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Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar. Foto: Lorenz Seidler

Diagonale

Ästhetische Innovation und politische Haltung

| Günter Pscheider |
Ein Gespräch mit dem neuen Diagonale-Leitungsduo Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar über das erste von ihnen verantwortete Festival des österreichischen Films in Graz.

 

Nachdem die bisherigen Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger ihren Vertrag nicht verlängerten, hat die Generalversammlung des Trägervereins ein neues Team für zumindest die nächsten vier Jahre bestellt. Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar waren beide in unterschiedlichen Zusammenhängen bereits eng mit der Diagonale verknüpft, er als Filmredakteur der Tageszeitung „Der Standard“, sie als Mitglied der Auswahlkommission für den innovativen Film. Neben seiner Expertise als Filmkritiker hat Dominik Kamalzadeh als Kurator u. a. für Crossing Europe, die Viennale oder die Duisburger Filmwoche gearbeitet. Claudia Slanar studierte Kunstgeschichte und am California Institute of the Arts Aesthetics and Politics, ab 2017 kuratierte sie das Programm des Blickle Kinos im Belvedere 21. An mangelnder Erfahrung wird dieses Team sicher nicht scheitern, die Frage bei einem etablierten Festival wie der Diagonale ist stets, wie man seine Tradition bewahrt und dem Ganzen trotzdem eine vielleicht unerwartete und innovative Richtung gibt. Das Konzept von Kamalzadeh und Slanar war offensichtlich vielversprechend, ihre Bewerbung wurde einstimmig akzeptiert – und vom 4. bis 9. April kann man sich in Graz von der entsprechenden Umsetzung überzeugen. Im Interview sprechen die neuen Intendanten über die Notwendigkeit, andere Meinungen gelten zu lassen, die Möglichkeit einer Internationalisierung und die Wichtigkeit von Diversity im Filmbereich.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich gemeinsam als Team beworben haben?
Dominik Kamalzadeh: Strukturell gesehen macht ein Zweierteam durchaus Sinn, weil die Intendanz ja die künstlerische und die kaufmännische Verantwortung hat und mit einem breiten Aufgabengebiet umgehen muss, das wir aber nicht so streng getrennt in Angriff nehmen. Dieses Modell hat bei der Diagonale eine lange Tradition, eine Ausnahme war Barbara Pichler, aber da gab es noch einen Geschäftsführer. Die Bewerbung gemeinsam mit Claudia einzureichen, war eine leichte Entscheidung, wir kennen uns schon seit unserer Studienzeit beim Lehrgang für Film und Geisteswissenschaften und hatten beide in unserer Arbeitsbiografie das Bedürfnis, etwas Neues in Angriff zu nehmen.

Claudia Slanar: Wir haben bereits bei der Entscheidungsfindung, uns zu bewerben, viel über unsere Ideen für die Diagonale diskutiert, sodass dann nach Beginn der Ausschreibung ein starker Wunsch unsererseits vorhanden war, diese Ideen auch umsetzen zu können. Das notwendige längere Konzept zur Einreichung zu schreiben, ist uns dann ziemlich leicht von der Hand gegangen. Seit unserer Bestellung arbeiten wir daran, unsere Ideen zumindest großteils auch zu realisieren.

Was sind die wichtigsten Eckpfeiler Ihres Konzepts für dieses Festival, das ja unter den letzten Intendanten Schernhuber/Höglinger hervorragend funktioniert hat?
Claudia Slanar: Wie Sie richtig sagen, haben unsere Vorgänger die Diagonale extrem erfolgreich und innovativ geleitet, nicht nur was ihre kuratorische Handschrift betrifft. Insofern haben wir ein Festival übernommen, das sehr breit und sehr gut aufgestellt und auch sehr stark im kulturellen Leben von Graz verankert ist, was uns in diesem Ausmaß nicht so bewusst war. Deswegen ist es durchaus eine Herausforderung, neue Perspektiven zu finden, ohne auf Altbewährtes zu verzichten. Der Kern des Festivals, der Wettbewerb, bleibt unverändert, wir sehen es auch als unsere Aufgabe, das österreichische Filmschaffen in seiner ganzen Breite zu präsentieren. Aber natürlich bleibt abseits dessen genügend Raum, unsere kuratorische Handschrift erkennen zu lassen. Ein wichtiges Anliegen ist uns, eine gewisse Internationalisierung voranzutreiben, die durchaus schon in Ansätzen vorhanden war. Was nicht heißen soll, dass wir jetzt eine große Menge an internationalen Filmen zeigen werden, aber in einzelnen Programmschienen schadet es sicher nicht, etwas über den Tellerrand, die nationale Grenze zu schauen. Nicht nur, aber auch in der neu betitelten Reihe „Filmgeschichte“, wo im Special „Die erste Schicht“ ein (film-)geschichtlicher Blick von Regisseurinnen und Regisseuren mit Migrationshintergrund vorwiegend aus Jugoslawien und der Türkei auf die ersten Jahrzehnte nach dem Gastarbeiterabkommen 1964 geworfen wird. Diese Perspektive, von außen auf die österreichische/deutsche Lebenswelt zu schauen, ist auch ein Versuch, ein nationales Filmerbe in ein transnationales umzuwandeln. Alle Filme, die wir zeigen, stehen mit einem Fuß im Herkunftsland und mit dem anderen im Gastland. Eine der Inspirationen, dieses Programm gemeinsam mit der Kuratorin Petra Popovic zusammenzustellen, war die Restaurierung des Films Kara Kafa / Schwarzkopf von Regisseur Korhan Yurtsever, der in der Türkei verboten war.

Dominik Kamalzadeh: Natürlich gab es auch schon unter Dollhofer/Wulff internationale Gäste und Ansätze, oft auch historische Entdeckungen oder Regisseure, die noch nicht so kanonisiert waren. Das versuchen wir mit unseren kuratorischen Vorstellungen noch einmal anders zu kalibrieren. Auch die Zusammenarbeit mit verdienstvollen Institutionen wie dem Filmmuseum oder Filmarchiv haben wir etwas anders angelegt. Wir haben heuer nicht alle Häuser gefragt, ob sie etwas zu einem bestimmten Thema für uns zusammenstellen könnten, sondern sind mehr vom Thema selbst ausgegangen und haben dann geschaut, wo wir entsprechendes Material auftreiben können, mit Hilfe von Konsulenten wie Jurij Meden vom Filmmuseum oder Can Sungu, einem in Berlin ansässigen Experten für migrantisches Filmschaffen. Dieses Ausgehen von einem Thema und selbst zusammenzusuchen, was es dazu gibt, ist natürlich etwas aufwändiger, für das erste Jahr fast zu aufwändig.

In einer zweiten Position, die erst bei der Programmpräsentation verraten wird, versuchen wir die Diagonale als österreichisches Filmfestival in einem europäischen Kontext zu verorten. Indem man Anschlussstellen sucht: Was könnte für dieses Filmland interessant sein, um einen Dialog zu ermöglichen, der dann vielleicht zu neuen Ansätzen führt? Im ersten Jahr wird das eine Personale sein, aber dieses Konzept lässt natürlich auch andere Herangehensweisen zu, das muss nicht autorenzentriert sein, das kann auch eine inhaltliche – oder eine Genreposition – sein, die uns interessiert. Dieser internationale Ansatz soll sich auch im Branchenteil widerspiegeln, auch dort wollen wir Diskussionen ermöglichen. Zum Beispiel zur Film-Incentive-Initiative, die Koproduktionen forcieren soll und die als Erfolgsgeschichte verkauft wird, was sie zuallererst auch ist, aber die auch vielleicht die eine oder andere negative Entwicklung mit sich bringt. Da wollen wir uns anschauen, welche internationalen Vergleichsbeispiele es gibt, wie man das vielleicht auch bisschen kritischer reflektieren kann.

Welchen Schwerpunkt wird es heuer beim Branchenmeeting geben?
Claudia Slanar: Es wird nicht nur einen Schwerpunkt geben, sondern viele verschiedene Ansätze. Einerseits wird es ein Update geben, was mit den unterschiedlichen Initiativen der letzten Jahre passiert ist, z. B. in Bezug auf die Nachwuchsförderung oder das Care-Thema vor allem im Bereich Mental Health, aber auch zwei Panels zu Fragen der Künstlichen Intelligenz im Urheberrechtsbereich, aber auch in kreativen Zusammenhängen.

Dominik Kamalzadeh: Natürlich spielt auch das Diversity-Thema eine große Rolle, das ist uns auch ein großes Anliegen, sowohl was die Auswahl der Filme betrifft als auch in der Art und Weise, wie wir überhaupt über Kino denken. Dazu wird vom ÖFI ein Diversity/Gender-Report bei der Diagonale vorgestellt, der sicher für einige Diskussionen sorgen wird.

Die Diagonale hat sich immer auch als politisches Festival positioniert, das soll wohl auch so bleiben, wie man schon zwischen den Zeilen durchhört.
Claudia Slanar: Das war von Anfang an klar, deswegen haben wir auch zusammengefunden, weil es uns beide um ein Kino geht, das ästhetische Innovation mit einer politischen Haltung verbindet.

Dominik Kamalzadeh: Man kommt als Festival auch nicht an der Politik vorbei. Wir durchleben eine intensive Zeit mit Kriegen an mehreren Schauplätzen, wo auch in westlichen Ländern eine Form von Polarisierung wirksam wird, wo Parteien aller Lager teilweise mit demagogischen Mitteln um die Wählergunst buhlen. Dazu muss man sich einfach als Kulturveranstaltung verhalten. Aber die Filme machen das sowieso selbst, auch ohne unser Zutun.

Es wird auch eine neue Diagonale-Location geben. Wie sind Sie auf den Heimatsaal im Volkskundemuseum gekommen?
Claudia Slanar: Wir haben lange gesucht. Wir wollen mit dem Forum genannten Ort an die Thalia anknüpfen, die uns immer als sehr gutes Festivalzentrum erschienen ist. Die Idee ist, einen Ort zu etablieren, wo man sich einerseits zu möglichst breit gefächerten Veranstaltungen wie Diskussionen, Lesungen, Performances trifft, wo man sich aber auch einfach informell bei einem Getränk an der Festivalbar Gatto austauschen kann.

Dominik Kamalzadeh: Es ist einfach ein Versuch, die Dinge zusammenzubringen und keine krampfhafte Erneuerung. Die bewährten nächtlichen Hangouts Eule Bar im Volksgarten und PPC bleiben auch weiterhin beliebte Orte des Tanzes und des Tratsches, wobei wir auch da versuchen wollen, ein Diversity-Konzept stärker zu berücksichtigen, z. B. mit Hilfe eines Awareness-Teams, das einfach bei Problemen vor Ort ist. Eine neue dezentrale Location wird das Schaumbad sein, ein Atelierhaus, wo Lisl Ponger eine Ausstellung gestalten wird.

Kann man sagen, dass der Lisl-Ponger-Schwerpunkt schon lange überfällig war?
Claudia Slanar: Ja, offensichtlich. Es hat ja bereits im Filmmuseum eine kürzere Werkschau im November gegeben, die zeitgleich geplant worden ist. Und es wird demnächst auch ein Buch über Lisl Pongers Werk erscheinen. Sie ist einfach eine in vielfacher Hinsicht sehr interessante Künstlerin, weil sie gleichermaßen mit Film und Fotografie gearbeitet hat, immer wieder Genregrenzen überschritten hat und sich vom strukturellen Experimentalfilm zum dokumentarischen Essay hinbewegt hat. Sie hat auch bereits in den frühen 2000er-Jahren Themen wie Postkolonialismus, Migration, Othering in ihrem Werk behandelt.

Dominik Kamalzadeh: Das ist auch das Interessante am Kuratieren eines Festivals, wenn man entdeckt, wie sehr diese unterschiedlichen Formate zu korrespondieren beginnen. Manchmal ist das beabsichtigt, manchmal passiert dann auch von selbst was. Wenn man zum Beispiel Phantom Fremdes Wien sieht und die Gastarbeiterfilme, dazu noch den Eröffnungsfilm Favoriten von Ruth Beckermann, eine ganz wunderbare Direct-Cinema-Langzeitbeobachtung einer Schule in Favoriten, dann wird einem klar, dass viele Fragestellungen und Probleme, die bereits in den frühen siebziger Jahren in Bezug auf Migration von den Filmemachern aufgezeigt wurden, von der Politik einerseits zu wenig berücksichtigt werden, andererseits dazu benutzt werden, um populistische Meinungsmache zu betreiben.

Nachdem Sie beide eher von der kuratorischen, journalistischen Seite kommen, wer ist da eher für das Kaufmännische zuständig?
Claudia Slanar: Das ist ein vielleicht weniger bekannter Teil meiner Biografie, dass ich an der WU zu studieren begonnen habe, aber prinzipiell teilen wir uns auch diese Aufgabe annähernd gleichwertig auf.

Dominik Kamalzadeh: Man kann es ja auch ganz offen sagen, dass so ein Berufswechsel auch mit einer Gelegenheit verbunden ist, sich Dinge neu anzueignen. Man geht da ja nicht rein und kann schon alles, man ist bereit, sich Herausforderungen zu stellen und dazuzulernen.

Claudia Slanar: Bei diesem Lernprozess kommt uns auch zugute, dass wir doch schon über einige Lebenserfahrung verfügen und Herausforderungen mit einer gewissen Ruhe und Zuversicht annehmen können.

Die kann man wahrscheinlich auch brauchen, wenn man als Verantwortliche etwa mit beleidigten Filmemacherinnen umgehen muss, deren Kurz- oder auch Langfilm nicht gezeigt wird, oder nicht zum besten Timeslot usw. … Wie werden Sie damit umgehen, dass man es nie allen recht machen kann?
Dominik Kamalzadeh: Für die kurz- und mittellangen Filme haben wir bewusst ein international besetztes Komitee ins Leben gerufen, bestehend aus Alex Gerbaulet, eine Berliner Produzentin und Filmemacherin, Matthias Lerf, ein Schweizer Filmkritiker, und Djamila Grandits, eine heimische Kuratorin. Wir haben die Gattungen nicht aufgeteilt, sondern es ihnen überlassen, wie sie sich durch dieses Programm durchwühlen. Die Dinge, die in der engeren Auswahl waren, haben wir dann in Wien zu fünft durchdiskutiert und das war ein sehr spannender Prozess und insofern auch wichtig, dass man den eigenen Blick auf die Filme noch mal überprüfen kann durch die Expertise anderer. Das ist auch das Schöne an solchen Gruppendiskussionen, die wir beide auch von früheren Tätigkeiten gewohnt sind, dass man lernt, sich selbst nicht immer als das oberste Maß der Dinge zu sehen, sondern auch ein Stück weit zur Seite zu treten und die vielleicht abweichende Meinung anderer zu respektieren. Die Langfilme haben wir beide ausgewählt, da gibt es natürlich auch eine geringere Zahl, da sind wir nach unseren Expertisen vorgegangen; wobei man bei strittigen Filmen durchaus auch bei einem Komitee nachfragen kann, was aber dieses Mal nicht notwendig war. Wir haben das Glück, dieses Jahr ein äußerst reichhaltiges und vielfältiges Angebot präsentieren zu dürfen.

Warum fängt die Diagonale dieses Jahr erstmals an einem Donnerstag an und endet am Dienstag? War das ein Wunsch der Kinos, um leichter wieder in ihr reguläres Programm einsteigen zu können?
Claudia Slanar: Das hat sich aus einer logistischen Notwendigkeit heraus ergeben. Die Helmut-List-Halle war am Dienstag wegen einer Special-Olympics-Veranstaltung nicht frei und eine Verschiebung um eine Woche hätte dann wieder mit anderen Festivals kollidiert.

DK: Die Idee, mit dem Donnerstag zu beginnen, ist zwar aus einer Notlage heraus entstanden, aber wir haben das Ganze dann gleich zu einem Konzept ausgebaut, weil man das Festival dadurch auch dramaturgisch anders denken konnte und mittlerweile gibt es sehr positives Feedback von vielen Leuten, weil sie das Gefühl haben, dass der Beginn am Donnerstag das Festival noch etwas konzentriert.