Zart mythische Mischung aus Naturfilm, Erziehungsgeschichte und Robinsonade, Prädikat: fabelhaft
Ein Dutzend „Universum“-Beiträge könnten einem nicht klarer vor Augen führen, wie schützenswert eine vor zivilisatorischer Kontamination bislang verschont gebliebene Landschaft wie das Bancho Chinchorro erscheint. Dass die Expedition zum größten Korallenriff Mexikos nicht von einem pressluftflaschenbewehrten Wissenschafter im Neoprenanzug angeführt wird, sondern vom drahtigen, sympathisch entspannten Fischer Jorge Machado in der Badehose, ist ein Grund dafür. Der zweite, noch wichtigere Grund ist Jorges fünfjähriger Sohn Natan. Dieser darf, bevor er mit seiner italienischen Mutter nach Rom ziehen wird, eine ozeanische Existenz führen – begleitet von Fischen, Vögeln, gutgelaunten Meeresfrüchtejägern und, vielleicht zum einzigen Mal in einer so großzügig bemessenen Zeitkapsel, von seinem einfühlsamen, fürsorglichen Vater. Mit Natan fahren wir Motorboot, gehen wir schnorcheln und angeln, lernen wir Langusten fangen, erforschen wir die Fauna und Flora des Meeres, hören wir auf, uns vor Krokodilen zu fürchten. Mit Natan erfahren wir, wie leicht man mit einem Kuhreiher Freundschaft schließen kann, wenn keine anderen Kinder da sind. Eine „Universum“-Folge macht uns wissender. Mit Natan werden wir weiser.
Alamar, fabulös geschrieben, inszeniert, fotografiert und auf 73 magische Minuten geschnitten von Pedro González-Rubio, erzählt eine denkbar einfache Geschichte: Vater und Sohn im Paradies. Die Charaktere spielen im Wesentlichen sich selbst, zeigen sich elementar in ihre Umgebung eingebettet, wodurch eine zart mythisch angehauchte Mischung aus Erziehungsgeschichte, Naturreisefilm und Robinsonade entsteht. Schon im Prolog wird die karibische Idylle als Abschiedsreise Natans kenntlich gemacht. Indem ihr von vornherein ein Ablaufdatum eingeschrieben ist, insbesondere aber indem der Fischeralltag bei allem Sinn für kompositorische Arrangements fernab jeder Postkartenästhetik formatiert wird, umschifft Alamar die in verführerischer Schönheit vor ihm auftauchenden ethnografischen Kitschklippen. Jede Szene hat einen narrativen Zweck, so wie jeder Handgriff Jorges einen ökonomischen hat. Seinen emotionalen Höhepunkt findet Alamar bezeichnenderweise nicht in der tränenreichen Trennung von Vater und Sohn am Ende, sondern in einer verspielten Balgerei der beiden in ihrer Pfahlhütte an einem verregneten Tag. Eine rare Arbeit, für die Gonzáles-Rubio u.a. mit dem Tiger Award des Rotterdam Filmfestivals für begabte junge Filmemacher ausgezeichnet wurde.