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Aki Kaurismäki – Rosebud und Gummi-Ente

Rosebud und Gummi-Ente

| Roman Scheiber |

Am 4. April wird Aki Kaurismäki 50 Jahre alt. Höchste Zeit für den Hinweis auf zwei Lücken füllende Monografien – und ein paar biografische Notizen.

Ozu-San, ich bin Aki Kaurismäki aus Finnland. Ich habe bisher elf lausige Filme gemacht, und das ist vor allem Ihre Schuld. Es war 1976 in London. Ich bin mit meinem Bruder dort gewesen, und der hat mich gezwungen, mir einen Film im National Film Theatre anzuschauen. Der Film, den ich da gesehen habe, war Tokyo Monogatari [Die Reise nach Tokio, 1953]. Danach war es aus mit meinen Träumen, Schriftsteller werden zu wollen. Ich entschloss mich, nach einem roten Kessel Ausschau zu halten, wie er in einigen Einstellungen des Films zu sehen ist …“

Aki Kaurismäki spricht zu einem großen Porträtfoto von Ozu Yasujiro, das auf einer Staffelei in einer alten Fabrikhalle in Helsinki steht. Eine Kamera hält die Ansprache fest, für die filmische Hommage Talking with Ozu (1993) zum 90. Geburtstag des japanischen Meisters. Sechs Jahre später, in einem in den Cahiers du cinéma erschienenen Interview, sagt Kaurismäki: „Erst wollte ich Schriftsteller werden. Ich wollte Dostojewski und Kafka in einem sein, aber dann hatte ich keine Zeit mehr, das weiterzuverfolgen … Inzwischen glaube ich, dass es noch nicht einmal für Camus gereicht hätte. Nach Kauas pilvet karkaavat [Wolken ziehen vorüber] wollte ich tatsächlich mit dem Kino aufhören, aber es gibt Leute, die arbeiten seit 20 Jahren mit mir zusammen. Wenn ich mich nun einfach aus der Verantwortung gezogen hätte, was wäre dann aus ihnen geworden? Diese Filme sind auch ihr Leben. Also darf ich gar nicht aufhören. Ich bin einfach sentimental – zu sentimental.“

Wie auch immer es wirklich war, ganz offensichtlich blieb Aki Kaurismäki, geboren am 4. April 1957 in Orimattila, knapp 100 Kilometer nordöstlich von Helsinki, eigenen Angaben zufolge Sohn eines kleinen Geschäftsmanns und einer Reisebüroangestellten, nichts anderes übrig, als Filmregisseur zu werden und zu bleiben. Nach Studien der Literatur- und Kommunikationswissenschaften in Tampere, mehrjähriger Arbeit als Filmkritiker, Erfahrungen in „ungefähr 25 Jobs“ (als Kellner, Briefträger, Hafenarbeiter, Zeitungsverkäufer, Tellerwäscher etc.) und der Gründung der Produktionsfirma Villealfa (benannt nach der Filmfigur eines notorischen Lügners bei Godard) gemeinsam mit seinem älteren Bruder Mika, legte Kaurismäki 1983 seinen Debütfilm vor: Crime and Punishment – nach Motiven des gleichnamigen Dostojewski-Romans.

Eine Vielzahl toller Filme und eine sagenhafte Karriere später resümiert Kaurismäki, dessen Kino die Arbeit der finnischen Fremdenverkehrswerbung um Jahrzehnte zurückgeworfen haben soll: „Meine Filme sind alle voller Fehler. Aber das ist in Ordnung so, mehr als ein paar beschissene Meter Film soll von meinem Lebenswerk auch nicht übrig bleiben.“

Über den Bewunderer von Robert Bresson, leidenschaftlichen Gegner der Psychologisierung von Filmfiguren und bekennenden Alkoholiker entwarf Juha Päätalo 1999 ein Psychogramm. „Diese schizophrene Lebenseinstellung, einerseits zu glauben, alles besser zu wissen, und gleichzeitig sich dafür zu hassen und den Kult um die eigene Person zu verabscheuen, führt Kaurismäki zwangsläufig in eine Sackgasse“, heißt es darin. „In ihm kämpfen zwei Seiten: das Genie, das sich seiner Überlegenheit anderen Menschen gegenüber bewusst ist – und der gewöhnliche Mensch, der sich für diese Arroganz bestraft.“ Ein paar Jahre später, als er den Berliner Kunstpreis in der Akademie der Künste entgegennahm, bezeichnete Kaurismäki sich selbst als manisch-depressiv.

Literaturen

All diese und noch viel mehr O-Töne Kaurismäkis, Wortmeldungen von Mitstreitern, Filmbesprechungen und Notizen finden sich in einer im vergangenen Jahr bei Bertz + Fischer erschienenen Monografie über Leben und sämtliche Filme des weltberühmten Finnen, inklusive Laitakaupungin valot (Lichter der Vorstadt, 2006). Es ist eines von zwei in jüngerer Zeit erschienenen Büchern, die eine bis dahin weit klaffende Lücke in der deutschsprachigen Kaurismäki-Rezeption schließen.

Das andere, 2005 von Jochen Werner im Bender Verlag veröffentlicht, bietet eine umfassende theoretische Auseinandersetzung und Werk-analyse. Der Autor dekliniert Kaurismäkis Filme im Wesentlichen auf der Basis des klassischen Autorenfilm-Modells durch, vor dem ordnenden Hintergrund der Filmgeschichte und der Film- und Literaturtheorie (im Fall von Hamlet goes Business, 1987, gibt es etwa ein eigenes Kapitel zu „Hamlet im Diskurs der Literaturverfilmung“), und ist bemüht, einzelne Genrespezifika und Themenblöcke anhand der konkreten Filme detailliert herauszuarbeiten (zu I Hired a Contract Killer, 1990, werden beispielsweise nicht nur der Killertypus nach Melville und die rot-blaue Farbdramaturgie diskutiert, sondern auch Nebenfiguren, „mit denen keine Geschichte mehr zu machen ist“). In der Schlussbemerkung „kulminiert die Erkenntnis über das Kino Kaurismäkis in dem Paradoxon, dass ein qualitativer Fortschritt des Kinos nur durch einen ästhetischen Rückschritt erlangt werden kann“. Trotz eines abrundenden Interviews mit dem Filmemacher („Die Gummi-Ente ist mein Rosebud“) und einer Vielzahl sprechender Bilderserien bleibt dieses Buch allerdings, was es ursprünglich war: eine wissenschaftliche Studie.

Der von Ralph Eue und Linda Söffker 2006 bei Bertz + Fischer herausgegebene Band ist hingegen durch einen vielstimmigen, essayistisch-journalistischen Zugang gekennzeichnet und räumt dem O-Ton, der Anekdote und nicht zuletzt dem Witz gebührend Platz ein. In bewährter Tradition der Reihe film: nähert sich eine ganze Riege von Filmautoren, -historikern und -kritikern dem Phänomen Kaurismäki – vom ebenso eigenwilligen wie ausgedehnten Establishing Shot, zum Beispiel unter dem liebevoll bebilderten Motto „Come on and ride my Cadillac“, über ein schönes Gespräch mit Kaurismäkis Lieblingskollaborateurin Kati Outinen bis zu Schlaglichtern auf Musikvideos, die mit den Leningrad Cowboys entstanden. Höhepunkt ist ein von Ralph Eue verfasstes Kaurismäki-Lexikon unter dem Titel „Das Leben ist bitter, aber lustig“: Alphabetisch nach Stichworten und Querverweisen geordnet, lässt sich Kaurismäki damit hemmungslos und entenquietschvergnügt im O-Ton genießen.

Und nach der Lektüre ist sie wieder da, „diese ungestillte Sehnsucht, die die besondere Qualität der Kaurismäki-Filme ausmacht“, von der Michael Esser in seinem Aufsatz Blue Cadillacs – Das Fernweh des Aki Kaurismäki schreibt, „sie zieht uns hinein in den dunklen, warmen Kinosaal. Hier träumen wir den Traum vom Aufbrechen, vom Fortgehen, wieder und wieder. Hier sehen wir die Gesten der Rebellion, die ihre Vergeblichkeit schon in sich tragen. Und deren Verlockung durch die Vergeblichkeit doch keineswegs negiert wird.“