Filmkritik

Amazonia

| Jörg Schiffauer |
Expedition in den brasilianischen Regenwald

Im Genre Naturdokumentationen haben in jüngerer Vergangenheit vor allem Produktionen aus der hinlänglich bekannten Reihe Universum oder jene von Terra Mater Maßstäbe gesetzt. Es ist also keine leichte Aufgabe gegen die Dominanz, die das Fernsehen in diesem Fachbereich aufgebaut hat, anzutreten. Thierry Ragobert, der sich etwa als einer der Regisseure der Arktis-Dokumentation La Planète blanche (Der weiße Planet) bereits einen Namen machen konnte, hat jedoch auf diesem Gebiet einige Erfahrung vorzuweisen. In seinem neuen Film Amazonia widmet er sich nun dem Dschungel des Amazonas. Dabei versucht er nicht primär mittels besonders spektakulärer Bildgewalt zu beeindrucken – die eingangs erwähnte Konkurrenz hat da ja einiges vorgelegt  – , sondern wählt einen anderen Zugang, um einen Eindruck dieses einzigartigen Öko-System zu vermitteln. Dazu bedient er sich einer fragmentarischen Rahmenhandlung: Ein kleiner Kapuzineraffe, der als Haustier gehalten wurde, befindet sich an Bord eines Flugzeuges, das über dem Regenwald abstürzt. Das Kapuzineräffchen übersteht den Crash unbeschadet, kann sich aus seinem Käfig befreien, und findet sich nun in seinem eigentlichen, natürlichen Lebensraum wieder. Doch es muss nun erst lernen, sich dort zurechtzufinden, was naturgemäß kein einfacher Prozess ist. Dieser Kunstgriff erweist sich als weit weniger kitschig, als man auf den ersten Blick vermuten könnte, weil das Tier nicht verniedlicht oder vermenschlicht wird und auch der Off-Kommentar sparsam eingesetzt wird. Die Erkundung dieses neuen Universums aus der Perspektive des animalischen Protagonisten sorgt auf recht unaufdringliche Art und Weise für dezente Spannungsbögen und führt gleichzeitig den Zuschauer durch eine Welt, über die man in all ihrer Vielfalt immer noch staunen kann. Thierry Ragobert liefert  dabei beeindruckende Bilder, die präzise und mit Liebe zum Detail Fauna und Flora dieses gigantischen Mikrokosmos porträtieren. Dass der Regisseur in Amazonia dabei mehr auf präzise Beobachtung als auf spektakuläre Schauwerte vertraut, ist angesichts der ohnehin atemberaubenden Schönheit dieser Wildnis ein ebenso nachvollziehbares wie kluges Konzept für eine Naturdokumentation. Natürlich kann ein Dokumentarfilm immer nur Ausschnitte einer solchen Welt zeigen, doch Amazonia gelingt es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, welches unvergleichliche Erbe des Planeten dort – noch – vorhanden ist. Das mag ein wenig pathetisch und abgegriffen klingen, doch es ist dringender als je zuvor. Denn die größte Gefahr – der Film verweist auch kurz darauf –  für dieses unwiederbringliche Erbe geht wieder einmal vom Homo sapiens aus.