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Filmfestival

Alle für Einen

| Pamela Jahn |
Eine Dokumentation über den russischen Oppositionsführer Alexei Nawalny war der große Gewinner beim diesjährigen Sundance Film Festival.

Was von diesem Sundance-Jahrgang in Erinnerung bleiben wird, sind vor allem die zum Teil hervorragenden Dokumentationen. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch im fiktionalen Bereich einige Perlen zu entdecken gab. Aber musste sie heuer schon etwas gezielter suchen als sonst (dazu an anderer Stelle mehr). Bei den dokumentarischen Arbeiten hingegen schien die Auswahl insgesamt von recht hoher Qualität, was, unterstützt von der Brisanz der behandelten Themen, dazu führte, dass sie auch bei der Öffentlichkeit auf großes Interesse stießen.

Nun lässt sich die Auszeichnung von Navalny mit dem Publikumspreis der Dokumentarfilmsektion und dem ebenfalls von den Zuschauerinnen und Zuschauern bestimmten Festivalpreis natürlich in erster Linie als ein Zeichen der Solidarität verstehen, wie man das so eigentlich eher von der für ihre politische Ausrichtung bekannten Berlinale erwarten würde. Und vielleicht hätte der Film auch eher dort ins Programm gepasst. Aber auch Sundance steht diese Position zur Abwechslung ganz gut, zumal der Film des US-amerikanischen Regisseurs Daniel Rohers durchaus nicht der einzige Beitrag war, der sich um aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen drehte. Die Auszeichnung für die beste US-Dokumentation beispielsweise ging an The Exiles über die New Yorker Dokumentarfilmerin Christine Choy und deren unfertiges Projekt über drei Anführer des Tiananmen-Aufstandes 1989 in China. Daneben lief mit The Janes von Tia Lessin und Emma Pildes ein Film in der gleichen Sektion, der sich mit den Aktivitäten einer Gruppe von Frauen beschäftigt, die zwischen 1968 und 1973 für illegale, aber sichere Abtreibungen für Tausende von Frauen in Chicago sorgte. Und auch Meg Smakers Langfilmdebüt Jihad Rehab über eine Gruppe von Al-Qaida-Mitgliedern, die einst von Guantanamo in das erste Rehabilitationszentrum für Extremisten verlegt wurden, operiert am Puls der Zeit.

Für seinen Film Navalny begleitete Daniel Rohers den derzeit inhaftierten russischen Oppositionspolitiker während seiner Zeit nach der Vergiftung im August 2020, als er in Deutschland neue Kraft sammelt und sogleich seine Rückkehr nach Moskau vorbereitet. Neben den Ermittlungen über die Verantwortlichen hinter dem Attentat konzentriert sich die Dokumentation vor allem auf Nawalny selbst, seine Person, sein Charisma, seine Stärken und seine Schwächen, und rückt dabei immer auch die Frauen an seiner Seite ins Bild, vor allem Gattin Julia und Tochter Darja, die jeweils eine mindestens ebenso große Kämpfernatur aufweisen wie der Kreml-Gegner selbst.

Darüber hinaus fanden sich im Programm eine Reihe von Dokumentationen, die um bekannte Missbrauchsfälle kreisen, wie W. Kamau Bells We Need to Talk About Cosby oder Amy Bergs Doku-Serie Rising Phoenix, in dem die US-Schauspielerin Evan Rachel Wood erneut schwere Vorwürfe gegen ihren Ex-Freund, den Rocksänger Marilyn Manson, erhebt, der sie ihren Aussagen zufolge während eines Musikvideo-Drehs vergewaltigt haben soll. Nachhaltig in Erinnerung bleibt zudem Sierra Pettengills Riotville, USA, eine Dokumentation in der experimentellen Next-Kategorie des Festivals, die ausschließlich aus Archivmaterial besteht, das vom US-Militär und für Nachrichtensendungen aus den späten sechziger Jahren aufgenommen wurde, um das amerikanische Polizei-Credo von „Recht und Ordnung“ an einem eigens dafür geschaffenen Ort zu illustrieren.

Mit der Klimakrise beschäftigte sich etwa Rachel Lears To the End, in dem die Regisseurin vier junge Verfechterinnen von Green New Deal – einem ambitionierten Projekt zur Bekämpfung des Klimawandels und der Ungleichheit – porträtiert, während der iranisch-amerikanische Regisseur Ramin Bahrani in 2nd Chance bewies, dass sein Feingefühl für die Schattenseiten des American Dream über seine fiktionalen Geschichten hinaus bis in die Realität reicht. Sein erster Dokumentarfilm dreht sich um Richard Davis, den Erfinder der kugelsicheren Weste, der sich im Laufe seines Lebens 196 Mal selbst erschoss, um die Wirksamkeit seines Produkts zu beweisen.

Als beste internationale Dokumentation wurde der indische Umwelt-Film All That Breathes ausgezeichnet. Und natürlich wurden auch etliche Spielfilm-Preise vergeben. Der übernatürliche Thriller Nanny der amerikanischen Filmemacherin Nikyatu Jusu über eine illegale Einwanderin aus dem Senegal, die als Kindermädchen in New York arbeitet, gewann in diesem Jahr den Hauptpreis. Im Bereich US-Spielfilm stimmten die Zuschauer für das Filmdrama Cha Cha Real Smooth mit Dakota Johnson in der Hauptrolle, die gleich in mehreren Filmen als Darstellerin und Produzentin agierte.