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Ausstellung

Aneignung des Raumes

| Daniela Gregori |
Arbeiten von Dominique Gonzalez-Foerster, František Lesák und Karimah Ashadu in der Wiener Secession.

Es gehört zu den großen Qualitäten der räumlichen Situation eines White Cube, dass man mit ihm für Ausstellungen so gut wie alles machen kann. Nun ist der Hauptraum der Wiener Secession so etwas wie das historische Vorbild der neutralen Schachtel und hat als solche im Laufe der letzten mehr als hundert Jahre so einiges an Einbauten erlebt. Nun also eine Apsis. Es ist, als hätte die goldene Blätterkugel am Dach des Gebäudes ein temporäres Pendant im Grundriss an der Stirnwand des Hauptraumes bekommen, ein halbkreisförmiger Fries, auf dem sich, dicht an dicht, über 230 Personen tummeln – Menschenwald statt Blätterwald nachgerade. Man möchte vorerst an eine vielfach multiplizierte Adaption des Stelldicheins auf dem „Sgt. Pepper“-Album der Beatles denken, bis sich neben der einen oder anderen Prominenz auch Figuren des Beethoven-Fries ausmachen lassen. Und kennt man Teile der Hintergrundslandschaft nicht womöglich aus einem anderen Zusammenhang?

Sie sei mitten in der Nacht mit einer Vision aufgewacht, erinnert sich die französische Künstlerin Dominique Gonzalez-Foerster an den Ursprung ihrer Ausstellungsidee für die Secession. „Wir waren nahe eines Vulkans mit sanftem Lavastrom, die Vegetation war tropisch, da waren Kolibris und Lamas …“ Die Künstlerin findet sich in dem Fries vervielfacht als Lola Montez, Marilyn Monroe, Fitzcarraldo oder als Klimts Gorgonen, umringt von Menschen von einst und jetzt, unbekannten Gesichtern und prominenten wie Rosa Luxemburg, Cindy Sherman oder Klaus Nomi. Auch auf Bettina Spörr, die die Ausstellung in der Secession kuratorisch begleitet, trifft man. Diese theatralische Massenansammlung formiert sich gleichsam zu einem Ausflug. Oder ist es womöglich ein Protestmarsch, auf den diverse liegengebliebene Banner und Schilder hinweisen würden? Wer sind all diese Menschen, und was verbindet sie wohl, gerät man ins Grübeln. Wieso ist die eine Person ausgewählt und nicht eine andere? Man verfolgt diese collagierte Inszenierung mit einem Faltblatt, das all die Individuen mit einem Namen versieht und beginnt zu erkennen, dass es sich bei der bunten Gruppierung um die persönlichen Wegbegleiter der Künstlerin handelt, die sie in einer Art von autobiografischer Selbstreflexion in eine von Diego Rivera inspirierte Landschaft stellt. Man selbst wird mit dem Betreten dieser Bühne zur kurzfristigen Akteurin dieses individuellen Bezugssystems, wird Teil des großen Umzugs, der nicht weniger zum Ziel hat, als ein Leben zu definieren.

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Während für Gonzalez-Foerster unter anderem Riveras Wandgemälde „Traum von einem Sonntag in der Alameda“ als Referenz dient, scheint für den tschechischen Künstler František Lesák das Gemälde „Bonjour Monsieur Corbet“ von Gustave Courbet vertrautes Terrain darzustellen. Das Werk zeigt das Aufeinandertreffen des Künstlers mit einem Sammler, dessen Diener und Hund im Nirgendwo einer Landschaft. Wie üblich nehmen die drei Herren zur Begrüßung die Hüte ab, jener Vorgang, den Lesák in seiner zwischen 1984 und 1986 entstandenen Serie zum Anlass nimmt, drei zusätzliche Protagonisten im räumlichen Bezugssystem der Kopfbedeckungen zu integrieren. Der Künstler entwickelt hierfür eine Choreografie an Bewegungen, die gerade noch anatomisch wie statisch durchführbar sind. Zur Unterstützung des eigenen Vorstellungsvermögens des Künstlers finden die fotografisch festgehaltenen Verrenkungen eine Ergänzung in Zeichnungen, die allesamt die schwierigen Partien der Hände abbilden. Diese Detailstudien, die noch nie ausgestellt wurden, bilden nun in der Galerie im Untergeschoss das Verbindungsglied zu der jüngsten Serie, in der es mittels eines Selbstversuches um die Darstellung von Vermutung und Wirklichkeit geht. Die Finger der linken Hand unter dem Tisch oder einem Tuch fügen sich in eine für den Künstler ungewohnte Anordnung, die er nun über die taktile Wahrnehmung und das Wissen um die anatomischen Gegebenheiten zu zeichnen versucht. In einer zweiten Zeichnung wird dieselbe Fingerformation, diesmal für Lesák sichtbar, der zu Papier gebrachten Vermutung gegenüber gestellt. Ebenso konsequent wie der Künstler seinen Körper im Raum eines Gemäldes überprüft oder eben jenen verdichteten Nahraum spezieller Fingerhaltungen, begegnet er mächtigen Steinformationen, die, durch geomorphologische Prozesse bewegt, heute in der Landschaft des nördlichen Waldviertels anzutreffen sind. Was man sieht, ist stets eine Teilansicht, die es das Objekt aus allen Perspektiven betrachtend zumindest in der Vorstellung zu einem Ganzen zu fügen gilt.

In der von Annette Südbeck kuratierten Ausstellung im Graphischen Kabinett der Secession schließlich schweift der Blick in Plateau, dem neuesten Film der britischen Künstlerin Karimah Ashadu, über das Jos-Plateau in Zentralnigeria. Innerhalb dieser Palette von warmen Ockertönen bleibt die Kamera bei Arbeitern, die dieser Landschaft aus Kratern und Bergen aus Geröll einen verbliebenen Rest an Bodenschätzen abringen wollen. Es wird geschaufelt und gespült, Material umgeschichtet, allesamt kraftraubende, bisweilen gefährliche Aktionen, von denen man den nicht den Eindruck bekommt, sie wären von Erfolg gekrönt. Vor Jahrzehnten wurde das Gebiet kolonial ausgebeutet, seiner Zinn- und Columbit-Vorkommen beraubt. Reich wurden dabei britische Unternehmen, was blieb, war eine arbeitslose Bevölkerung in einer verletzten, nachgerade devastierten Landschaft. Ashadu verfolgt hierbei keine individuellen Schicksale, der Blick auf die Arbeiter ist von Achtung und Würde gekennzeichnet, und bei allen dokumentarischen Qualitäten, die diesen von umfassenden Recherchearbeiten begleiteten Film auszeichnen, ist er von einer anrührenden Ästhetik und einer geradezu malerischen Farbigkeit. Das Blau des Himmels, die Braun- und Gelbtöne der Landschaft treffen auf die farbige Kleidung der Arbeiter und das Grün einer bestimmten Kakteenart. Einer der Arbeiter erzählt von der kulturellen Bedeutung jenes Gewächses und setzt zum Vergleich mit seinem eigenen Volk an. Es würde reichen, ein Stück des Kaktus in die Erde zu stecken. Unter sämtlichen Bedingungen würde er wurzeln und weiterleben, auch in der steinigen, schlammigen Ödnis des Plateaus.