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A Black Jesus

Filmkritik

A Black Jesus

| Alexandra Seitz |
Nachrichten aus einem kleinen Ort, in dem sich die Weltlage spiegelt

Das soll mir mal einer erklären.“ Was genau? Nämlich, dass sie die schwarzen Menschen aus Fleisch und Blut nicht mögen, aber ein schwarzes Stück Holz anbeten. Das schwarze Stück Holz ist das hochverehrte Kruzifix von Siculiana beziehungsweise die Christusfigur, die daran hängt und die in ferner Vergangenheit offenbar dunkelbraun angemalt oder lasiert worden ist. An den Knien und Schienbeinen ist sie allerdings schon ziemlich ab, die Farbe, denn dort wird der Herr Jesus oft geküsst. Einmal im Jahr, am 3. Mai, wird die obendrein noch wundertätige Figur auf ein prunkvolles Gerüst gehoben und von kräftigen, jungen Männern unter tüchtig „pomp and circumstance“ durch die kleine Stadt in der sizilianischen Provinz Agrigent getragen; man zeigt dem Gottessohn sozusagen seinen Zuständigkeitsbereich.
In den fällt seit einiger Zeit auch das Flüchtlingslager, das in dem Pleite gegangenen Hotel Villa Sikania untergebracht ist. Dort wohnt Edward, jener schwarze Mann aus Ghana, der sich einleitend wundert. Um sodann mit bewundernswertem Gottvertrauen zu beschließen, beim nächsten Mal mit Tragen zu helfen – oder jedenfalls das zumindest mal anzubieten.
Luca Lucchesi – dessen Vater aus Siculiana stammt – sammelt in A Black Jesus Stimmen und Szenen zur komplizierten Lage an einem Ort, an dem die Strategie der Reichen aufzugehen scheint, die Armen und die noch Ärmeren gegeneinander auszuspielen.
Da sind zwar jene, die auf die tausendjährige Immigrations- und Kolonialgeschichte Siziliens verweisen, aber auch jene, die beklagen, dass die ohnehin nur noch wenigen Alten im Ort von den Fremden weggeschwemmt werden. Einmal schimpft einer, dass es keinen Integrationsplan gäbe, nur immer mehr Migranten, die dann orientierungslos herumlaufen; solcherart im Stich gelassen würden sie zum Kanonenfutter für die Mafia, ergänzt später ein anderer.
Mit der Zeit und dank Lucchesis geschickter Montage schält sich aus den unkommentiert bleibenden Beobachtungen ein weiteres Grundmotiv: die schmerzliche Differenz zwischen einem Christentum, das sich in bloßen Ritualen quasi zur Ruhe gesetzt hat, und einem Glauben, der die Praxis sucht. Denn der schwarze Jesus in der Kirche von Siculiana fordert tätige Nächstenliebe. Aber was passiert, als sich aus einigen Eigeninitiativen tatsächlich erste Schritte in Richtung Annäherung von Schwarz und Weiß ergeben? – „Wir sind in den Händen von Idioten“, sagt der Italienischlehrer. Er hat längst schon resigniert und gibt trotzdem jeden Tag sein Bestes.