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Abfallprodukt der Liebe

Die Poetin, der Politische und der Ästhet

| Jörg Becker |

Abfallprodukt der Liebe – Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim, Werner Schroeter: eine Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin.

„Abfallprodukte der Liebe“: Die Akademie der Künste würdigt am Pariser Platz eine jahrzehntelange Künstlerfreundschaft von Werner Schroeter, Elfi Mikesch und Rosa von Praunheim, drei Filmschaffende, die eine offen gelebte Homosexualität vereint. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf Werner Schroeters Poussières d’amour (1996), einem Film, der der Entstehung und der Vergänglichkeit der Kunst gewidmet ist, einem leidenschaftlichen Bekenntnis zur großen Oper.

Im Entrée leuchten einem rote Blütenblätter aus einem überdimensionalen Kasten entgegen, und ihre Künstlichkeit passt zu der hier gefeierten Künstlerverbindung besser als jede Echtheit. Im Max-Liebermann-Saal der Akademie der Künste geht es zunächst um die besondere Beziehung, welche die drei Filmkünstler untereinander pflegten. Bezüge der Zusammenarbeit werden deutlich sowie Motive, die in der Werkgeschichte hervortreten sollten. Über 40 Filme hat Elfi Mikesch als Kamerafrau gemacht, 20 in Eigenregie. Bei Rosa von Praunheim sind es bis heute 150, und es werden laufend mehr. Werner Schroeter war Regisseur von 30 Filmen.

 

Bundesverdienstkreuz auf Unterhose

Gegenüber, in Vitrinen, sprechen Briefe, Tagebuchnotizen, Fotos und Drehbuchseiten von einer leidenschaftlichen, produktiven Wechselbeziehung. Die mittlere Vitrine ist Praunheim gewidmet: ungehemmt ich-bezogen, mit einer Auswahl seiner Medikamente, diversen Bizarrerien, die man in keiner Ausstellung erwartet, Dinge, die den Personality-Kult ironisch anspielen, dabei auch ein Teil seiner Bücher, auch seiner Filme als DVD, originalverpackt wie in der Auslage eines Kaufhauses.

Das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“, 2015 verliehen an den Filmregisseur Rosa von Praunheim für sein „Engagement für die Sache der Lesben und Schwulen“, findet sich in der Vitrine präsentiert auf einer „Modernen Unterhose“ des Künstlers, Bei der Verleihung wurde ausdrücklich seine Dokumentation Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1970) als ein „Markstein im Kampf um die Anerkennung von Lesben und Schwulen in Deutschland“ hervorgehoben, ein Film, aus dem sich Sätze einprägen wie der, Schwule seien „politisch passiv und konservativ, als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden“. Es ist eine frühe selbstbewusste öffentliche Kampfansagen an die herrschende Homophobie.

Zwischen Himmel und Hölle

Der erste Schroeter-Raum, kuratiert von Elfi Mikesch, die in zahlreichen seiner Filme die Kamera führte, steht im Zeichen des Gesichts von Schroeters Muse, Magdalena Montezuma (1942–1984), deren Exzentrik und große Gebärde sein Werk zu überstrahlen scheinen. Natürlich wird die von Schroeter bewunderte Maria Callas herausgehoben, eine Klanginstallation des Komponisten Eberhard Kloke hat von Schroeter geliebte und teils verwendete Musik in Klangcollagen verarbeitet, und die Stimme des Regisseurs ist in Auszügen aus dem 70-stündigen Interview, das Claudia Lenssen (Herausgeberin der nach Schroeters Tod erschienenen Autobiografie „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“, Berlin 2011) mit ihm kurz vor seinem Tod führen konnte, anwesend. Im Gespräch mit Praunheim oder Isabelle Huppert spricht er über Maria Callas, sein „Erweckungserlebnis“ mit der Callas als Zwölfjähriger, über Liebeshöhepunkte – und kraft seiner Stimme erscheint der Verstorbene wieder gegenwärtig und sehr nah. Da geht es um die individuelle Emotionalität des Künstlers, die sich im Stil abbilde – le style c’est l’homme même – Liebeswahn und Orgasmusfähigkeit, und eine Gegensätzlichkeit zwischen Himmel und Hölle, Elegantem und Roh-Aggressivem, die Praunheim zwischen sich und Schroeter ausmacht, um die jeweils „fehlenden Tasten auf der seelischen Klaviatur“. Höchste Schönheit empfand Schroeter in der Umarmung des Anderen; diese Erfahrung sei für ihn mit dessen „Nicht-Habbaren, Nicht-Erreichbaren“ verknüpft.

Angefangen hat die bis zum Krebstod von Schroeter im Jahr 2010 andauernde private und berufliche Verbindung zwischen ihm, Praunheim und Mikesch schon in den Sechzigern, ihre gemeinsamen Wurzeln lagen in der Westberliner Subkultur. Und dass sowohl die zwischenmenschliche als auch die künstlerische Experimentierfreudigkeit damals deutlich radikaler als heute war, ist den Biografien der drei ebenso anzusehen wie ihren avantgardistischen Super-8- und 16mm-Filmen, darunter Home Movies, in denen jede Triebhemmung der Beteiligten zur Selbstausstellung abgelegt erscheint.

 

Camp vs. Musealisierung

In dem Praunheim-„Klassiker“ Die Bettwurst (1971), der wie Trash-Kult aus einem anderen Zeitalter anmutet, spielt ein Laienpaar bürgerliche Rituale durch – man begegnet einem schrillen, als groteske Parodie improvisierten Gesellschaftsbild, das zeigt, wie stark die Herausforderungen an das Publikum vor fünfzig Jahren einmal gewesen sind und zu welch innovativen medialen ‚Injektionen‘ westdeutsche Kulturredaktionen einmal in der Lage gewesen sind.

„Die Poetin, der Politische und der Ästhet“ – so hat Rosa von Praunheim die Künstlerrolle von Elfi Mikesch, von sich und Werner Schroeter charakterisiert. „Werner waren Aggressionen fremd, all meine Kritik glitt an ihm ab. Oft verstand ich sein Pathos nicht und seine Sehnsucht nach großen Gefühlen, aber ich bewunderte seine großartigen Bilder. Ich war politischer als er und sehr engagiert in der Schwulenbewegung. Meine Bilder waren schnell und dreckig, und Cineasten verachteten mich dafür. Elfi und Werner hatten gemeinsam das ästhetische Genie. Mir waren Inhalte wichtiger und weniger die Form.“ (Rosa von Praunheim: „Warum wir uns lieben“, 2018)

 

Distanz zur Realwelt

Permanent ineinander übergehende Porträts aus Filmstills erfüllen die Werner Schroeter gewidmeten Räume, in denen sich eine Distanz zur Realwelt vermittelt, die für Schroeter das Wesen des Künstlerischen ausmachte. – „Das Gesicht seiner Lieblingsschauspielerin Magdalena Montezuma und viele andere Gesichter in seinen Filmen, Fotografien und Inszenierungen erzählen mir von Verborgenem, das ich auch in mir selbst wahrnehmen kann – nie eins zu eins, nie naturalistisch, sondern existentiell. Diese Phantasie, diese Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie machen Werner Schroeter aus.“ (Elfi Mikesch, 2011)

„Wenn man Filme, Theaterstücke und Opern inszeniert, lässt man sich vom hic et nunc der Schauspielerpräsenz gefangen nehmen, man trotzt der Flüchtigkeit des Augenblicks eine Form ab. Dieses Ephemere zog mich mein Leben lang magisch an, gerade weil es die permanente Reibung mit der Endlichkeit und Vergänglichkeit des Menschen darstellt. (…) Jean Cocteau sagte einmal, das Filmemachen bedeute, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen. Ich hielt dagegen, dass man ihn im Film und auf der Bühne proben, inszenieren, wiederholen kann. Die Kunst vermag die Zeit anzuhalten und melancholisch mit der Widerkehr des Lebens zu spielen.“ (Werner Schroeter: „Tage im Dämmer, Nächte im Rausch“, 2011)

 

Camera obscura

Mit ihrem zwischen zwei kleinen Schroeter- und einem großen Praunheim-Raum gelegenen Ausstellungsteil nimmt Elfi Mikesch eine Mittlerinnenrolle ein. Den Raum bestimmt eine strenge Schwarzweiß-Ästhetik, die ihr Schaffen von früh auf begleitet hat. An Stellen findet man auch als kleinformatige Original-Polaroids, auf der Suche nach Schauplätzen und Motiven entstandene „Keimformen“ von Filmen, quasi „Mood-sensorische“ Fundstücke, etwa für Werner Schroeters Rosenkönig (1984) oder Elfi Mikeschs Marocain (1989).

In einem Leuchtkasten sind Glasnegative angeordnet, die aus dem Fotostudio ihrer Lehrzeit stammen (heute: Museum Judenburg). In Riesenformaten hängen Mikeschs Schwarzweißfotografien an den Wänden: Porträts, Architekturen, ungerahmte Prints von fast abstrakten Fleischereiszenen, Bilder von tätowierter Haut neben denen von Tierfüßen, und Stills aus ihrem letzten Film Fieber (2014).

„Mein liebster Sehnsuchtsort war Afrika. Immer vertiefte ich mich in die Fotografien, die mein Vater in den 1920er Jahren aufgenommen hat. Die Eltern erzählen uns Geschichten, aber was verschweigen sie? Die Alben meines Vaters gaben mir abenteuerliche Vorstellungen von Afrika ein, aber auch sie schwiegen. Mein Spielfilm Fieber (2014) erzählt von der Fotografin Franziska (Eva Mattes), die sich auf der Suche nach dem Vater (Martin Wuttke) in diesen imaginären Raum begibt. Im vergessenen Rif-Krieg der 1920er Jahre unterdrückten die Spanier den Aufstand von Abdel Krim mit allen Mitteln, auch durch Giftgasbomben, die sie bei deutschen Firmen kauften und erstmals aus Flugzeugen abwarfen. […] ‚Schweigen ist Macht‘ lautet die Devise des Vaters in Fieber. Das Kind stöbert in seinen Sachen und entdeckt Spuren seines Krieges. Wie verarbeitet es die Konfrontation? Was imaginiert es, wenn es keine Antwort auf seine Fragen findet? Das ist wie ein böses abgründiges Märchen.“ (Elfi Mikesch: „Die Lust mich auszudrücken“. In: Claudia Lenssen, Bettina Schoeller-Bouju [Hg.]: „Wie haben Sie das gemacht? – Aufzeichnungen zu Frauen und Filmen“, Marburg 2014)

In zwei mit Film- und Klangsequenzen ausgestatteten Boxen reflektiert Elfi Mikesch ihr Lebensmotiv: die Camera obscura, genauer, die Erfahrung der Welt als dunkler Raum mit einem Loch in der Wand, durch das die äußere Welt einfällt. In einem dieser betretbaren Würfel laufen auf drei Seiten Filmscreens mit Sequenzen aus L.A. Tango (Mikesch, 2018), Szenen von der Reise einer jungen Frau durch die Vereinigten Staaten. In einer zweiten Box wird als Loop Elfi Mikeschs Execution – A Study of Mary (1979/2018) gezeigt – zu entdecken ist eine mediale Inszenierung aus Fotografien expressiver Gesichter und Körper, vereinzelt von Laufbildeinschüben, Natureindrücken wie anbrandenden Meereswellen, unterbrochen, und unterlegt mit gesprochenen Passagen zur „Geschichte der Königin Maria Stuart“ (lt. bibliografischer Angabe 1851 von Friedrich Bühlau publiziert). Ein rechtwinklig angeordnetes Screening aus Momentfotografien, durchweg gekennzeichnet von harten Kontrasten und scharfen Überbelichtungswirkungen auf grobkörnig entwickeltem Material, veranschaulicht bis zur Ekstatik hochgepushten dramatischen Ausdruck einer queeren Ästhetik der Entstehungszeit des Films, mittels deren jene Maria-Stuart-Geschichte ausschnitthaft fotografisch in Szene gesetzt erscheint. Auf der Off-Ebene liest eine Stimme Passagen aus einer historischen Erzählung, in der Art eines kommentierenden Untertitels oder bildergänzenden Zwischentitels zu den Aufnahmen, und scheint damit diese Fotografien eines wilden disparaten Ausdrucks aus ihrer Entstehungszeit (1979) illustrativ im Sinne jener historischen Erzählpassagen zu interpretieren. Über die aus dem Off gesprochenen Sätze zu den Bildern wird diesen eine inszenatorische Absichtlichkeit der Bilder nahegelegt, die aber Vorstellung bleibt, und auf diese Weise eine traumhafte Korrespondenz zwischen Foto und Text bewirkt.

 

Das Leben ist zu kurz, um nicht zu ficken / und danach einen Topflappen zu stricken

Dominiert in den Schroeter-Räumen mit Klanginstallationen von Eberhard Kloke und Fotos von Schroeters Musen Maria Callas und Magdalena Montezuma der Geist der großen Oper, der tiefe Ernst von Liebe und Tod, die Essenz des Tragischen, überfällt einen im letzten Raum eine hemmungslose Schwulen-Camp-Inszenierung, die jegliche Gravitas einer Musealisierung lustvoll brachial durchkreuzt.

Nach dem Eintritt in diesen Ausstellungsraum, dem von Rosa von Praunheim sich selbst gewidmeten hellen, lichtgefüllten Spielzimmer, noch steht man unter dem verwirrenden Einfluss eines massiven atmosphärischen Bruchs angesichts der chaotischen Lebenswerkstatt, kann es geschehen, dass den Besucher ein in clowneske Phantasiekostümierung gekleideter freundlicher junger Mann, eine Art spielerischer Hüter des Raumes, anspricht, um sich dezent zu erkundigen, ob für einen in diesem Ambiente irgendetwas den Eindruck von Anstößigkeit erwecken würde – nein, solcher Eindruck, beeilt sich der aufgeklärte Besucher zu erklären, solcher Eindruck würde bei ihm nicht aufkommen. Die Puppenerektion eingangs hatte er schon registriert, ebenso das ‚Vorsicht: Penis‘-Warnschild in roten Lettern zur Kenntnis genommen, aber dann wird ihm doch deutlich, dass sich in diesem Raum tatsächlich alles um das Eine bzw. den Einen dreht, gefilmt, gemalt, geformt und auf Stoff geklebt, um den vorwiegend demonstrativ sichtbaren Phallus.

Man findet sich inmitten kleiner begehbarer Hütten wie in einem einzigen großen Spielzimmer: Ein roter Plüschpapagei hockt auf pinkem Thron, die schrille Buntheit des vulgären Sammelsuriums kann einen schwindlig machen – ein Matratzenlager lädt dazu ein, sich niederzulassen und die Gedichte des Künstlers anzuhören:

„Bete dich an / Setz dich auf den Thron / Schreib dir Liebesbriefe / Und heirate dich / Was kann es Schöneres geben / Und das Publikum wird es dir danken“ .

„Jeder hat ein Geheimnis / Und du besonders / Darum lieben dich / Die Vögel / Und werden dich in den / Himmel tragen / Wo Milch und Honig fließen“. (Rosa von Praunheim: „Wie wird man reich und berühmt? Wie dreht man Filme, schreibt man Gedichte, malt man Sterne und Schwänze?“, Berlin 2017)

 

„Geboren, um berühmt zu weden“

An der Wand hängen Spruchbänder mit Parolen der Schwulenbewegung, wie gesammelt aus den Jahrzehnten, in denen die Emanzipationsbewegung begann, um ihre Rechte zu kämpfen, sich endlich öffentlich Geltung verschaffte – dem ersten Anschein nach so spielerisch, ist hier auch eine Seite tiefen Gedenkens anwesend – zu denken an im Historischen Museum ausgestellte Regimentsfahnen, die weit eher das Blut symbolisieren, das unter ihnen vergossen wurde, als die Siege, die dadurch errungen wurden – oder ein Gefühl der Trauer beim Gedanken an Leiden und Opfer, über die der Weg zur Befreiung gleichgeschlechtlicher Beziehungen führte (100.000 Verfahren aufgrund §175 zwischen 1950 und 1969 haben in der BRD zu 50.000 Verurteilungen geführt – erinnert ein Transparent).

„Geboren, um berühmt zu werden“ hätte die Ausstellung ursprünglich heißen sollen, so Rosa von Praunheim, und damit den Narzissmus von Schroeter und Praunheim recht gut getroffen, was aber selbst für diese drei Ikonen des queeren Kinos im deutschen Autorenfilm wohl doch unangemessen überhöht-arrogant rübergekommen wäre.

Bisweilen verströmt diese Schau eine kuriose Reanimation des Bildes vom Künstler als Ausnahmemenschen, die dessen Werk in Prisen heranzieht – doch scheint einem Kult um dessen Person gerade dadurch der Boden entzogen.