschungserfolg entwickelte. Darin gerät eine Gruppe junger Leute, die durch Texas reisen, in die Fänge einer Familie, die sich als mörderische Sippschaft mit reichlich abseitigen Vorlieben entpuppt. Der Horror geht nicht mehr von genretypisch mythischen Gestalten aus, sondern von Bewohnern einer Region, die zumindest im US-amerikanischen Selbstverständnis „God’s own country“ prototypisch repräsentiert. Doch das ländliche Texas mutiert zu einem Ort des Schreckens, in dem niemand mehr sicher ist. Hoopers Inszenierung mit den grobkörnigen Bildern in ihren verwaschenen Farben verleiht Texas Chainsaw eine semi-dokumentarisch anmutende Textur, die die Unmittelbarkeit des Grauens in all seiner gnadenlosen Härte noch verstärkt. Und es scheint kein Entrinnen aus diesem alptraumhaften Szenario zu geben, wie Tobe Hooper in der Schluss-Sequenz deutlich macht. Die von Marilyn Burns gespielte Sally, einzige Überlebende, ist ein schwer traumatisiertes, erbarmungswürdiges Opfer, dessen angsterfüllte Schreie auch nach dem Entkommen nicht verstummen wollen.

ANFANGSERFOLGE

Eine kleine Independent-Produktion mit dem Titel Dark Star war es auch, mit der ein weiterer junger Regisseur namens John Carpenter 1974 auf sich aufmerksam machen konnte. Zunächst war Dark Star ein Projekt, das Carpenter als Student an der Filmschule der University of Southern California in Angriff genommen hatte, später erweiterte er es jedoch auf Spielfilmlänge. Ungeachtet des lächerlich gering anmutenden Budgets von 60.000 Dollar geriet Dark Star zu einer herrlich vergnüglichen Parodie auf das Science-Fiction-Genre, die bald Kultstatus erlangte. Eine Talentprobe John Carpenters, der in den folgenden Jahren mit großartigen Genrearbeiten wie Assault on Precinct 13, Halloween, The Fog und Escape from New York maßgeblich zur Reputation von New Hollywood beitragen sollte.

Ein Filmemacher, dessen Erfolge das US-amerikanische Kino über Jahrzehnte bis in die Gegenwart prägen, stellte in diesem Jahr sein Können ebenfalls eindrucksvoll unter Beweis. Nach einigen viel versprechenden Fernseharbeiten bekam Steven Spielberg mit gerade einmal 28 Jahren die Chance, einen Kinofilm zu drehen (Duel, für den Spielberg drei Jahre zuvor viel Lob ernten konnte, war ursprünglich für das Fernsehen produziert, erst nach der sehr erfolgreichen TV-Ausstrahlung entschloss man sich bei Universal Pictures, auch eine etwas längere Kinofassung herzustellen). The Sugarland Express dreht sich um eine von Goldie Hawn verkörperte junge Frau, die ihrem inhaftierten Ehemann zur Flucht verhilft, um mit ihm ihren kleinen Sohn zurückzuholen, der auf Anordnung der Behörden bei Pflegeeltern untergebracht ist. Auf ihrer Odyssee durch Texas nehmen sie einen Polizisten als Geisel, der dem Pärchen durchaus Sympathien entgegenbringt. Ganz im Gegensatz zu der Armada von Gesetzeshütern, die dem Trio zusehends im Nacken sitzt. Steven Spielberg gelang mit The Sugarland Express nicht nur ein höchst stimmiges Roadmovie, der auf einer wahren Begebenheit basierende Plot erfüllt eine weitere Maxime New Hollywoods, nämlich mehr an realen Verhältnissen orientierte Sujets einzubringen.

Eine in der (damaligen) Gegenwart verankerte Geschichte erzählt Martin Scorsese, ebenfalls eine zentrale Figur bei der Erneuerung des US-amerikanischen Kinos, mit Alice Doesn’t Live Here Anymore. Nach dem Tod ihres Mannes bricht Alice Hyatt (Ellen Burstyn) ihre bisherigen Zelte in einer Vorstadt irgendwo in New Mexico ab, um mit ihrem kleinen Sohn nach Monterey in Kalifornien, in den Ort ihrer Kindheit zu ziehen, wo sie hofft, ihre Karriere als Sängerin wieder aufnehmen zu können. Zwischenzeitlich muss Alice jedoch aus finanziellen Gründen einen Job in Phoenix, Arizona, annehmen, wo eine kurze Affäre ein böses Ende nimmt, woraufhin sie weiter nach Tucson reist, das auch nur ein Zwischenstopp bleiben soll …

Brian De Palma hingegen, der sich im weiteren Verlauf seiner Karriere mit stilistisch eleganten Thrillern einen Namen machen sollte, wählte einen originellen Zugang für seine Bearbeitung der bekannten Geschichte des „Phantoms der Oper“. Phantom of the Paradise ist eine furiose Mischung aus Rock-Musical, Drama und schriller Komödie mit Horror-Elementen, die im Milieu des Popmusik-Business angesiedelt ist. Das Filmjahr 1974 bot aber auch Platz für Experimente wie Messiah of Evil, der erst im Lauf der Zeit als eigenwilliger Horrorfilm Wertschätzung erfuhr. Das dafür verantwortliche Regieduo Willard Huyck und Gloria Katz hatte sich als Drehbuchautoren einen Namen machen können, so verfassten sie gemeinsam mit George Lucas das Skript zu American Graffiti (1973) sowie später jenes zu Steven Spielbergs Indiana Jones and the Temple of Doom (1984). In Messiah of Evil macht sich eine junge Frau Sorgen um ihren Vater, nachdem dessen Briefe immer verwirrter klingen. Also sucht sie ihn an seinem Wohnort, einem kleinen, malerischen Küstenstädtchen auf, doch er scheint spurlos verschwunden zu sein. Und in dem Ort gehen seltsame Dinge vor sich, die immer bedrohlichere Züge entwickeln. Messiah of Evil erweist sich als Mystery-Thriller, der weniger durch einen stringenten Plot als durch eine ungemein dichte, unheimliche Atmosphäre – die expressionistische Farb- und Lichtgestaltung trägt wesentlich dazu bei – Spannung zu generieren versteht. Das Wiener Gartenbaukino bietet übrigens am 15. Juni um 22:30 Uhr Gelegenheit, dieses Genrejuwel auf der großen Leinwand zu sehen.

BEWÄHRTE KRÄFTE

Im Verlauf der sechziger Jahre hatte sich John Cassavetes als einer der wichtigsten Vertreter des Independentkinos etabliert. Eine Position, die Cassavetes, der seine Regiearbeiten auch mittels seiner Schauspielergagen finanzierte, um sich völlige Unabhängigkeit als Filmemacher zu sichern, mit A Woman Under the Influence eindrucksvoll bestätigte. Gena Rowlands liefert mit der Darstellung einer Hausfrau, die aufgrund der Unzufriedenheit mit dieser ihr zugewiesenen Rolle mit psychischen Problemen kämpft, eine schauspielerische Tour de Force sondergleichen ab. Robert Altman, ein weiterer Regie-Maverick und ausgewiesener Auteur, setzte mit dem im Spielermilieu angesiedelten California Split eine atmosphärisch dichte Betrachtung einer speziellen Subkultur in Szene.

Clint Eastwood, als Schauspieler seit den Sechzigern ein großer Name, hatte neben dieser Karriere mit seiner Produktionsfirma The Malpaso Company eigene Projekte, bei denen er zumeist auch Regie führte, in Angriff genommen. Das wollte er zunächst bei Thunderbolt and Lightfoot auch tun, doch überließ er die Inszenierung schließlich Michael Cimino, der das Drehbuch verfasst hatte und damit sein höchst erfolgreiches Regiedebüt feiern konnte. Eastwood übernahm in der stimmigen Mischung aus Krimi und Roadmovie eine der Hauptrollen neben Jeff Bridges, der seit The Last Picture Show (1971) als einer der prominentesten Schauspieler New Hollywoods galt. Peter Bogdanovich, Regisseur von The Last Picture Show, inszenierte 1974 mit Daisy Miller eine recht konventionelle Adaption einer Novelle von Henry James, die ein wenig aus der Zeit gefallen schien.

Einen bemerkenswerten Richtungswechsel vollzog Bob Fosse 1974 mit Lenny. Fosse, der sich davor als Choreograph und Regisseur aufwändiger Broadway-Musicals sowie filmischer Musicaladaptionen wie Sweet Charity und Cabaret seine Meriten verdient hatte, widmete sich in dem betont schlicht in Szene gesetzten, semidokumentarisch anmutenden Biopic Lenny dem Comedian Lenny Bruce, der mit seiner Vorliebe für Tabuthemen für heftige Kontroversen gesorgt hatte. Für die Titelrolle verpflichtete Fosse Dustin Hoffman, wie bereits erwähnt ein führender Repräsentant der neuen Schauspielergeneration.

Robert Aldrich hatte seit den fünfziger Jahren im Studiosystem Hollywoods erfolgreich gearbeitet, dabei jedoch wiederholt eine ungewöhnlich pessimistische, düstere Sicht in Bezug auf menschliches Verhalten in seine Regiearbeiten einfließen lassen. Eine Sichtweise, die auch in The Longest Yard evident ist, auch wenn die Geschichte ein wenig versöhnlicher endet als dies sonst bei Aldrich der Fall ist. Sam Peckinpah musste anlässlich der Premiere von Bring Me the Head of Alfredo Garcia im Jahr 1974 einige böse Kritiken wegstecken, doch der eigenwillige Neo-Western mit Peckinpahs unverkennbarer Handschrift ordnet sich durchaus konsequent in dessen Œuvre ein.

Zwei Regisseure, die ihre filmischen Wurzeln in Europa hatten, sorgten für markante Beiträge, die den Umbruch im US-amerikanischen Kino verdeutlichten. Roman Polanski studierte an der renommierten Filmhochschule in Lódz´ in seiner polnischen Heimat, wo er sich gleich mit seinem Spielfilmdebüt Das Messer im Wasser einen Namen machen konnte. Nachdem er Polen verlassen hatte, arbeitete Polanski zunächst einige Jahre in Großbritannien, ehe er in die Vereinigten Staaten übersiedelte, wo er mit dem abgründigen Thriller Rosemary’s Baby nahtlos an seine bisherigen Erfolge anknüpfen konnte. Mit Chinatown gelang Polanski eine wunderbare Revitalisierung des Film Noir, die stilbildenden Charakter hat. Jack Nicholson, eine zentrale Figur von New Hollywood, übernahm dabei die Hauptrolle.

Der in der Tschechoslowakei geborene Karel Reisz musste schon in jungen Jahren 1938 nach Großbritannien fliehen, wo er mit Saturday Night and Sunday Morning ein zentrales Werk des „Kitchen Sink Realism“ drehte. Auch seine erste in den USA verwirklichte Regiearbeit zeichnet eines jener realitätsnahen Bilder, die der Umbruch im US-amerikanischen Film verstärkt mit sich brachte. Im Mittelpunkt von The Gambler steht der von James Caan verkörperte Literaturprofessor Axel Freed, der aufgrund seiner Spielsucht seine bürgerliche Existenz zerstört.

Sidney Lumet wiederum hatte sich im Verlauf seiner illustren Karriere seit seinem ersten Kinofilm, dem Justizdrama Twelve Angry Men (1957), wiederholt mit gesellschaftlich brisanten Themen, besonders mit Korruption in den Reihen der Polizei, auseinandergesetzt. Zwischenzeitlich arbeite er auch in Großbritannien, wo er 1974 die Adaption eines Romans von Agathe Christie drehte. Murder on the Orient Express ist keine der üblichen launigen Whodunnit-Adaptionen, sondern ein finsteres Rachedrama und die mit Sicherheit gelungenste Verfilmung von Christies Büchern.

Doch neben der deutlich spürbaren Umbruchsstimmung funktionierten 1974 auch traditionelle Rezepte, zumindest was den Erfolg an den Kinokassen anging, noch immer. Besonderen Erfolg erzielte Hollywood mit den „Disaster Movies“, deren formelhafte Dramaturgie – ein starbesetztes Ensemble sieht sich einer Katastrophe gegenüber – ebenso simpel wie erprobt war. The Towering Inferno (Regie: John Guillermin) war in diesem Jahr hinsichtlich der Einspielergebnisse Nummer eins, Earthquake (Regie: Mark Robson) und Airport 1975 (Regie: Jack Smight) schafften es in dieser Rangliste ebenfalls unter die ersten zehn. Es sollte jedoch nicht mehr lange dauern, bis Steven Spielberg und George Lucas, die Whiz Kids von New Hollywood, auch in Sachen Blockbuster mit Filmen wie Jaws und Star Wars das Heft in die Hand nahmen und neue Maßstäbe anlegten.