„Una grande dolce vita“
Immer wieder ist es kaum zu glauben, wie selten Daniel Chanochs Sprechen zittrig wird, während er die Gräuel schildert, die über sein Dasein hereingebrochen sind. Immer wieder ist er es selbst, der diesen Umstand reflektiert, die scheinbare Nüchternheit seiner Erzählungen zu erklären versucht.
Als Bub arbeitete Daniel Chanoch an der „Rampe“ in Auschwitz-Birkenau, transportierte Leichen und Kleidung. Heute bezeichnet er dies als einen in Relation noch recht guten Job – einer von vielen Momenten in a A Boy’s Life, in denen man ein paar Sekunden benötigt, um die Tragweite der Aussage zumindest irgendwie nachzuvollziehen; sähe man dabei nicht das Gesicht dieses Mannes vor sich, respektvoll und doch intim in Schwarzweiß gezeigt, man könnte noch weniger begreifen. Ein Mensch im Spätherbst seines Lebens spricht über eine vergangene, nie verschwundene Existenz als Nummer.
Christian Krönes und Florian Weigensamer veröffentlichen nach A German Life und A Jewish Life nun Teil drei einer hoch wirksamen Konzeptfilm-Erinnerungsreihe, diesmal mit einem Zeitzeugen vor der Kamera, den der Holocaust im Kindesalter traf. Für Daniel Chanoch begann die Katastrophe im Ghetto Kaunas, wo man zwar, wie er bemerkt, wenigstens vor der Gewalt der litauischen Bevölkerung geschützt war. Damals lernte er seine ersten Überlebenslektionen, die er später, nach der Trennung von seiner Familie – Chanoch beschreibt u. a. an dieser Stelle eindringlich, wie alles verändernde Entscheidungen in Sekundenschnelle getroffen werden mussten – in Konzentrationslagern anwandte. Neben der Thematik geraubter Kindheit stehen in diesem Film zwei weitere Aspekte als besondere Merkmale heraus: Erstens die ungefilterten Zeugnisse über den Kriegsverbrecher Josef Mengele, dessen Grausamkeit Daniel Chanoch vielfach wahrnahm. Er nennt den Mediziner Mengele den „Gott von Auschwitz“. Zum anderen verdeutlichen die hier berichteten Erlebnisse die in Österreich immer noch unterbewertete Realität des KZ Mauthausen und seiner zahlreichen Nebenlager sowie des schändlichen zivilen Zutuns. Daniel Chanoch beurteilt Mauthausen und das Nebenlager Guns-kirchen als das Schlimmste, schlimmer als Auschwitz. Seit langem setzte er sich für einen Gedenkort in Gunskirchen ein, seit 2022 ist ein solcher in Entstehung.
A Boy’s Life mutet seinem Publikum viel zu, noch mehr als sein Vorgängerfilm, und ist – glasklar aufbereitet und durch Propagandafilm-Ausschnitte und informative Texteinblendungen komplettiert – zugleich exzellentes Porträt und schon jetzt essenzielles Stück österreichischer NS-Aufarbeitung. Bei aller Düsternis umso berührender die Lichteinfälle: Das Sehnsuchtsbild der Orangenbäume im Kibbuz, die Flucht ermöglichende Jüdische Brigade, ein unerwartetes Geschenk in Italien – und sogar ein Wiedersehen.