Bereits zum 28. Mal feiert die Diagonale in Graz ihr jährliches Fest des österreichischen Films.
Nachdem sich der Intendantenübergang im vergangenen Jahr als nahtlos erwiesen hat, stellte die neue Leitung Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar in Zusammenarbeit mit ihren Kuratoren heuer ein sehr junges, weibliches und politisches Programm zusammen. Von der Psychiatrie über den Wahnwitz der österreichischen Einbürgerungsvorgaben bis zum albanischen Strand führt eine spannende Entdeckungsreise durch die Vielfalt des heimischen Filmschaffens.
Die Auswahl des Eröffnungsfilms ist immer eine schwierige Aufgabe, es gibt naturgemäß immer mehr Menschen, die enttäuscht sind, als solche die sich geehrt fühlen dürfen. Nach dem durschlagenden Erfolg von Favoriten der renommierten Dokumentaristin Ruth Beckermann im Jahr 2024 setzt die Diagonale diesmal auf einen Debütfilm: How to Be Normal and the Oddness of the Other World von dem in Graz geborenen Regisseur und Drehbuchautor Florian Pochlatko, der in der Sektion Perspectives der Berlinale seine Weltpremiere feiern durfte, ist eine temporeiche Achterbahnfahrt durch die komplizierte Lebenswelt der 26-jährigen Pia (charismatisch: Luisa-Céline Gaffron), die frisch aus der Psychiatrie entlassen, wieder bei ihren Eltern in der Vorstadt einzieht. Zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen vom Ex- Freund, den Eltern, und den an die eigene seelische Gesundheit zerrieben, zieht sich Pia immer mehr in eine Fantasiewelt zurück – gespalten zwischen Superheldin und Monster. Schon im mehrfach ausgezeichneten Kurzfilm Erdbeerland bewies Florian Pochlatko ein besonderes Gespür für die Lebenswelt seiner damals jugendlichen Protagonisten, auch in seinem ersten Langfilm schafft er es mit klug eingestreuten popkulturellen Verweisen den Zustand einer Generation „labil“ auf den Punkt zu bringen, ohne Larmoyanz, dafür mit umso mehr Empathie, schwarzem Humor und Schwung.
Ebenfalls ein Heimspiel hat Pia Hierzegger, als Darstellerin eine feste Größe des österreichischen Filmschaffens, die ihr Regiedebüt als Weltpremiere in Graz vorstellen wird: In Altweibersommer begeben sich die drei Protagonistinnen auf eine Reise weg vom gewohnten Alltag auf einen verregneten Campingplatz und in ein italienisches Luxushotel. Wie in solchen lakonischen Roadmovies üblich, korrespondiert die äußere Bewegung mit einem inneren Aufbruch zu einer neuen Selbstbestimmung diesmal für die im Kino eher unterrepräsentierte Gruppe von Frauen um die 50, die entweder ihre Kinder schon großgezogen haben oder sich nicht mehr überlegen müssen, welche zu bekommen. Pia Hierzegger als rekonvaleszente Krebspatientin, Ursula Strauss als Familienorganisationstalent, das nicht loslassen kann und Diana Amft als Single, die ihr Liebesleben nicht im Griff hat, verkörpern starke Frauen samt kleinen Schwächen mit viel Spielfreude. Absurd geht es in Olga Kosanovic´s Dokumentar-Langfilmdebüt Noch lange keine Lipizzaner zu: Die Regisseurin dokumentiert einfach den äußerst mühseligen Prozess der Erlangung ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft und braucht nur die Kamera auf den kleinen Kassettenrecorder zu halten, aus dem die Nationalhymne mehr eiert als donnert. Da können auch ein paar Blumen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der vom Gesetzgeber vorgesehene feierliche Rahmen bei der Einbürgerungszeremonie eher einem billigen Begräbnis ähnelt. Österreich ist europaweit eines der Länder, in denen es sehr langwierig und schwierig ist, die Staatsbürgerschaft zu erhalten, da nützt es überhaupt nichts, wenn man wie die Regisseurin hier geboren und aufgewachsen ist, solange die Eltern eine andere Staatsbürgerschaft haben. Eine erste Ablehnung ihrer Staatsbürgerschaft wurde durch Zufall medial aufgegriffen und die Filmemacherin musste die Erfahrung machen, dass der Volksmund sie auf Social Media mit beleidigenden Kommentaren überschüttete, von denen ein Eintrag immerhin den Filmtitel inspirierte: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.“
Einer genau beobachtenden Dokumentaristin ist auch eine der heurigen Positionen gewidmet: Die in Berlin lebende Salzburgerin Ivette Löcker wird im Rahmen einer erstmaligen umfassenden Personale persönlich ihren neuen Film Unsere Zeit wird kommen in Graz im Wettbewerb präsentieren. Wie in allen ihren bisherigen Arbeiten nähert sich Löcker mit viel Empathie auch diesmal ihren Protagonisten – ein österreich-gambisches Paar, das nach Jahren im Ausland versucht, sich hier ein neues Leben aufzubauen – an. Ein Jahr beobachtet sie die beiden bei ihren Bemühungen, bürokratische Hindernisse und weit verbreitete Vorurteile zu überwinden. Löckers Solidarität gilt wie auch in ihrer Regiearbeit Nachtschichten den marginalisierten Perspektiven, die für sich selbst sprechen sollen, auch wenn es nicht immer leicht fällt, Traumata oder rassistische Vorfälle vor einer Kamera öffentlich zu machen. Die griechische Autorin, Regisseurin, Schauspielerin und Produzentin Athina Rachel Tsangari wird ebenfalls in Graz anwesend sein und neben Publikumsgesprächen auch eine Masterclass abhalten. Einem breiteren Publikum bekannt wurde sie als Teil des griechischen Filmwunders durch ihre Zusammenarbeit mit Giorgos Lanthimos und den von ihr inszenierten Attenberg, dessen Hauptdarstellerin in Venedig ausgezeichnet wurde. Dort feierte auch Tsangaris erster englischsprachiger Film Harvest 2024 seine Weltpremiere. Auch in ihren Filmen stehen oft Außenseiter im Mittelpunkt des Geschehens, sie sind gleichzeitig sehr privat und sehr politisch, denn wie die Gesellschaft mit ihren Rändern umgeht, sagt meist sehr viel über ihre humanitären Werte aus.
Über die derzeitigen weltpolitischen Zustände könnte man eigentlich eher weinen, aber gesünder ist es doch, dem Rechtsruck in vielen Ländern mit Humor zu begegnen. Dazu passt auch das heurige filmhistorische Special der Diagonale: Unter dem Titel „Österreich – Eine Satire“ widmet sich das Festival in sieben Programmen mittels einer Spurensuche dem satirischen Schaffen von 1976 bis 1989 in der österreichischen Film- und Fernsehgeschichte. Zeitgeschichtliche Protestbewegungen, der Kampf um Frauen- und Minderheitenrechte, falsche Versprechungen der Konsumgesellschaft und der Wahnsinn und Machtwahn der österreichischen Bürokratie waren damals Themen von Filmen wie Staatsoperette (Franz Novotny), Jetzt oder nie (Peter Patzak), Durch dick und dünn (Margareta Heinrich) oder Der Einzug des Rokoko ins Inselreich der Huzzis (Andreas Karner, Mara Mattuschka, Hans Werner Poschauko), die zum Teil noch erschreckend aktuell wirken. Ein besonderes Schmankerl ist wohl News from home 18.8.88, wo Valie Export Elfriede Jelinek in einem frühen Reaction Video filmt, wie die scharfzüngige Literatin die Fernsehnachrichten des Tages kommentiert. Preise werden natürlich auch wie üblich vergeben, einer steht wie immer schon fest: Inge Maux wird bei der Eröffnung den Großen Schauspielpreis entgegennehmen. Der schön formulierten Jurybegründung ist nichts hinzuzufügen: „Sie kennt keine Eitelkeit und verteidigt ihre Rollen auf eine Weise, die es ganz einfach macht, Wärme und Menschlichkeit in ihren Charakteren zu entdecken. Bei all dem haftet ihr etwas Altersloses an und eine hinreißende kindliche Neugier, die sie, wie alle Großen ihres Fachs, unnachahmlich macht.“ Obwohl Filmarbeiten im Zentrum des vielfältigen Geschehens stehen, was wäre dieses Fest des österreichischen Films ohne die zahlreichen Begleitprogramme wie das Branchentreffen, die Diskussionen mit den Filmemachern und Filmeamcherinnen, der Kooperationen mit den verschiedenen Grazer (Kunst-) Institutionen und nicht zuletzt die Partys, bei denen man noch bis spät in der Nacht Gelegenheit hat, die im Kinosaal aufgestaute Energie beim Lästern oder Loben oder auf der Tanzfläche wieder abzubauen.