Robert Guédiguians philosophische Reise in die Gedanken und Einsichten eines sterbenden Politikers mit einem großartigen Michel Bouquet als François Mitterrand, dem letzten der großen französischen Präsidenten.
„Ein Sieg der Linken ist nur unter einer einzigen Bedingung möglich: Dass wir nie vergessen, dass unsere Familie die Arbeiter sind.“
(François Mitterrand)
Dieses Zitat klingt vermessen aus dem Munde eines Staatsmanns, der die Hälfte seiner Zeit mit Politikern und die andere mit Büchern verbrachte. Mit Arbeitern kam er nur beim Händeschütteln vor Wahlkämpfen in Berührung. Und doch liegt in diesen Worten, die die Widersprüchlichkeit der Politik selbst charakterisieren, eine Glaubwürdigkeit, die vielleicht auch Robert Guédiguian (Marius et Jeanette) dazu bewogen hat, sein gewohntes Terrain des Mikrokosmos Marseille zu verlassen und sich an einem ungewöhnlichen Biopic zu versuchen.
Auf der einen Seite der sterbende Präsident, der eine ganze Ära geprägt hat. Ähnlich wie Bruno Kreisky ein pragmatischer Politiker mit Visionen, der sich im Angesicht des Todes auf langen Spaziergängen an Politisches wie Privates (er würde gern einmal mit Julia Roberts in einer Limousine die 5thAvenue entlangfahren) erinnert. Mit einem selbstironischen Lächeln auf den Lippen verkündet der Machtmensch keine „famous last words“, eher beiläufige Anekdoten des Versuchens und des Scheiterns, des Lernens und der Hoffnung. Sein Gegenpart ist ein junger, idealistischer Journalist, der mit aller Macht die Wahrheit erfahren will: über Mitterrands dubiose Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg, und darüber, wie es ist, Macht zu haben und diese auch einzusetzen, aber doch einsehen zu müssen, dass man die Menschen nicht ändern kann.
Der Film erzählt keine herkömmliche Biografie mit wichtigen Lebensdaten, auf die für Biopics so charakteristischen Rückblicke verzichtet der Regisseur vollständig. Guédiguian interessiert sich vielmehr für Spannung zwischen den verschiedenen Lebensaltern: Man kann sich gut vorstellen, dass der kämpferische Journalist in 30 Jahren ein satter Chefredakteur sein wird. Auch die Sympathie von Mitterrand für den Interviewer ist leicht nachvollziehbar, erkennt er doch seine eigene Kraft der Jugend in ihm wieder. Und jedes Lebensalter hat seine Prüfungen. Mitterrand kämpft mit der Gewissheit des nahen Todes, der Journalist mit den Unwägbarkeiten einer neuen Liebe.
Le promeneur du champ de mars bietet, eingebettet in teilweise brillante Dialoge, vor allem auch großes Schauspielerkino. Michel Bouquet ragt dabei noch heraus, er spielt nicht bloß, er ist François Mitterrand.