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Walk the Line – Der Grenzengänger

Der Grenzengänger

| Leslie O'Brien :: Jörg Schiffauer |

James Mangold porträtiert Johnny Cash (1932–2003) in Walk the Line weniger als glanzvollen Superstar, sondern rückt die dunklen Seiten des „Man In Black“ in den Mittelpunkt.

Zugegeben, man könnte eigenen Vorurteilen leicht zum Opfer fallen. Der populärste  Vertreter der Country-Music-Szene erscheint bei oberflächlicher Betrachtung vorschnell als Sprachrohr jenes bieder-reaktionären Amerika, dem George W. Bush seine Wiederwahl verdankt. Doch einer, dessen erfolgreichste Platte ausgerechnet vor den Insassen eines kalifornischen Staatsgefängnisses eingespielt wurde, passt nicht in das Schema des prototypischen Repräsentanten des konservativen Amerika, der die sprichwörtliche ländliche Idylle besingt. Das beim Konzert in der gleichnamigen Strafanstalt aufgenommene Album At Folsom Prison (1968) markierte nicht nur den endgültigen Durchbruch von Johnny Cash zum absoluten Superstar, sondern spiegelte auch die Ecken und Kanten seines Charakters wieder.

Aufstieg und Selbstzerstörung

Das Folsom-Konzert nimmt als Ausgangs- und Endpunkt dann auch einen zentralen Platz in James Mangolds biografischer Annäherung an Johnny Cash ein, obwohl der Regisseur dem Terminus „Biopic“ kritisch gegenübersteht: „Mit Biopic assoziiere ich vor allem unheimlich langweilige Filme, die das Leben einer bekannten Persönlichkeit von der Geburt bis zu deren Tod abzuarbeiten versuchen. Da wird dann ein berühmter Schauspieler in ein Kostüm gesteckt, die bekanntesten Episoden eines Lebens nachgestellt, was mich immer ein wenig an ein Wachsfigurenkabinett erinnert. Was jedoch in der Person vorgeht, kommt natürlich zu kurz.“ Walk The Line weist schon in den ersten Einstellungen in eine andere Richtung. Kurz bevor er die Bühne im Folsom-Gefängnis betritt, verharrt die Kamera lange in Nahaufnahme auf einem bleichen, schweißüberströmten Johnny Cash (Joaquin Phoenix), sichtbares Zeichen des inneren Kampfes, der ihn über Jahrzehnte hinweg gequält hatte, und der zum Leitmotiv der von diesem Punkt in Rückblenden operierenden Narration wird.

Zwar orientiert sich Regisseur und Drehbuchautor Mangold an biografischen Eckdaten („John und June Carter waren von Anfang an sehr hilfreich, sie haben mir viele, viele Details ihrer Geschichte erzählt“), doch entwickelt sich der Film schon bald zum Drama einer überlebensgroßen Hauptfigur, das mit klassischen Konfliktstoffen geradezu gespickt ist. Die reichen in die von bitterer Armut geprägte Kindheit, die vom frühen Tod des Bruders und einem noch Jahrzehnte nachwirkenden Konflikt mit seinem unnahbaren Vater bestimmt ist, von den mühsamen, oft von Demütigungen begleiteten Anfängen seiner Musikkarriere, bis hin zu einer zu früh geschlossenen Ehe, die zusehends zu einer Heile-Welt-Fassade verkommt, während seine eigentliche große Liebe über Jahre hinweg unerfüllt bleibt. Bei solch großem Konfliktpotenzial wird selbst der rasante Aufstieg zum erfolgreichen Musiker zum Bumerang. Dem Stress und dem Erfolgsdruck kann Johnny Cash bald nur noch mit Aufputschmitteln Herr werden, die immer wieder auftretenden persönlichen Krisen münden schließlich in eine von einem Hang zur Selbstzerstörung geprägte schwere Alkohol- und Tablettenabhängigkeit.

Walk the Line

Dass ein biografischer Film über Cash sich von seiner dramaturgischen Struktur her mehr mit den Konflikten und der inneren Zerrissenheit des Mannes auseinandersetzt als mit den Höhepunkten seiner unvergleichlichen Karriere, erscheint angesichts von Cashs Tendenz zu extremen, grenzgängerischen Entscheidungen durchaus passend. Die zeigten sich sowohl in seinem privaten Leben, etwa in seinem jahrelangen Versuch, seine große Liebe June zu gewinnen (mit der er dann über 30 Jahre lang verheiratet war) bis hin zu seinen Drogenexzessen samt konsequent durchgeführtem Entzug, als auch in seiner künstlerischen Arbeit, die in Songs wie Man In BlackFolsom Prison Blues oder I Walk the Line immer auch die Schattenseiten der US-amerikanischen Gesellschaft thematisiert hatte.

Mangold, dem ein Ruf als „Actor’s Director“ vorauseilt, kann auch in Walk The Line auf seine Hauptdarsteller vertrauen. Joaquin Phoenix macht die unterschiedlichen Facetten Johnny Cashs eindringlich sichtbar, Reese Witherspoon agiert überraschend zurückgenommen und sammelt so Sympathiepunkte als June Carter-Cash. Mit einem chronologisch geordneten Abarbeiten aller relevanten Stationen im Leben des John R. Cash kann und will Mangolds Film nicht aufwarten, doch die Fokussierung auf den inneren Dämon seines Protagonisten entlang dramaturgisch erprobter Handlungsstränge zeichnet ein Porträt, das der Vielschichtigkeit des „Man in Black“ gerecht zu werden scheint.

James Mangold

Mit seinem Spielfilmdebüt Heavy (1996) gewann der 1964 in New York geborene James Mangold, Absolvent der Filmschule der renommierten Columbia University, den Preis für die beste Regie beim Sundance Filmfestival. Für Copland (1997), zu dem er auch das Drehbuch verfasste, nahmen die Miramax-Bosse Bob und Harvey Weinstein Mangold unter Vertrag; das im Polizistenmilieu angesiedelte Drama versammelte Schauspielgrößen wie Robert DeNiro, Harvey Keitel, Ray Liotta und einen bemerkenswert uneitel agierenden Sylvester Stallone. Danach folgte der auf den Memoiren einer Psychiatriepatientin basierende Film Girl, Interrupted(1999), für den Angelina Jolie einen Oscar als beste Nebendarstellerin gewann. Die romantische Komödie Kate & Leopold (2001) mit Meg Ryan war der erste Rückschlag in Mangolds Karriere, ehe er sich 2003 mitIdentity erfolgreich an einem Psychothriller versuchte. Seit längerer Zeit angekündigt ist sein Projekt, ein Remake von Delmer Daves’ schönem Western 3:10 to Yuma (1957) zu drehen.