Interview mit Indie-Regisseurin Lisa Cholodenko zum Start der tollen TV-Miniserie „Olive Kitteridge“ (Text und Interview mit Hauptdarstellerin und Produzentin Frances McDormand in ray 02/15)
Sie haben als Regisseurin bisher vor allem Independentfilme gedreht, zu denen Sie meist selbst das Drehbuch verfasst haben, von High Art (1998) über Laurel Canyon (2002) bis The Kids Are Alright (2012). Was ist der Unterschied, für ein Fernsehprojekt angeheuert zu werden?
Es kommt ganz auf den Sender und das konkrete Format an, das ist sehr unterschiedlich. Wenn man eine Krimiserie mit abgeschlossenen Episoden nimmt, sind die Regisseure eher ausführende Handwerker einer einzelnen Folge und dann wieder weg. Bei diesem Vierteiler bestand zwar das Projekt bereits, bevor ich an Bord kam, aber ich wurde eher wie einem Spielfilmprojekt angeheuert. Es war klar, dass ich alle Teile inszenieren und viel mit einbringen würde. Frances McDormand kenne ich schon sehr lange und auch mein Verhältnis mit dem Sender HBO, der die Miniserie produziert und in den USA ausgestrahlt hat, geht schon eine Weile zurück. Sie kamen also ganz dezidiert auf mich zu, weil sie wollten, dass ich die Serie umsetze. Und ich hatte sofort den Eindruck, dass ich es wie einen Spielfilm angehen kann, wenn auch einen überlangen. Das Drehbuch war so gut geschrieben, so vielschichtig und komplex. Und das hat mich gereizt.
Kannten Sie die Romanvorlage von Elizabeth Strout, „Mit Blick aufs Meer“?
Frances schickte mir eine Ausgabe, etwa drei Jahre, bevor ich die erste Drehbuchfassung zu Gesicht bekam. Ich hatte damals gerade die Pressearbeit für The Kids Are Alright beendet und noch kein neues Projekt. Und Frances meinte, sie habe sich die Rechte an dem Roman gesichert, ob es mich interessieren würde, ihn zu adaptieren und zu verfilmen. Ich las das Buch und liebte es, aber ich sagte ihr auch gleich, dass ich nicht wüsste, wie man es in ein Drehbuch adaptieren könnte. Also verließ ich das Projekt und entwickelte eigene Stoffe, bis eines Tages ein Drehbuch bei mir landete. Und ich war sehr begeistert, wie Jane Anderson diesen sehr komplex strukturierten Roman adaptiert hatte. Die Essenz dessen, was ich am Buch mochte, war noch da, aber sie hat etwas ganz Eigenes daraus geschaffen.
Wie unterscheidet sich das Inszenieren einer fremden Vorlage von dem eines eigenen Stoffes?
Ich wusste, dass es eine Herausforderung sein würde, sich diesen Stoff und diese Charaktere in all ihrer Dynamik und Vielschichtigkeit anzueignen, damit es sich authentisch und wie ein Teil von mir anfühlt. Aber ich hatte ein sehr gutes Drehbuch als Vorlage und einen Roman, der noch sehr viel mehr die Innenwelt der Figuren beschrieb, sodass ich immer auf dieses reichhaltige Quellmaterial zurückgreifen konnte. Das Tolle an diesen Figuren ist, dass sie auch etwas sehr Universelles haben und ich meine eigenen Erfahrungen und Instinkte einbringen konnte.
Olive Kitteridge gehört zu den Charakteren, die man nicht mehr so schnell vergisst …
Sie hat das Zeug zu einer Ikone, nicht wahr? Ein Stück weit kann wohl jeder seine eigene Mutter in ihr sehen oder kennt zumindest eine solche Mutter. Sie wird geliebt und gehasst, sie ist ein Mamabär, sie ist als Ehefrau mal furchtbar und mal wunderbar. Eine Frau voller Kontraste und Widersprüche. Und das macht sie zu einer Symbolfigur, vor allem für Frauen in einem bestimmten Alter, die schon lange verheiratet sind und Kinder haben. Und das liebe ich an ihr. Denn im Grunde wollen wir doch alle unsere Mutter verstehen. Selbst wenn du am liebsten auf einen anderen Kontinent fliehen willst, ist und bleibt sie deine Mutter. Aber das war auch der Reiz für mich: Wie schaffe ich es, Mitgefühl für eine Figur zu entwickeln, die nicht immer sympathisch ist, die mir manchmal Angst macht, die auch anderen Angst macht und ihnen weh tut?
Wie gelingt diese Gratwanderung?
Da haben Vorlage und Drehbuch ebenso Anteil daran wie Frances McDormands Art zu spielen und wie ich es inszeniere. Wieviele Gegenschüsse mit den Reaktionen der anderen Figuren zeige ich? Zeige ich genug private Momente, in denen zu sehen ist, dass sie etwas anderes sagt als sie empfindet? Oft entscheidet sich dann erst im Schneideraum, was ich an Balance brauche, um Verständnis und Sympathie für sie entstehen zu lassen.
Sie haben auf Filmmaterial und nicht digital gedreht. Welche Vorteile hat das, von der Bildästhetik abgesehen?
Es ist eine Miniserie, aber ich wollte, dass sie wie Kinofilm aussieht, nicht wie Fernsehen. Ich habe einfach kein großes Vertrauen in die Digitaltechnologie, sie hat in meinen Augen noch immer viele Schwächen, die mich nervös machen. Diese hyperrealistische Ästhetik etwa. Gerade, weil wir immer zwischen den Dekaden wechseln, brauchten wir dieses leicht Traumhafte. Und die Gegend in der Nähe von Cape Ann in Massachusetts, in der wir drehten, war so malerisch, dass ich es auch mit diesen besonders beschaffenen Bildern einfangen wollte. Maler wie Edward Hopper haben dort wegen des spektakulären Lichts und der Farben gearbeitet. Und es gab noch einen ganz pragmatischen Grund: wir haben so viel Make-up und Gesichtsprothesen benutzt, die in den flachen, hyperrealen Digitalbildern einfach falsch aussehen würden.
Und was den Prozess des Drehens betrifft?
Ich arbeite lieber mit Film, weil ich sehr methodisch vorgehe. Ich will keine Zeit verschwenden mit ständigen Wiederholungen und damit die Darsteller erschöpfen. Ich brauche fast nie mehr als fünf Takes.
Wie würden Sie das Arbeitsverhältnis zu Frances McDormand beschreiben?
Sie ist eben auch die Produzentin und hat das Projekt schon eine ganze Weile entwickelt, bevor ich dazu kam. Und sie ist eine starke Persönlichkeit, sie hat ihre Meinung. Sie kann wie ein Tsunami sein, dass muss man aushalten können. Aber am Ende ist sie die Hauptdarstellerin und ich bin die Regisseurin, also habe ich das letzte Wort. Das war manchmal leicht und manchmal gerieten wir aneinander, aber es endete immer liebevoll. Es war nicht so, dass wir nach so etwas tagelang nicht miteinander gesprochen hätten.
Wie ist die Situation als Regisseurin in der Film- und Fernsehbranche heute?
Es ist für niemanden leicht. Regieführen ist ein harter Job, egal ob als Mann oder Frau. Was mir schwer fiel, war weder den Job zu kriegen, noch die Arbeit am Set, noch um den Respekt von Schauspielern und Crew kämpfen zu müssen. Sondern so lange weg von zu Hause zu sein. Ich habe einen achtjährigen Sohn, eine Partnerin, ein Haus und Hunde. Und sechs Monate weg von all dem, das war richtig hart.
In jüngsten Jahren gab es immer wieder Miniserien von etablierten Autorenfilmern wie Todd Haynes‘ Mildred Peirce, Jane Campions‘ Top of the Lake und jetzt Olive Kitteridge von Ihnen. Was macht dieses Format so interessant?
Wir sind alle drei sehr persönliche Filmemacher. Ich glaube, was uns anzieht, sind Charakterstudien, die man mit einem längeren Atem erzählen kann. Ich habe nie innerhalb des Studiosystems gearbeitet, meine Filme waren immer unabhängig und ich hatte große Freiheiten. Aber ein Sender wie HBO mischt sich nicht wirklich ein bei den Entscheidungsprozessen und im Drehalltag. Sie sind wirklich sehr autorenfilmerfreundlich und lassen uns machen. Und das wissen wir zu schätzen.