Bernhard Wengers Debütfilm „Pfau – Bin ich echt?“ ist so wirklichkeitsnah und ungreifbar wie sein Hauptdarsteller Albrecht Schuch. Im Interview spricht der deutsche Kinostar über Rollenspiele, Selbstverlust und Einsamkeit.
Matthias ist alles für jeden: Musikliebhaber, Vorzeigesohn, Pilot in Uniform oder Streit-Kompagnon. Die Agentur, für die er arbeitet, vermittelt „Freunde“ auf Zeit. Manchmal wechselt der adrette junge Mann die verschiedenen Persönlichkeiten mehrmals am Tag. Bei einigen Kunden hat er längst einen Dauerauftrag. Beruflich, könnte man sagen, läuft es bei ihm optimal. Privat gibt es Schwierigkeiten. Die Beziehung zu seiner Freundin Sophia (Julia Franz Richter) steht auf der Kippe, weil sie mehr will als Schein und Show. Sie vermisst ihren Partner, einen „echten“ Mann, der eine eigene Meinung hat und weiß, was er will. „Du bist nicht mehr real“, wirft sie Matthias an den Kopf, bevor sie ihn verlässt. Der harsche Vorwurf setzt bei dem eitlen Perfektionisten eine stille Lawine in Gang. Doch keine Affäre, kein Leihhund und keine spirituelle Reinigung scheinen ihm zu helfen, wieder zu sich selbst zu finden. Jeder Versuch, seinen innersten Gefühlen nachzuspüren, treibt ihn nur noch tiefer in eine existenzielle Krise. Schmerzlich muss Matthias erkennen: Mit Täuschung und Fassade kommt man im Leben letztlich nicht weiter. Neu ist das zwar nicht, menschlich schon, immerhin.
Bernhard Wenger ist 2014 erstmals auf das Phänomen der sogenannten Rent-a-friend-Agenturen aufmerksam geworden. In Japan ist das Geschäftsmodell seit Jahrzehnten etabliert. Seit jedoch in Europa die Einsamkeit der Menschen ähnlich stark zunimmt, machen auch hier immer mehr Leute Gebrauch von derartigen Service-Angeboten. Niemand gibt gerne zu, allein zu sein. Wie treffsicher der 1992 in Salzburg geborene Regisseur in seiner Tragikomödie den Finger in die offene Wunde legt, wird deutlich, sobald sein Hauptdarsteller ins Bild rückt: Albrecht Schuch spielt in Pfau – Bin ich echt? so sehr gegen das eigene Image des verkopften Schauspielers an, dass es dem Film damit einen doppelten Boden, eine zweite Ebene verleiht. Schuch, der seinen meist zutiefst ambivalenten, nicht selten mehrfach gebrochenen Figuren auf der Bühne wie vor der Kamera stets eine bemerkenswerte Präsenz und markante Körperlichkeit verleiht, bewegt sich herrlich unerschrocken und irritiert zugleich auf unbekanntem Terrain, was den Befremdlichkeitseffekt der kühlen, klaren, verspielt schönen Inszenierung verstärkt.
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Manchmal kommen einem dabei seine bisher größten Kinoerfolge in den Kopf, wie etwa der Antiaggressionstrainer Micha in Nora Fingscheidts Systemsprenger (2019) und die Figur des verlorenen Poeten Stefan Labude in Dominic Grafs Kästner-Verfilmung Fabian oder Der Gang vor die Hunde (2021). Auch seine Auftritte als der große deutsche Schriftsteller Thomas Brasch in Lieber Thomas (2021) oder Stanislaus Katczinsky in Edward Bergers Neuadaption von Im Westen Nichts Neues (2022). Und vielleicht sogar der unglücklich verliebte Bistrobetreiber Jens aus Thomas Stubers Die stillen Trabanten (2022), der all das hat, was Wengers Protagonist abgeht. Doch dann ist man sofort wieder ganz bei Matthias, weil Schuch ihn trotz seiner aalglatten Oberfläche fest im Griff hat und sich der tragischen Realität seines Daseins mit flotter Fönfrisur, ernster Miene und einer großer Lust an der Satire hinter der Fassade entgegenstellt.
Herr Schuch, es heißt ja immer, Schauspieler lehnen eigentlich den Großteil der Projekte ab, die sie angeboten bekommen. Was hat Sie an Bernhard Wengers Film überzeugt?
Albrecht Schuch: Dass er extrem meinen persönlichen Filmgeschmack getroffen hat, also irgendwas zwischen schrägem skandinavischen Kino, Yorgos Lanthimos und diesem trockenen, österreichischen Humor, den ich sehr mag. Gleichzeitig hat mich die Herausforderung gereizt, weil ich sonst eher aus dem Emotionalen komme und Figuren spiele, die eine relativ starke, auf jeden Fall eine klarere Haltung und Energie haben als Matthias.
Was ist bei ihm anders?
Er hat etwas von einem Roboter, aber auch von einem Astronauten, der orientierungslos im All rumschwebt. Seine Persönlichkeit gleicht einem Echo oder einem Blatt Papier, das unbeschrieben bleibt, gar nicht beschrieben werden will. Er ist jemand, der privat permanent seiner eigenen Beziehung, aber auch sonst jeder sozialen Auseinandersetzung aus dem Weg geht. Lieber hält er sich an der Oberflächlichkeit fest, die er in seinem Beruf perfektioniert hat. Hauptsache, das Bild nach außen ist schön und glänzend genug. Auf diese Weise merkt niemand, dass dahinter null Charakter steckt.
Geht es Ihnen als Schauspieler manchmal ähnlich, dass Sie aufpassen müssen, den Kontakt zum eigenen Ich nicht zu verlieren?
Auf jeden Fall. Ich konnte sehr gut anknüpfen an dieses Gefühl, ein gewisses schales Empfinden, das man nach Drehphasen oder Theaterprojekten spürt, die sehr intensiv waren. Danach stellt sich oft eine Traurigkeit oder emotionale Taubheit ein. Ich wollte das aber irgendwann nicht mehr, weil es mir extrem die Lust an meinem Beruf genommen hat. Mit der Zeit habe ich verschiedene Rituale für mich gefunden, die mich davor bewahren, in eine derartige Leere zu fallen. Solche Methoden sollte am Ende jeder für sich entwickeln, egal in welchem Beruf.
Warum?
Weil man in jedem Job etwas von sich ausblendet, oder man versucht etwas zu sein, was dem eigenen Typ gar nicht entspricht. Jeder von uns spielt auf eine Art eine gewisse Rolle in dem, was er tut. Egal, ob man vor der Kamera steht oder als Taxifahrer sein Geld verdient. Am Abend muss man sich trotzdem bewusst machen: Okay, jetzt bin ich zu Hause, jetzt bin ich wieder ich selbst.
Welche Rituale holen Sie denn wieder zu sich zurück?
Manche sind zu privat, um sie hier auszuplaudern. Aber ich glaube zum Beispiel an die ausgleichende Wirkung von Wasser. Bei Systemsprenger hat Nora Fingscheidt, die Regisseurin, immer zu der damals noch sehr jungen Helena Zengel in der Hauptrolle gesagt: „Jetzt dusch‘ mal die Figur der Benny für heute ab und die Helena wieder herbei.“ Oder manchmal helfen fast schon naive Selbstgespräche vor dem Spiegel wie: „Hey, mach‘s gut, Matthias. Schön, dass du wieder da bist, Albrecht.“ Das hört sich im ersten Moment schrecklich banal und bescheuert an. Aber probieren Sie es mal aus, diese einfachen Mechanismen funktionieren total.
Hat es Sie am Anfang auch erst mal Überwindung gekostet?
Klar. Ich dachte immer, ich müsste mir da was ganz Besonderes, Ausgefallenes, Intellektuelles überlegen. Den Druck habe ich mir selber gemacht, bis ich gemerkt habe: Es kommt in erster Linie darauf an, die Perspektive zu wechseln. Für mich hat das zum Beispiel auch was mit der Atmung zu tun. Ich habe 24 Jahre lang geraucht. Dabei kann man den gleichen Effekt des bewussten Ein- und Ausatmens genauso gut beim Yoga erzeugen. Klappt vielleicht nicht bei jedem und nicht auf Anhieb. Aber den Versuch ist es wert.
Sie arbeiten bekanntlich viel mit Musik, um sich in eine Rolle einzuarbeiten. Hilft Ihnen manchmal auch ein anderer Soundtrack dabei, wieder rauszukommen?
Was bei den Dreharbeiten zu Pfau sehr interessant war, war, dass zu der Zeit in Wien parallel das ImPulsTanz-Festival stattgefunden hat, eines der tollsten Tanzfestivals, die es gibt. Allein der Name ist quasi das Gegenprogramm zu Matthias. Impulsen zu folgen, Emotionen zuzulassen beziehungsweise kreativ darauf zu reagieren und Bewegung fließen zu lassen, das könnte ihm alles nicht fremder sein. Für mich war das das perfekte Kontrastmittel. Ich habe mir viel angeschaut, teilweise bei Workshops mitgemacht und zu Hause für mich nachgetanzt. Einfach, um diesen Typen wieder von mir abzuschütteln, den Schalter umzulegen. Außerdem war ich viel in der Donau baden oder im großen Schwimmbad. Wie gesagt, Wasser hilft auch extrem.
Wo oder wann sind Sie am ehesten Sie selbst?
Dort, wo alles wieder auf den Boden der Tatsachen runtergeholt wird und eine Relation bekommt. Ich selbst packe das am besten in der Natur, die zwar auf ihre Art auch völlig crazy ist, aber für mich liegt darin etwas sehr Beruhigendes, eben weil die Natur so massiv und so fragil zugleich ist.
Welche Rolle, die Sie gespielt haben, waren Ihnen bisher am nächsten?
Vielleicht Jens aus Die stillen Trabanten von Thomas Stuber. Ich habe es als sehr heilsam empfunden, diesen Menschen zu spielen, der so viel mit mir zu tun hat. Darauf habe ich mich fast gar nicht vorbereitet. Da habe mir vorgenommen, ich will jetzt nicht irgendwie die Sprache, den Dialekt perfekt treffen, sondern einfach mal nur mit mir zum Set kommen und schauen, wie ich das mit seiner Biografie und seinem Charakter zusammenzubringen kann.
Gab es eine fremde Identität, die Matthias annimmt, die Ihnen am meisten Spaß gemacht hat?
Eigentlich keine, weil wir uns gleich in einem der ersten Gespräche einig waren, dass es nicht darum geht, tief in diese verschiedenen Charaktere einzusteigen und denen eine eigene Persönlichkeit zu geben, so nach dem Motto: „Da kann der Schuch jetzt mal voll aufspielen.“ Damit würden wir den Kern des Films lediglich umschiffen. Es war eher spannend, den Ton in der Hinsicht auf einem bestimmten Level zu halten und eher neutral, weil dadurch die Vermischung der Figur mit dem verzerrten Selbstbild, das Matthias von sich hat, noch fließender, noch unmerklicher passieren kann.
Sind Sie selbst auch eher ein ordentlicher, aufgeräumter Typ wie Ihre Figur im Film, oder brauchen Sie ein bisschen Chaos um sich herum, um zu arbeiten?
Die Wohnung putzen, saubermachen ist toll, weil ich dabei extrem gut aufräumen kann im Kopf. Ich brauche schon eine gewisse Ordnung, definitiv. Das hat auch etwas mit einer inneren Verordnung zu tun, die einem dann leichter fällt. Aber es ist beides. Ein kreatives Chaos habe ich ebenfalls sehr, sehr gerne. Ich erinnere mich noch gut, wie meine Oma früher immer Zuhause aufgeräumt hat, wenn sie bei uns war. In meinem Zimmer bedeutete das, die ganze Unordnung, die dort herrschte, lediglich schön zu stapeln. Ich fand das schon damals als Bild irgendwie sehr inspirierend.
Es geht in „Pfau“ auch um ein sehr aktuelles Thema: Einsamkeit. Ist das ein Phänomen unserer Zeit, an das wir uns gewöhnen müssen?
Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Einerseits ist da ein Mensch, der ist einsam und dem tut es total gut, wenn er oder sie mal mit jemandem spricht. Das ist ganz natürlich und hat nichts mit einer Verfälschung zu tun, in dem Sinne: Wie will ich wirken oder wie sollen andere mich sehen? Diese Art von Einsamkeit, die nicht frei gewählt ist, wird sicher zu einem immer größeren Problem, dem man entgegenwirken muss. Gleichzeitig habe ich in Südkorea eine ganz andere faszinierende Erfahrung gemacht. Ich war dort Wandern in Bergen, und die Leute haben sich förmlich auf mich gestürzt, weil es sie total verunsichert hat, dass ich ganz alleine unterwegs war. Sie dachten, mir ginge es nicht gut. Dabei hatte ich für mich die Isolation selbst gewählt. Aber dort hatte das eine ganz große Hemmschwelle, die Idee, dass da jemand einsam sein könnte.
Wenn Sie sich jemanden wie Matthias mieten könnten, wofür würden Sie ihn engagieren?
Ich hoffe, dass mir das nie passiert. Es wäre echt traurig.
Sie haben eingangs den österreichischen Humor erwähnt. Was hat er dem deutschen Humor voraus?
Dass Lachen und Weinen, Glück und Trauer, hell und dunkel immer sehr eng beieinander liegen. Und dass der Witz nicht in den Vordergrund gespielt oder, was noch schlimmer ist, komplett durchdekliniert wird, woran so viele deutsche Komödien kranken. Das ist etwas, womit ich überhaupt nicht klarkomme. In dem Moment lachen die Leute im Film dann für sich, aber am Zuschauer geht der Witz vorbei.
Warum trauen sich deutsche Komödie nicht mehr?
Tun sie ja, nur leider viel zu selten. Maren Ade ist nur ein wunderbares Beispiel für eine Regisseurin, die sich dem bewusst entgegenstellt – und die mit ihrem Humor bei mir direkt ins Schwarze trifft.
Was sollte man als deutscher Schauspieler in einem österreichischen Film unbedingt vermeiden?
Ich habe immer sinnbildlich eine ‚glatscht‘ bekommen, wenn ich aus Spaß versucht habe, den Dialekt zu imitieren. Ob im Theater oder beim Film, da hieß es immer: „Hör doch bitte auf. Das ist nicht dein Thema. Das muss jetzt wirklich nicht sein.“ Seitdem halte ich mich daran. (Lacht.)