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Filmmusik – Dry Your Tears, Africa

Dry Your Tears, Africa

| Mike Beilfuß |

So betitelte der Schriftsteller Bernard Binlin Dadié von der Elfenbeinküste eines seiner Gedichte, das John Williams für Spielbergs Amistad vertonte. Doch die Tränen des schwarzen Kontinents sind noch lange nicht getrocknet, und die Aneignung seiner Musik im Hollywoodfilm ist eine eigene Geschichte.

Gleißendes Abendlicht, ein Affenbrotbaum, Robert Redford und Mozarts Klarinettenkonzert. „He even took the gramophone on safari. Three rifles, supplies for a month and … Mozart“, beginnt die Stimme von Meryl Streep aus dem Off zu erzählen.

Sydney Pollacks ungemein erfolgreiche Visualisierung des bereits kolonialisierten schwarzen Kontinents hat das Afrikabild einer ganzen Bildungsbürger-Generation in der westlichen Welt nachhaltig geprägt. Opulente Bilder einer unfassbaren Weite, das ruhige Erzähltempo und ein stark angelegter Frauencharakter, der sich in einer neuen Welt behauptet – das alles hat viele Menschen derart beeindruckt, dass Out of Africa eine große Reisewelle auslöste; Safari-Reisen wurden zum Charterangebot und Afrika zum Film gewordenen Klischee.

Oberflächlich gesehen liegt die Musik über dem Film wie ein Tourist, der all die Löwen, Eingeborenen und weiten Landschaften auf einer Safari aus dem vorbeifahrenden Auto betrachtet. Wie arrogant mutet es auch zunächst an, wenn Robert Redford sein Grammophon mit in die weite, einsame Steppe nimmt und Mozarts Klarinettenkonzert für sich, eine Frau und die Löwen zum Besten gibt. Als sei Mozart in der afrikanischen Steppe nicht schon genug westlich projizierte Hintergrundbemalung, komponierte John Barry eine großorchestrale Filmmusik, die den ohnehin schon breiten und überdimensionierten Bildern zusätzlich eine solche Weite gibt, dass es für den Zuschauer angesichts dieser überbordenden Schönheit beinahe schmerzhaft wird.

Regisseur Pollack hatte am Set die Bilder noch mit typisch afrikanischer Musik hinterlegt. Sein Komponist war anderer Meinung: „Sydney, it’s not about Africa. It takes place in Africa, but it’s seen through two people who are madly in love with each other. It’s really their story.“

Die Musik unterstreicht in ihren vollkommen westlichen Formen die Sicht auf Afrika durch einen Fremden. Es geht nicht um Afrika, sondern um die beiden Hauptcharaktere, die sich in einer fremden Welt ihre eigene Welt zurechtschneidern und nur mit Fluchtpunkten in ihr überleben können: Dafür brauchen sie Heimat, dafür brauchen sie Mozart. John Barrys Musik hingegen unterstützt bei den Kinozuschauern die bildliche Illusion, die sie sich von Afrika und seinen weiten Landschaften machen. Dass Barry dabei eine Musik komponiert hat, die in der großorchestralen epischen Filmmusik neue Maßstäbe setzte, ist ein zusätzlicher starker Effekt. Fünf Jahre später komponierte Barry eine Musik des gleichen Zuschnitts für den ebenso großen Landschaftsfilm Dances with Wolves. Ob Afrika oder die Indianergebiete Nordamerikas – die Sicht des Fremden auf ein Land bleibt in etwa die gleiche.

Out of Africa ist aus musikdramaturgischer Sicht nahezu perfekt: Die drei Szenen, in denen für kurze Zeit scheinbar originäre afrikanische Musik ertönt, sind solche der Erinnerung. Diese afrikanische Musik ist ein während der Arbeit des Kaffeebohnensortierens von Frauen gesungenes Traditional.

Zweimal erscheint diese Musik für den Charakter Meryl Streeps, kaum merkbar für den Zuschauer – beide Male ist sie nicht in Afrika. In ihrer eigenen ursprünglichen Heimat wird diese Musik für sie zur Erinnerung an und zur Identifikation mit ihrer anderen, zweiten Heimat.

Zwischen Imitation und Authentizität

Out of Africa markiert einen kleinen Wendepunkt in der filmmusikalischen Gestaltung von Filmen mit Afrika-Bezug. Allzu oft wurde die stark rhythmisch orientierte afrikanische Musik dazu verwendet, um Action- oder Spannungssequenzen ohne tieferen Inhalt zu beschleunigen. Die Tarzan-Filme (ab 1932) mit Johnny Weissmüller sind ein sehr früher und guter Beleg für einen völlig undifferenzierten Einsatz dieser Musik; einen Einsatz, der durchaus dem eindimensionalen Bild vom dummen Wilden entspricht, das in diesen Filmen vermittelt wird.

Miklós Rózsa fand da 1957 für Richard Brooks’ Something of Value (dt. Titel Flammen über Afrika) schon andere Töne und Worte: „I did three films in 1957, of which only Something of Value, about the Mau-mau, was ,something of value‘. I did research into Kikuyu music and wrote my own Kikuyu music for an African choir. I have to confess that I also wrote my own Kikuyu words – somebody found me a dictionary and I picked words at random. I hoped the Mau-mau would never see the picture, knowing that I could expect no mercy from them if they did.“ (aus: Double Life. The Autobiography of Miklós Rózsa, 1982/1989)

Der unterschätzte Film von Richard Brooks, mit Rock Hudson und Sidney Poitier in den Hauptrollen, ist der erste Film aus Hollywood, der sich ernsthaft mit dem Kolonialismusproblem auch aus afrikanischer Sicht auseinander setzt. Ernsthaft und ungewöhnlich konsequent ist auch der Musikeinsatz Miklós Rózsas, der ausschließlich afrikanische Gesänge verwendete und so dramaturgisch zu einer starken afrikanischen Sicht beitrug. Ethnische Detailtreue hatte zwar 1953 auch schon Bernhard Herrmann für Henry Hathaways White Witch Doctor (mit Robert Mitchum und Susan Hayward, dt. Titel: Weisse Frau am Kongo) angestrebt, aber die in Herrmanns typische Klangsprache eingebundenen afrikanischen Instrumente wie Talking Drums, Pauken, Roto-Toms, Rasseln und drei Marim-baphone konnten lediglich einen rein bildunterstützenden Charakter erzeugen. Nette Anekdote: Für einen gewünschten Gong-Klang griff Herrmann ganz pragmatisch zu einer Trommelbremse eines ausgedienten VW. Auch so kann Afrika in Hollywood klingen.

Zeit der Annäherung

Immerhin gilt White Witch Doctor als der erste große Hollywoodfilm, der sich um eine Einbindung afrikanischer Musik-elemente bemühte, und bis heute ist seine Herangehensweise exemplarisch für die Vertonung von Filmen mit Afrikabezug. Zumeist handelt es sich um eine Verbindung westlicher Harmoniegestaltung mit afrikanischer Instrumentierung wie Trommeln und Gesang. Die vielleicht stringenteste Mixtur in dieser Hinsicht hat 1996 Jerry Goldsmith für The Ghost and the Darkness komponiert, einen gefloppten Mystic-Actionfilm mit Michael Douglas. Seine Komposition bindet afrikanische Musikelemente genauso stark in die westlichen musikalischen Formen ein, wie auch die Charaktere sich immer mehr in der Mystizität ihrer Umgebung verlieren. Die Beängstigung, die das Fremde hervorruft, wird hier durch den Musikeinsatz fühlbar gesteigert. Dass am Ende der großorchestrale Hollywoodsound die Oberhand behält, liegt in der Natur des Films.

Jerry Goldsmiths Komposition ist jedoch Bestandteil und Ausdruck eines neuen Trends in Hollywood, der bereits 1987, zwei Jahre nach Out of Africa, seinen Anfang nahm: einen wesentlich bewußteren Umgang mit afrikanischen Musikelementen für den Soundtrack.

Für Richard Attenboroughs exzellentes Apartheidsdrama Cry Freedom komponierte der Engländer George Fenton, Stammkomponist von Ken Loach und Stephen Frears, die erste größere Filmmusik, die mit rein afrikanischen Musikelementen arbeitet. Die Geschichte um den Freiheitskämpfer Steve Biko, gespielt von Denzel Washington, bekommt nicht zuletzt durch diese Musik einen wirklich afrikanischen Charakter. Gemeinsam von George Fenton und dem afrikanischen Komponisten Charles Gwangwa ausgearbeitet, ist die Musik hier nicht reiner Selbstzweck, Bildbeschreibung oder plakative Farbmalerei, sondern Ausdruck der Empfindungen der Charaktere.

Siegeszug der Weltmusik

In der Folge der musikalischen Kompromisslosigkeit von Cry Freedom haben original afrikanische Instrumentierungen immer öfter Einzug in die filmmusikalische Gestaltung Hollywoods gehalten. Ein weiterer Grund für den verstärkten Einsatz ethnischer Instrumente aus der ganzen Welt ist auch das seit den 80ern immer mehr an Bedeutung gewinnende Genre „Weltmusik“.

Ursprünglich geht der Begriff auf das von Peter Gabriel initiierte WOMAD-Festival und sein Label Real World zurück und verstand sich als Crossover aus westlicher Populärmusik und traditionellen, nichtwestlichen Musikformen.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Begriff „Weltmusik“ vereinfacht zum Synonym für traditionelle außereuropäische Musik, deren wachsende Popularität auch zu vermehrten Einflüssen auf die Filmmusik Hollywoods führte. Zahlreiche Komponisten peppen seither ihre Kompositionen mit ethnischen Instrumenten auf  – und dabei scheint es oft irrelevant, ob der Film überhaupt einen Bezug zu einem fremden Land hat (als nur ein Beispiel sei hier James Horners Einsatz der Shakuhachi, einer japanischen Bambusflöte, in Legends of the Fall genannt.)

Viele Komponisten haben sich im Laufe der Jahre immer gewandter der Ausdrucksmöglichkeiten afrikanischer Musik bedient: Sowohl Hans Zimmers romantisierende Holzblasinstrumente und westliche Streichersymphonik in The Lion King (1994) als auch seine ruppige Percussion und die afrikanische Songgestaltung in Verbindung mit US-amerikanischen Techno-Mustern in Black Hawk Down sind perfekter Ausdruck der produktiven Koexistenz zweier musikalischer Richtungen.

Gelungene Symbiose

Der momentane Boom politisch motivierter Filme mit Bezug zu Afrika (Hotel Rwanda, The Constant Gardener, The Last King of Scotland, Goodbye Bafana) zeigt auch musikalisch seine Wirkung. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass das Publikum den Stoffen und der Musik jener Filme immer aufgeschlossener gegenübersteht: Der Soundtrack zu Blood Diamond von James Newton Howard verkaufte sich beispielsweise exzellent. Dieser den typischen Genremustern folgende Thriller und Actionfilm mit seiner jedoch erstaunlich mutigen politischen Aussage kam überraschend gut beim breiteren Publikum an. Der Erfolg der Musik liegt in der exzellenten Verknüpfung des wunderschönen Hauptthemas mit afrikanischen Instrumentierung; selten wurde beides so emotional wirkunsvoll verbunden wie hier. Das Besondere an Howards wegweisender Komposition ist, dass sie sich eben nicht als trennendes Element versteht – hier der Westen und dort Afrika – sondern als ein verbindendes. Diese Musik ist eine Einheit – und der Soundtrack zu Blood Diamond somit der erste Soundtrack mit Afrikabezug, der nicht nur dem Ausdruck beider Kulturen gerecht wird, sondern sie auch zu einer friedlichen Koexistenz bringt.