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Flags of Our Fathers

Clint Eastwood – Helden aus der zweiten Reihe

Helden aus der zweiten Reihe

| Ralph Umard |

Clint Eastwoods „Flags of Our Fathers“ ist nicht nur die Rekonstruktion der Schlacht um Iwo Jima und der Ereignisse rund um das berühmteste Foto des Zweiten Weltkriegs, sondern auch eine beeindruckende Darstellung seiner Auswirkungen: auf die amerikanische Nation und den zweiten Kampf der Helden in der Heimat.

„Was bleibt vom Heldentum?
Ein verfallener Grabhügel,
auf dem das Unkraut rot wie Feuer steht.“
(Konfuzius)

„Wenn die Wahrheit über die Legende herauskommt, druckt die Legende.“
Dieser Satz aus John Fords Klassiker The Man Who Shot Liberty Valance umschreibt auch eine zentrale Thematik in Clint Eastwoods jüngster Regiearbeit. Einmal mehr setzt sich der Hollywood-Star, der selber eine ganze Reihe unterschiedlicher Helden- oder Antiheldenfiguren dargestellt hat, mit dem Wesen von Helden und Heldentum auseinander. Bereits in seinem meisterhaften Spätwestern Unforgiven (1992) zeigte er, wie Legenden entstehen, und wie wenig sie mit der Realität zu tun haben. Berühmte Revolverhelden wurden entlarvt als gemeine Killer, ihre „Arbeit“ mit der Waffe hatte nichts Glorioses, vielmehr glich sie einer widerlichen Schlachterei. In Space Cowboys (2000) behandelte er später das Helden-Thema sogar auf witzige Weise und schickte ein paar abgehalfterte, alte Männer als Astronauten ins All.

In Flags of Our Fathers beleuchtet Eastwood nun die Entstehungsumstände eines der berühmtesten Bilder in der Geschichte der Kriegsfotografie: Es zeigt sechs Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg auf der von den Japanern zur Festung ausgebauten Insel Iwo Jima ein schweres Eisenrohr mit der amerikanischen Flagge daran aufrichten, um die Eroberung der Stellung zu signalisieren. Am 25. Februar 1945 erschien diese Aufnahme des Fotografen Joe Rosenthal in den US-amerikanischen Zeitungen. Das Bild löste eine Woge von Hurra-Patriotismus in der kriegsmüde werdenden Bevölkerung aus und wurde von der Regierung umgehend zu Propagandazwecken benutzt. Die Tatsache, dass die Gesichter der Soldaten auf dem Foto nicht zu sehen waren, abstrahierte und verstärkte die Bildwirkung noch, gab aber auch zu Spekulationen und Falschdarstellungen Anlass.

So wurde einer der Flaggensetzer zunächst bewusst falsch identifiziert, und die ganze Aktion fand nicht unter Lebensgefahr im Gefecht statt, sondern ganz in Ruhe bei einer Feuerpause – war also keineswegs eine Heldentat. Die Insel war zu dem Zeitpunkt noch längst nicht von den US-Marines erobert, bei den wochenlangen Kämpfen fanden zigtausende Japaner und Amerikaner den Tod. Nichtsdestotrotz wurden John Bradley, Rene Gagnon und Ira Hayes – jene drei Soldaten auf dem Foto, welche die Schlacht überlebten – in der Heimat zu Helden hochgejubelt.

Der menschliche Faktor

Nachdem diese Männer ihre Verdinglichung als Menschenmaterial im Kriegseinsatz überstanden hatten, wurde ihre Instrumentalisierung an der Heimatfront fortgesetzt: Sie mussten bei Massenkundgebungen und Showauftritten für den Kauf von Kriegsanleihen werben, um die nötigen Dollarmilliarden aufzubringen, damit die US-Kriegsmaschinerie mit Waffen, Munition und Sprit am Laufen gehalten werden konnte. Nach Gebrauch wurden die drei „Helden“ von der Armee ausrangiert und sich selber überlassen.

Flags of Our Fathers zeigt die drei Soldaten von ihrer menschlichen Seite und macht deutlich, dass sie alles andere als Helden sind, nämlich schlichte, fremdbestimmte Durchschnittscharaktere, die mehr oder weniger stark an ihren seelischen Verletzungen leiden, nachdem sie das Stahlgewitter auf dem Schlachtfeld mit Glück überstanden haben. Strukturiert ist ihre Geschichte – wie schon Eastwoods Künstlerporträt Bird (1988) des Saxofonisten Charlie Parker – mit zahlreichen Rückblenden: Ausgehend von Erinnerungen der betagten Veteranen Bradley und Gagnon werden ihre Erlebnisse auf dem Kriegsschauplatz und ihre Werbeeinsätze an der Heimatfront abwechselnd darstellt, werden Schlachtbilder mit Showbusiness kontrastiert.

Besonderes Augenmerk richtet Eastwood dabei auf das Schicksal von Ira Hayes, einem Marineinfanteristen indianischer Abstammung, der schlechter als Bradley oder Gagnon mit dem Kriegstrauma fertig wird und zudem ständig rassistische Bemerkungen und den Spottnamen „Häuptling“ ertragen muss. Hayes lehnt die Heldenrolle ab, macht beim Werbezirkus für die Kriegsanleihen nur widerwillig mit, wird alkoholkrank und geht im Zivilleben jämmerlich zugrunde. Adam Beach, ein Ojibwa Indianer vom Stamm der Salteaux, der schon in John Woos Heroen-Epos Windtalkers (2002) eine Hauptrolle im Krieg gegen die Japaner spielte, stellt Hayes als Opfer des Heldenrummels hochemotional und glaubwürdiger dar als Tony Curtis, der Ira Hayes 1960 in Delbert Manns Filmporträt The Outsider verkörpert hatte (Hayes’ Schicksal, der 1955 tot aufgefunden wird, erlangte durch Bob Dylans The Ballad of Ira Hayes traurige Berühmtheit).

Die in Island gedrehten Kriegsaufnahmen, gehalten in blassblauem, grauem und olivgrünem Licht, erscheinen bedrückend. Hautnahe Action-Einstellungen von der Truppenlandung am Strand wie in Spielbergs Saving Private Ryan (1998) wechseln mit Totalen, welche die Verlorenheit, die Bedeutungslosigkeit der einzelnen Individuen bei der Invasion spürbar machen. Wie ein Heer von Ameisen krabbeln die Soldaten voran. Egal, wie viele dabei drauf gehen – massenweise Verluste sind einkalkuliert –, wenn die Insel am Ende erobert ist, gilt das als Sieg. Anders als bei vielen früheren Kriegsfilmen sind die Kampfszenen hier jedoch nicht Selbstzweck zur spektakulären Action-Unterhaltung. Im Getümmel werden nicht einzelne, scheinbar unverwundbare Star-Akteure wie etwa in Windtalkers herausgestellt; die Gefechtsaufnahmen sind verhältnismäßig sparsam zur notwendigen Veranschaulichung des Kriegsgeschehens eingesetzt. Eine der stärksten Szenen des Films macht das Absurde im Krieg schockierend deutlich: Beim Bemühen, einen Kameraden mit aufgerissener Bauchdecke notdürftig zu versorgen, schlitzt ein US-Soldat den Leib eines unvermittelt herbei kommenden japanischen Soldaten auf und lässt ihn elendig verenden.

Kein schöner Tod

„Sterben ist nicht romantisch, es macht Angst“, erklärt Eastwood und zeigt statt Heldentot schonungslos zerfetzte Gefallene. „Die Welt soll gerade heute nicht glauben, dass der Tod schön ist.“ Auf die Frage, ob diese realistische und erschreckende Art, wie hier der Tod dargestellt wird, im Zusammenhang mit seinen früheren Filmen stehe, in denen er Gewalt und Tod oft ästhetisiert, verharmlost oder verherrlicht hatte, meint er: „Nein, das hat nichts mit Buße zu tun, es zeigt nur die Betroffenheit angesichts der Dinge, die heutzutage in der Welt geschehen.“ Und fügt, nach einer kurzen Pause, hinzu: „Vielleicht hat es aber auch mit beidem zu tun.“

Flags of Our Fathers führt vor Augen, dass es reiner Zufall ist, welcher Soldat im Kanonendonner und Kugelhagel überlebt oder stirbt. In alten Zeiten mag es bei Schlachten mit Schlag- oder Stichwaffen noch Zeit und Raum für tollkühne Gefechtsaktionen, bravouröse Duelle oder kampftechnische Meisterleistungen gegeben haben. Inzwischen sind solche Heldentaten kaum noch möglich. Man ist vor allem damit beschäftigt, seine Haut und vielleicht noch verletzte Kameraden zu retten, und kann dabei mehr oder weniger Mut beweisen. Aber Heldentum? „Vielleicht gibt es so etwas wie Helden gar nicht“, heißt es skeptisch gegen Ende des Films, dessen Darstellung von Heldenverehrung man leicht abgewandelt mit John Cages moderner Kunstdefinition „If you celebrate it, it’s art; if you don’t, it isn’t“ umschreiben kann: Wenn sie gefeiert werden, sind es Helden; wenn nicht, sind sie keine. Heldentum wird als Humbug entlarvt.

Die Aktualität von Flags of Our Fathers ist nicht zu übersehen: Verführbarkeit der Volksmassen durch Showbusiness, Werbung, politische Propaganda und mediale Meinungsmache; das Bedürfnis der Menschen nach Idolen, Identifikation mit überlebensgroßen Vorbildern, kollektiven Gefühlserlebnissen und Gruppenzugehörigkeit. Aktuell sind aber auch die opportunistischen Verhaltens- und oft zynischen Denkweisen von militärischen oder zivilen Machthabern, Generälen oder Gouverneuren, die Eastwood als Whisky saufende Schwätzer oder großmäulige Machos zeigt, während er für die einfachen Soldaten offensichtlich Sympathien hegt. Flags of Our Fathers ist kein Antikriegsfilm wie beispielsweise Kubricks Paths of Glory (1957), obwohl in beiden Fällen die Anführer als moralisch verdorben dargestellt werden. Eastwood stellt den Krieg gegen die Japaner nicht in Frage, er verurteilt ihn weder, noch verherrlicht er ihn. Aber er macht wie Kubrick deutlich, wie unmenschlich Krieg ist, und welche schlimmen psychischen Spätfolgen er bei den Überlebenden zeitigt. Spätfolgen, unter denen heute auch Irak- oder Afghanistan-Veteranen leiden.

Am Rande Hollywoods

Die Darstellung der Heldenvermarktung inklusive einer Miniaturnachbildung des Flaggenfotos aus Eiskrem mit blutroter Erdbeersauce beim Heldenbankett, sowie die wenig schmeichelhafte Charakterzeichnung der dafür Verantwortlichen, reflektieren Eastwoods eigene Einstellung zu Hollywood. Schon in White Hunter Black Heart (1990) hatte Eastwood in der Rolle eines prominenten Hollywoodregisseurs (als Vorbild diente John Huston) von „Huren“ in Hollywood gesprochen, die Wörter, Ideen, Melodien verkaufen. Damals meinte er: „Ich weiß, wovon ich rede, ich habe früher auch einigermaßen rührig im Getriebe mitgemischt, sehr viel mehr leider, als ich zugeben möchte. Und was ich verkauft habe während meines Herumhurens, krieg ich niemals wieder.“

„In White Hunter Black Heart gibt es eine Menge, was man auf mich beziehen kann“, meint Eastwood heute: „So erklärt der Regisseur seinem Autor zu Beginn, dass man, wenn man einen Film macht, nicht daran denken soll, wie er beim Publikum ankommt. Man müsse den Film nach seinem eigenen Gefühl machen. Das ist eine Philosophie, die ich teile, obwohl ich ansonsten einen ganz anderen Charakter als er habe.“ In der Tat neigt Eastwood weder zu Extravaganzen, noch lässt er sich von Obsessionen hinreißen wie einst der Spieler, Trinker und leidenschaftliche Jäger Huston. Eastwood ist ein bodenständiger Typ, für den Jahrmarkt der Eitelkeiten, den Society-Rummel in der Filmmetropole Los Angeles hat er nichts übrig. Er nimmt höflich und nicht ohne berechtigten Stolz an Oscar-Verleihungen und anderen Ehrungen teil; ansonsten lebt er in seiner Freizeit abseits von Hollywood mit Frau und Tochter im kalifornischen Küstenstädtchen Carmel.

In der Vergangenheit war Eastwood oft zu Unrecht rechter Gesinnung verdächtigt worden, nicht zuletzt deshalb, weil viele Menschen dummerweise noch immer Schauspieler (wie Eastwood) mit ihren Rollen (wie Dirty Harry) in Verbindung bringen. Dabei ist Eastwoods Einstellung am ehesten als wertkonservativ zu bezeichnen, Flags of Our Fathers bringt seine humanistische Position deutlich zum Ausdruck. Er engagiert sich als Kommissar im kalifornischen Aufsichtrat für Parks und Erholung, sowie als Sprecher der Umweltschutz-Organisation Take Pride in America. Doch politische Ambitionen hegt er nicht (mehr), auch wenn er in Carmel von 1986 bis 1988 Bürgermeister war: „Einige Sachen im Ort liefen nicht so, wie ich mir das vorstellte. Ich war über die Stadtverwaltung nicht glücklich. Ich wollte etwas verändern und jemanden überreden, für das Bürgermeisteramt zu kandidieren. Schließlich überredete man mich, zu kandidieren – nach einigen Gläsern Wein. Ich habe dann auch einige Sachen erreicht als Bürgermeister, aber noch einmal würde ich so etwas nicht machen.“

Vom Filmemachen hat der Kino-Veteran trotz seines hohen Alters jedoch noch immer nicht genug: Nach wie vor arbeitet er regelmäßig als Produzent, Regisseur und Schauspieler; für Flags of Our Fathers (und vorher schon Million Dollar Baby, 2004) komponierte er zudem die Filmmusik. Das Weltkriegsdrama ist seine bislang aufwändigste und kostspieligste Produktion und ein Doppelprojekt: Im nächsten Jahr soll ein zweiter Film erscheinen, der den Kampf um Iwo Jima aus japanischer Sicht darstellt – auf der Grundlage von überlieferten Briefen, die der damalige Oberbefehlshaber der Inselfestung, General Kuribayashi, an seine Frau und Kinder schickte. Arbeitstitel: Letters from Iwo Jima.

Eastwood genießt das seltene, selbst verdiente Privileg, Filmprojekte ganz nach seinem Gusto aussuchen und gestalten zu können. Bereits 1968 hatte er, frustriert von dem langwierigen Produktionsprozedere der Hollywood-Studios und der Bevormundung durch deren Funktionäre, seine eigene Filmfirma Malpaso gegründet, benannt nach einem kleinen Wasserlauf bei Monterey. Seine erste Produktion war The Beguiled (1971), Regie führte Don Siegel, mit dem er kurz darauf Dirty Harry drehte. Damit begann die bis heute andauernde, für beide Seiten sehr lukrative Zusammenarbeit mit Warner Bros., die den Vertrieb von Eastwoods Produktionen übernehmen. „Ich kann tun, was ich möchte“, sagt Eastwood, „aber wenn ich, sagen wir, zehn Flops in Folge produzieren würde, würde ich wahrscheinlich Probleme bekommen.“

Auf zehn Flops in Folge wird es der 76-Jährige, der seine besten Filme im fortgeschrittenen Alter gedreht hat, definitiv  nicht mehr bringen. Wahrscheinlich ist aber, dass der leidenschaftliche Filmemacher, wie der greise John Huston, noch im Rollstuhl Regie führen wird.