Auf der CD „So Lucky“ transferiert Gitarrist Noël Akchoté Songs von Kylie Minogue in einen imaginären Jazzclub am Seine-Ufer. Musik für die blue hour, Kylie in rauchig-verwaschenen Schwarz-Weiß-Bildern.
Vielleicht muss man ja wirklich aus Paris kommen. Der Gitarrist Noël Akchoté, 1968 dort geboren, ist jedenfalls einer derjenigen, für den Film und Musik untrennbar zusammengehören. Eine Stadt, in der seit den späten 40er Jahren Kino mit Jazz und Filmtheorie mit Blue Notes eine einander befruchtende liaison dangereuse eingegangen sind. „Ich bin in Paris geboren und fühle mich der dortigen Kultur sehr verbunden. Auch weil ich das Glück hatte, sehr früh interessante Leute aus der Musik- und Filmbranche kennen zu lernen. Ich empfinde Paris als einen Schmelztiegel einer langen musikalischen und filmischen Tradition: einerseits aus der großen Geschichte des französischen Kinos, andererseits, weil man hier durch den Einfluss von Leuten aus dem Maghreb und Zentralafrika Jazz sehr ernst nahm. In Paris gab es so viele Programmkinos, dass Filmgeschichte permanent verfügbar war.“ In stilprägenden Journalen wie „Jazz Magazine“ und „Cahiers du Cinéma“ schrieben oft dieselben Leute, Jean-Louis Comolli war in den 70er Jahren Herausgeber von beiden.
Musik für die blue hour
Mit Noël Akchoté über Musik zu reden, heißt zwangsläufig, über Film zu sprechen. Und über Pop. Ihn faszinieren die scheinbaren Gegensätze. Für Akchoté, der seit ein paar Jahren in Wien lebt, sind Free-Jazz-Eskapaden genauso gegenwärtig wie pointierte Artikel über Robby Williams im Wiener Musikmagazin skug. Über seinen Lieblingsregisseur Maurice Pialat kann man mit ihm ähnlich uferlos parlieren wie über Paris Hilton. „So unterschiedlich die Ansätze auch sind, Godard und Spielberg sind für mich zwei Seiten derselben Medaille. Tarantino wäre ein guter Experimentalfilmer. Ich finde den Beginn aus Kill Bill 1 wesentlich experimenteller, als es Pipilotti Rist je sein könnte, und die frühen Stroheim-Filme sollten in Avantgarde-Schienen laufen.“
Mit acht begann er mit der Gitarre, bereits als 14-Jähriger spielte er mit diversen Jazzgrößen während der so genannten „blue hours“. Eine harte Zeit: bis zu acht Stunden üben pro Tag und am Abend mindestens drei Stunden Jazz- und Swingstandards. Dafür tourte er durch Frankreich und die halbe Welt, traf Ornette Coleman und Chet Baker. Diese Standards, Akchoté nennt sie „funktionale Musik“, kamen aus der recht klar abgezirkelten Tradition US-amerikanischer Jazzmusik seit den 20er Jahren, wie sie in den Bars, Restaurants und Tanzhallen der großen Hotels oder in oft mehr als halbseidenen Nachtclubs gespielt wurde. „Standards und vor allem live zu spielen, war für mich die beste Schule. Denn innerhalb dieses relativ fix vorgegebenen Rahmens konnte man sehr experimentelle Dinge anstellen. Man war im permanenten Austausch mit anderen und ich erfuhr Jazz praktisch von der Pike auf. Bis in die späten 80er hatte ich keine Ahnung vom Free Jazz. Ich hatte mir gedacht, das sind Leute, die nicht spielen können (lacht). Wenn ich eine Platte aufnehme, gehe ich ins Studio. Das kostet viel Geld, daher muss man sehr konzentriert arbeiten. Derartige Reglementierungen finde ich notwendig für den kreativen Prozess. Weshalb mir eine 35mm-Produktion wesentlich lieber ist als ein TV-Produkt.“
Akchoté scheint ein kommunikationsfreudiger, polarisierender und neugieriger Mensch zu sein, für den Genres und Stile irrelevant sind. Anekdoten über Pierre Richard machen genauso die Runde wie über den französischen Sex-und-Beuschl-Performer Jean Louis Costes und den Industrialmusiker Jim „Foetus“ Thirlwell.
Obwohl kein Schauspieler, wirkte Akchoté in mehreren Filmen mit. Während er in Nom de code: Sacha (2001) des ehemaligen „Cahiers“-Chefredakteurs Thierry Jousse den Patron einer Peepshow mimte, blieb er in Jousses Les Invisibles (2005) wie auch in Alley (2002) von John B. Root praktisch komplett im Rahmen der Musikproduktion – er spielte sich selbst. „Seit 25 Jahren will ich selber einen Film machen. Aber es sieht wohl so aus, dass meine Leidenschaft nach wie vor hauptsächlich der Musik gilt. Wenn man etwas mit wirklicher Hingabe macht, werden andere auch auf dich aufmerksam und es eröffnen sich Möglichkeiten. Wenn man mit offenen Augen und Ohren durchs Leben geht, kommen die Dinge praktisch von selbst zu einem.“
Briefe zum Hören
Auf der eben auf dem Münchner Label Winter & Winter erschienenen, formschön aufgemachten CD „So Lucky“ betreibt Noël Akchoté eine Art Musik-Grundlagenforschung, die seiner Vorliebe für alten Jazz und Swing geschuldet ist. Das hierzulande gern bemühte Klischee um Akchoté als Gitarrenberserker kommt indes nicht von ungefähr: So hatte er 2004 mit „Sonny II“ ebenfalls für W&W ein vom Ansatz her mit „So Lucky“ vergleichbares Album aufgenommen, auf dem er sich mit dem Freejazzer Sonny Sharrock auseinander setzte. Und schließlich verband ihn eine lange Freundschaft mit Derek Bailey, einem der renommiertesten Improvisationsmusiker. Für „So Lucky“ hat Akchoté sämtliche „Missklänge“ außen vor gelassen und konfrontiert uns mit einer höchst emotionalen Musik, bei der einander Melancholie und Purismus nicht ausschließen. Mitunter erahnt man nur das Stück, fühlt sich unbestimmt an eine bekannte Melodie erinnert. Akustische Texturen schälen sich bedächtig heraus, geben sich zögerlich preis. „‚So Lucky‘ ist eine Art privater Brief an Kylie Minogue. Es ist die Geschichte eines Mannes, der an eine Frau denkt. Eine Frau als ein Star, ein Icon. Wie Greta Garbo. Er fängt an, ihre Musik zu spielen, um mit dem, was sie für ihn repräsentiert, in Kontakt zu kommen. Das Reale hat damit nichts zu tun. Viele Leute haben mich gefragt, ob ich Kylie treffen würde. Für mich ist das nicht relevant. Ich weiß, dass sie eine CD bekommen hat. Aber das war’s dann schon auch. Die Musik auf ‚So Lucky‘ dreht sich darum, an die Wurzeln zurückzugehen. An den Songs als solches wurde nichts verändert, aber sie wurden so reduziert, dass praktisch nur noch die Essenz übrig bleibt. Manchmal spiele ich mit einer akustischen Gitarre, ein anderes Mal bleiben nur noch die Bass-Keys über. Ich wollte die Kylie-Nummern weder interpretieren noch umarrangieren und ihnen dadurch sozusagen meinen Stempel aufdrücken, sondern viel mehr ging es mir darum, jenes Gefühl einzufangen, das ihre Stücke für mich zeitlos macht.“
Wobei diese Zeitlosigkeit allerdings von Reminiszenzen an die klassische Periode von Jazz und Bebop getragen wird. Gleich am Anfang ist kurz verhaltenes Rauschen zu hören, als ob ein Zeitfenster aufginge in eine Art Zwischenzustand zwischen Realität und Fiktion. „Ein Feeling à la Moulin Rouge war beabsichtigt, Kylies Lieder sollen aus einer undefinierbaren Zeit, aus einem Irgendwo herüberklingen. Eine Leidenschaft, in Musik gefasst. So einfach – oder auch so schwierig – das ist.“
Out of my head
„So Lucky“ ist ein teils verträumtes, teils euphorisches Stück Musik, für das Akchoté, wie es in den CD-Linernotes beinahe süffisant heißt, wieder lernen musste, Gitarre zu spielen. „Ich hatte nicht gewusst, dass ich es nicht mehr gekonnt hatte.“ Spielen, um sich ab und zu an der imaginären Schulter der Ikone anzulehnen. In den 20 Liedern rückt Akchoté praktisch dem gesamten Repertoire der Kylie Minogue zuleibe: Aus den lasziven Disco-Nummern „Come into my world“ und „Can’t get you out of my head“ wird eine fast melancholisch anmutende Abfolge von Akkorden, „I should be so lucky“ des damals berühmt-berüchtigten Produzententrios Stock/Aitken/Waterman lässt sich so erst ertragen. Akchotés
Wissen um Jazzgeschichte und Spielwitz stellt sich vorzüglich bei „The Loco-Motion“ heraus, ebenfalls eine S/A/W-Coverversion der 1962 erstmals aufgenommenen Nummer. Und schließlich sind bei „Tears on my pillow“ nur mehr ein paar verstreute Töne zu hören, die sich erst allmählich zu einer Ahnung über diese zartschmelzende Teenagerhymne der späten 50er Jahre verdichten. Verwunderlich indes, dass „Where the wild roses grow“, Minogues bittersüßes Duett mit Nick Cave, nicht dabei ist.
„Es gibt auf ‚So Lucky‘ so gut wie keine Improvisation, ich habe versucht, herauszufinden, was für mich die Grundelemente ihrer Musik sind. Und das sind, wie bei jedem guten Popsong, Melodie und Rhythmus. Melodien, die an dir haften wie eine Tätowierung und spezielle emotionale Erinnerungsmomente beschwören. Rhythmus organisiert Zeit und wie man damit umgeht. An Dovzhenkos Zemlya könnte ich Rhythmus bis zum Abwinken studieren. Das ist eine der schönen Funktionen der Kunst: Sie ist sehr simpel und spricht zu jedem. Serge Daney hat vollkommen Recht, wenn er meint, dass er alles, was er lernte, aus Filmen lernte. Man kann aus Film und Musik praktisch alles über die Welt erfahren. Das ist die Kraft der Imagination. Das hat mit Codes und Referenzen zu tun. Man kann einen Melville-Film einfach nur so sehen oder sich an den Verweisen erfreuen.“
Akchoté schwenkt noch einmal von der Musik zum Film zur Musik. Und landet wieder beim Pop. „Popstars sind Entertainer, die uns für ein paar Stunden glücklich machen. Dafür bekommen Robbie Williams, Julio Iglesias oder eben Kylie Minogue meinen aufrichtigen Respekt. Mir wäre wohler in einer Welt, in der es weniger Künstler und mehr Entertainer gibt.“
Noël Akchoté: So Lucky. Winter & Winter/ Edel.