Müdes Zeitreisespektakel vergreift sich an der Weltliteratur und verhebt sich.
Was hat James Bobins Alice Through the Looking Glass mit den beiden Bücher „Alice’s Adventures in Wonderland“ (1865) und „Through the Looking-Glass and What Alice Found There“ (1872) von Lewis Carroll zu tun? Die Antwort ist erschütternd simpel: Nichts. Nada. Niente. Nix.
Der Film, so wird im Abspann verraten, basiere auf Charakteren, die Lewis Carroll erfunden habe – eine Verbindung also, die in etwa so tragfähig ist wie Schall und Rauch, dafür aber an Rufmord grenzt. Liebhaber der Carroll’schen Verseschmiedekunst und hintersinnigen Wortspielerei sind hiermit gewarnt. Alle anderen auch, denn Alice Through the Looking Glass ist ermüdender Quatsch, der liebgewonnene Gestalten der Weltliteratur wie die Grinsekatze, den Märzhasen, die Rote Königin, den Verrückten Hutmacher und nicht zuletzt eben Alice selbst zu Funktionseinheiten eines durchschnittlichen Hollywood-Fantasy-Spektakels degradiert. Unterstützt von einer Armee von CGI-Wizards und 3D-Technikern besetzt das Disney-Studio Carrolls fantastische Welt – die seinerzeit als radikaler Gegenentwurf zum rational geprägten, viktorianischen England entstand –, implantiert die studiotypischen Familienwerte inklusive Schmalz und Tränen und schafft eine Ordnung, um die niemand im Wunderland je gebeten hatte. Das Ergebnis ist entsprechend und das Wunder dem Land aufs Gründlichste ausgetrieben.
Dafür sucht nun also Alice nach der verloren gegangenen Sippschaft des todkranken Verrückten Hutmachers, zu welchem Behufe sie einem Herrn namens Zeit (Sacha Baron Cohen hält sich schauspielerisch wacker, wird jedoch von seinen eigenen, komplett überflüssigen, stahlblauen Kontaktlinsen sabotiert) die sogenannte Chronosphäre entwendet. Mit selbiger reist sie sodann in die Vergangenheit, deckt die traurigen Vorgeschichten diverser Figuren auf und findet Möglichkeiten für deren Versöhnung in der Gegenwart. Tja.
Vielerlei schmerzt hier: Die Skrupellosigkeit, mit der Geist und Sprache der Vorlagen-Figuren verraten und ihr Ursprungs-Stoff auf dem Altar der Profitmaximierung geopfert wird. Der Umstand, Johnny Depp dabei zusehen zu müssen, wie er ein unnötiges weiteres Mal überschminkte Exzentrik an die Stelle seiner einstmals so beeindruckenden Schauspielkunst setzt. Vor allem aber die Tatsache, dass dieser Film der letzte Eintrag in der Filmografie des im Januar verstorbenen großen Alan Rickman ist; er leiht seine Stimme der Raupe Absolem, und ach, wie wird sie uns fehlen!