Peter von Baghs Buch über Aki Kaurismäki hat neben aufschlussreich-humorvollen Interviews mit dem Regisseur eine Vielzahl seltener Fotos zu bieten.
Dass Trauer und Freude oft nah beieinander liegen, mag ein Gemeinplatz sein, doch wenn ein Filmemacher wie Aki Kaurismäki am Werk ist, werden Gemeinplätze zur Kunst. Seinen Figuren weht stets ein rauer Wind entgegen, sie wappnen sich gegen die Unbill des Lebens mit Alkohol, Zigaretten und Schweigsamkeit. Und wenn sie schon glauben, dass es nicht mehr weitergeht – wie der frustrierte Angestellte Henri Boulanger (Jean-Pierre Léaud), der in I Hired a Contract Killer einen Mörder auf sich selbst ansetzt – dann tun sich unverhofft Glücksmomente auf, tritt die Liebe ins Leben. Trauer und Freude, sie liegen auch im Fall des eben auf deutsch erschienenen Buches über den Finnen mit der unverwechselbaren, lakonisch-prägnanten Bildsprache nah beieinander.
Freude, weil „Kaurismäki über Kaurismäki“ ein exzellentes Buch ist, in dem der Schöpfer von Werken wie Leningrad Cowboys Go America oder Wolken ziehen vorüber viel über sich, seine Arbeitsweise und seine Weltsicht preisgibt. Zum Beispiel: „Mit Farben kann man eine Figur kommentieren, eine Szene definieren und den Gemütszustand einer Figur andeuten. Mit Farben kann man alles mögliche tun, zum Beispiel den Film kaputt machen, wie Peter Greenaway es gezeigt hat. Aber auf der anderen Seite bringt erst das Licht die Farben zum Strahlen und erzeugt die Schatten, die – wie wir von Rembrandt gelernt haben – der Spiegel der Seele sind. FBI-Männer werfen keine Schatten.“ Oder: „Hollywood ist von den großen Regisseuren gemacht worden. Deswegen ist es dort heute so leer, weil sie weggegangen sind und nur die Geldmach-Maschinerie übrig geblieben ist, und auch die ist ins Stottern geraten.“
Trauer, weil der Autor des Buches, Peter von Bagh, am 17. September 2014 im Alter von 71 Jahren in seiner Heimatstadt Helsinki verstorben ist. Der Vielseitige war selbst als Regisseur tätig (er dreht über 50 Essayfilme), stand mehreren Filmfestivals vor und war ein international gefragter Filmhistoriker, der mehr als 30 Bücher schrieb. Für das Österreichische Filmmuseum hat Peter von Bagh noch gemeinsam mit Olaf Möller die Schau „Finnland – Der Film“ zusammengestellt. Doch die Eröffnung der Schau hat er, ebenso wenig wie die Präsentation der deutschsprachigen Ausgabe seines Kaurismäki-Buches, nicht mehr erlebt. So ist das beim verdienstvollen Alexander Verlag erschienene Buch mehr als nur eine Feier des großen Regisseurs Kaurismäki. Es ist in gleichem Maß ein würdiges Andenken an den großen Cineasten Peter von Bagh. Auf den folgenden Seiten finden Sie einige Bilder aus dem Band.
„Die Arbeiterklasse kennt kein Vaterland“
Aki Kaurismäki – Bolschewist des Herzens
Er war noch keine fünfzig, da hatte man ihm bereits große Retrospektiven gewidmet. Sein Werk, das eine Handvoll Schwarzweißfilme und sogar einen Stummfilm – Juha (1999) – enthält, stellt eine Hommage dar an die Reinheit eines früheren Kinos. In der Kritik taucht seitdem immer wieder das Wort „Paralleluniversum“ auf, das Kaurismäkis Filmwelt ausstaffiere, eine zauberhafte Gegenversion der Wirklichkeit, eine künstliche, dabei zur Gänze aus Realien bestehende Welt, deren Tristesse auf unverkennbare Weise mit Notwendigkeit einem oft märchenhaften Ausgang zugeführt wird. Und alles im Element beispielloser Lakonie, reduziertester Gestik, eines langsam schwelenden Humors und entschieden gesetzter Filmeinstellungen, die ihre Schauplätze oft etwas länger im Bild zeigen als die an ihnen stattfindende Handlung, und damit den Objekten am Ort, die etwas Museales aus dem späten Industriezeitalter bzw. der Moderne ausstrahlen, Geltung verschaffen. Ein Auto mit Plastikstoßstange wird man jedenfalls in keinem Kaurismäki-Film sehen, stattdessen Cadillacs, Wolgas und Traktoren – Objekte mit Gesicht und Charakter.
Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1989) am Ende seiner „Proletarischen Trilogie“ brachte Kaurismäki den Durchbruch: ein Arbeitermädchen, von den Eltern ausgebeutet, von Fabrikarbeit und enttäuschter Liebe entfremdet, revanchiert sich mit Rattengift für all die Zumutungen ihres Lebens, ein befreiender Akt von Selbstbestimmung. Kaurismäkis Hauptfiguren, Müllfahrer oder Kassiererinnen, Straßenbahnschaffner oder Fließbandarbeiterinnen, Metzger oder Kellnerinnen, prekärste Künstlerexistenzen (André Wilms in La Vie de Bohème) – im jüngsten Film Le Havre Schuhputzer, mit allen Härten der kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert, widerfährt doch immer wieder eine liebevolle Wendung ins Happy End. I Hired a Contract Killer, der der Nouvelle Vague-Ikone Jean-Pierre Léaud einen beträchtlichen zweiten Schub gab, und La Vie de Bohème entstanden nicht mehr in Finnland, sondern in London bzw. Paris, in den Farben bzw. dem schwarzweißen Chiaroscuro der jeweiligen Filmtradition, die Kaurismäki am Herzen gelegen haben mochte, Powell/Pressburger und der Poetische Realismus, überhaupt das französische Kino der dreißiger Jahre, Marcel Carné, René Clair, Jean Renoir.
Tatjana entstand in Tallinn und Leningrad Cowboys Go America in der US-Provinz, die Heimatlosigkeit scheint ihre gemeinsame Wurzel, doch, so sagt die Blumenverkäuferin Margaret in Contract Killer zu Henri/Léaud, den Alkohol und Liebe urplötzlich von seiner Suizidfixierung abgebracht haben: „Die Arbeiterklasse kennt kein Vaterland.“ Mit fürs Kino weichem Herzen Verlierer zu besingen, darum ging es nie, auch wenn man meinen könnte, Kaurismäki würde Filme aus übler Gegenwart in der Ausstattung einer euphemistischen Vergangenheit drehen, in sparsamem Dekor und puristisch reduzierten Dialogen, unter einem schauspielerischen Ausdrucksminimalismus, der die Andeutung eines Lächelns zum emotionalen Höhepunkt werden lässt. Der „Chef-Melancholiker des Autorenkinos“ (Rainer Gansera), der die Tristesse seiner Filme mit Blues und Tango, Punk, russischen Volksweisen und Tschaikowskys „Pathétique“ grundiert, steht in der Nachfolge der Kunst großer Melodramen. In Anlehnung an sein großes Vorbild Bresson gelten ihm, der sich einmal als „Bolschewist des Herzens“ bezeichnet hat, seine aufrechten Akteure als Modelle; deren Leidensweg läuft auf eine Rettung hinaus, die er als Regisseur anordnen kann, weil er der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren lassen will. So gelangt das arbeitslose Paar in Wolken ziehen vorüber schließlich an das Geld, um ein Restaurant eröffnen zu können, und der Mann ohne Vergangenheit findet die Liebe seines Lebens in den Armen des Engels der Heilsarmee in Gestalt von Kati Outinen, die in neun Filmen unsere Vorstellung davon geprägt hat, was einen Kaurismäki-Film ausmacht. Da ist jene soziale Insel solidarischer Menschen, die – zuletzt in Le Havre (2011), der auch aus Kaurismäkis Zorn über die demütigende Behandlung der Afrika-Flüchtlinge durch die EU entstand („Ich bin zu alt, um unpolitische Filme zu machen“) – das „paradis social“ des französischen Films wachruft. Gleich zwei Wunder geschehen, der Mensch ist edel, hilfreich und gut, und die Frau von tödlicher Krankheit genesen. Am Schluss sieht man die Kirschblüten blühen.