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Golden Door – Das Tor zum Himmel

Das Tor zum Himmel

| Barbara Schweizerhof |

In „Golden Door (Nuovomondo)“ erzählt Emanuele Crialese poetisch-elegisch von den Träumen und Hoffnungen sizilianischer Auswanderer.

Die magische Anziehungskraft, die von der „Neuen Welt“ einst ausging, ist heute kaum mehr nachvollziehbar. In Nuovomondo lässt Autor und Regisseur Emanuele Cria-lese seine sizilianischen Bauern über Postkarten staunen, die Bäume zeigen, auf denen Münzen wachsen, und eine Zwiebel, so groß, dass man sie mit der Schubkarre transportieren muss. Für den früh verwitweten Salvatore Mancuso (Vincenzo Amato) geben diese Bilder den letzten Ausschlag für seinen Entschluss, mit den beiden jugendlichen Söhnen und der Mutter nach Amerika aufzubrechen. Das Gesehene geht ihm nicht mehr aus dem Kopf; es nistet sich in seinen Träumen ein: Der Münzregen aus dem Baum, Oliven in der Größe von Melonen, Karotten so lang und dick wie junge Baumstämme. Amerika, die „Neue Welt“, verstand es schon immer, die Menschen bei ihren ureigens-ten Sehnsüchten abzuholen und auf diese Weise für sich zu werben.

Große Erwartungen

Crialese, zwar in Rom geboren, aber sizilianischer Herkunft, schildert in Nuovomondo die entscheidenden drei Etappen des Auswanderns zu Beginn des 20. Jahrhunderts: der Aufbruch aus verarmten bäuerlichen Verhältnissen, die Überfahrt in bedrängender Enge, die Ankunft in einer noch rätselhaften Moderne. Die neue Welt selbst allerdings bekommen wir nie zu Gesicht. Auch Salvatore erhascht nur einen flüchtigen Blick auf Manhattan, von Ellis Island aus, wo er und seine Familie die zahlreichen Untersuchungen der US-amerikanischen Einwanderungsbehörde hinter sich bringen. Wir erfahren also auch nichts über Salvatores Reaktion darauf, dass es in Amerika keine Riesenkarotten gibt und auch kein Geld von Bäumen regnet. Was Crialese stattdessen deutlich macht, ist die Tatsache, dass Salvatores Sehnsüchte sich im Prozess des Auswanderns bereits gewandelt haben. Aufgebrochen als armer und rückständiger Bauer, gelangt er nach Ellis Island als jemand, der eine noch offene Zukunft für sich entdeckt hat. Es ist diese Hinwendung zu den inneren, eigentlich unsichtbaren Vorgängen, die Nuovomondo zu einem sehr berührenden Film machen. Für ein Thema, das heute meist in detailversessenen Dokumentationen mit „Re-enactment“ abgehandelt wird, findet Crialese Szenen und Bilder, die das große Drama des Abschieds von alten Traditionen und Identitäten sichtbar machen. Ergreifend ist das, weil es ein unwillkürlicher Prozess ist, einer, den die, die sich da wandeln, selbst kaum begreifen. Mit der leicht übertriebenen Konzentration derer, die nichts falsch machen wollen, sind sie viel zu sehr mit der Anpassung an die jeweilige Etappe des Wegs beschäftigt, um je einen Plan für die Zeit nach der Ankunft zu fassen.

Wie Crialeses Inszenierung vorgeht, lässt sich an einer Szene deutlich machen, von der der Regisseur selbst sagt, dass sie den Ausgangspunkt des Films bildete. In ihr nimmt die Kamera von oben herab das Deck des ablegenden Schiffs und den Hafenpier in den Blick. Die Grenze zwischen den dicht gedrängten Menschen an Bord und denen am Ufer ist kaum auszumachen. In banger, feierlicher Stille steht man sich gegenüber, während unter dumpfen Ächz-Geräuschen das Schiff langsam beginnt, davonzudriften. Es ist, als ob ein Kontinent wegbricht, eine schmerzhafte Teilung, aber auch eine Geburt. Der ganz und gar fiktive Einfall, diese Szene ohne Tränen, lautes Abschiedsrufen und winkende Taschentücher zu zeigen, bringt sowohl die symbolische als auch die reale Wucht dieses Moments erst richtig zur Geltung.

Für die Magie solcher Augenblicke besitzt Crialese einen besonderen Sinn. Er erzählt nicht in herkömmlichen Bildern, den einfachen, nahe liegenden, sondern oft in solchen, die ein wenig verrätselt wirken. Wie dem, wenn Salvatore und seine Familie sich vor dem Einschiffen fotografieren lassen und sich auf einmal eine geheimnisvolle Dame zu ihnen stellt. Lucy (Charlotte Gainsbourg) behauptet von da an einfach, sie reise mit dieser Familie. Erschrocken hören die drei männlichen Mancusos ihr dabei zu, kommen aber gar nicht auf die Idee zu widersprechen. Warum die rothaarige Engländerin auf dem sizilianischen Schiff gelandet ist, darüber klärt der Film nie richtig auf. Man hört die Gerüchte, die über sie erzählt werden:

Dass sie einen Mann zum Heiraten suche, um in New York einreisen zu können. Man sieht sie Kontakt zu allerlei Geschäftemachern aufnehmen. Warum sie sich schließlich ausgerechnet Salvatore aussucht und ihm einen Antrag macht, kann man nur erahnen. Freudig, mit der neu gewonnenen Offenheit für das, was noch kommt, sagt er zu. Es könnte sein Untergang sein, aber der Film schließt auch ein ungewöhnliches Glück nicht aus.

Tradition und Moderne

Die Perspektive des Films bleibt im Wesentlichen jene von Salvatore und seiner Familie. Auf den steinigen Äckern ihrer Heimat erscheinen sie noch als verschworene Gemeinschaft, mit der Ankunft in der Hektik der Hafenstadt beginnt ein paradoxer und schmerzlicher Lösungsprozess. Nun bilden sie Teil eines Stroms, der nicht mehr aufgehalten, sondern lediglich kanalisiert werden kann. Es zeichnet sich ab, dass sie sich verlieren werden: Der eine Sohn ist stumm, ihm droht die Einreiseverweigerung, genauso wie der Mutter, auf die der Zauber der Neuen Welt keinen Einfluss hat, weil sie sich von den Geistern der alten nicht lösen will.

Mit jeder Etappe wechselt der Film seine Tonart. Zu Beginn, als man sich noch in einem Film von Ermanno Olmi oder den Tavianis glaubt, unterstreichen geisterhaft-ätherische Volksweisen die Erdverbundenheit, aber auch Rückständigkeit der armen Sizilianer. Auf der Überfahrt beginnt die „Multitude“ mit folkloristischen Gesängen; die engen Verhältnisse der

Unterdeck-Passage werden zur Brutstätte neuer Identitäten. Als kurz vor New York die alten Festtagskleider aus den Koffern geholt werden, sehen viele darin schon wie verkleidet aus. Mit der Ankunft auf Ellis Island bringt jazziger Gospel es schließlich auf den Punkt: die Ankunft in der Moderne, die sich  eröffnenden individuellen Freiheiten, aber auch die Trauer

um das, was zurückgelassen werden musste. Nahezu farcehafte Züge bekommt der Film bei der Schilderung der Untersuchungen, die die amerikanische Einwanderungsbehörde mit den Menschen aus der alten Welt veranstaltet. Da werden Schädel vermessen, Schamhaare begutachtet und Intelligenztests durchgeführt, die selbst die Willigsten als demütigend empfinden. Ein wenig meint man hier die kollektive Kränkung zu erkennen, die den Italienern bezüglich ihrer Behandlung in der Neuen Welt bis heute geblieben ist. Ausgerechnet Salvatores Mutter aber versteht in der ihr eigenen Hellsicht, dass es bei diesem Procedere weniger um Ausschluss als vielmehr um An- und Einpassung geht. Stolz verweigert sie sich. Salvatore und die Seinen aber lernen das Schwimmen.