Geschäftsführer Norman Shetler anlässlich des Umbaus und der Wiederöffnung des Gartenbaukinos zur Viennale über lückenhafte Kino-Historie, über weiße Fußböden und die Schönheit des Analogen.
Mit dem Gartenbaukino öffnete 1960 ein gänzlich neues Gebäude. Was bringt die Sanierung jetzt zutage? Wieviel von dem alten Design soll bleiben oder vermehrt wieder zum Vorschein kommen? Wie fühlt es sich an, dieses Projekt jetzt – natürlich in einem ungeplanten Zeitraum – zu realisieren?
Norman Shetler: Der ursprüngliche Plan war tatsächlich, es in diesem Zeitraum zu machen, dann ist das ganze Projekt durch Corona irgendwie zum Erliegen gekommen. Im Herbst letzten Jahres haben wir noch einmal Anlauf genommen. Und haben es hingekriegt, in einer sehr kurzen, sportlichen Zeit.
Ich habe mich sehr intensiv mit der Geschichte des Kinos beschäftigt und viel recherchiert. Es gab nie einen echten Fundus, kein Archiv, das überliefert oder übermittelt wurde. Wir haben quasi bei Null begonnen. Robert Kotas, der Architekt, war als Name kaum bekannt, obwohl er so viele Kinos gebaut hat und federführend war in dieser Zeit, späte Fünfziger bis Anfang Siebziger. Niemand wusste so recht Bescheid über ihn, sodass ich dann im Telefonbuch nachgeschaut habe – und wirklich seinen Sohn erreicht habe. So ist das ins Rollen gekommen.
Im Laufe der Zeit wurde hier relativ viel verschlimmbessert, teilweise aus einer Not heraus, teilweise aus einem Zeitgeist heraus – was immer ganz schwierig ist. Gleichzeitig war das Gartenbau eben als einziges Kino dieser Größenordnung erhalten geblieben. Viele andere wie das Flotten-Kino zum Beispiel wurden ja sukzessive in Mehrsaal-Kinos umgewandelt, wodurch von der Anmutung ziemlich wenig übrig blieb. Das war dann der Aufhänger, der das Gartenbau interessant gemacht hat. Und das hat auch den Denkmalschutz auf den Plan gerufen. 2018 kam dann die Unter-Schutz-Stellung, das war der Moment, an dem ich dachte: Das bilde ich mir nicht nur ein, dass das hier einen Wert hat.
Von da an haben wir uns weitergehantelt und geschaut, was es wirklich braucht – Elektrik, Lüftung, Sicherheitstechnik, alles Dinge, die seit den Sechzigern nicht großartig erneuert worden waren –, und jetzt sehe ich erst, wie schlimm es teilweise war. Zusammen mit dem Denkmalamt haben wir geschaut, was erhaltungswürdig ist, was restauriert, was zurückgebaut werden kann. Vieles haben wir auch nicht in die Anfangszeit rückgeführt. Ein Beispiel: Im Saal war anfangs ein weißer Linolboden. Ich weiß nicht warum, sowohl akustisch als auch optisch ist das kaum ideal. Dieser wurde dann auch bald durch einen dunklen Linolboden ersetzt, in weiterer Folge dann durch einen Teppich. Ich glaube also, dass das Kino schon in den ersten zehn, zwanzig Jahren Wandlungen erlebt hat – die vielleicht schon auf anderes Seh- und Besuchsbewusstsein Bezug genommen haben.
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Auf der Ebene oberhalb der Bar haben Sie hinter den Wänden alte „Spartacus“-Plakate gefunden …
Genau, das waren Plakate, die an die Wand geklebt wurden, im Zuge der Premiere. Im Dezember 1960 fand ja die Eröffnung statt, mit der Premiere von Spartacus in Anwesenheit von Kirk Douglas. Auf den historischen Fotos sieht man auch, dass dort eine Reihe von Plakaten war. Warum man die zugebaut hat, weiß ich nicht. Ich fand es jedenfalls cool, dass man die Plakate nicht heruntergenommen, sondern verbaut hat. Wir lassen sie auch alle, wo sie sind; wir haben sie wieder zugebaut, alle bis auf eines – das wird ein kleiner Schaukasten werden, ein Verweis auf die Vergangenheit.
Gab es abseits dieses historischen Fundes weitere besondere Entdeckungen?
So viele Kleinigkeiten. Ein Teil der Wandgestaltung im Saal war, wie sich herausgestellt hat, in Pastellfarben. Wir haben probiert, ob das funktioniert, und ich habe beschlossen: Es funktioniert nicht. Das sind die Entscheidungen, die man treffen muss. Kotas war schon sehr wild in seinem Anspruch. Sein Leitspruch war: „Gebt der Stadt Farben!“ Das hat er ziemlich gut durchgezogen.
1994 gab es die Europa-Premiere von „Schindler’s List“, Steven Spielberg war da, 1995 kam Martin Scorsese mit
„Casino“. Danach hat es großen internationalen Besuch vor allem bei der Viennale gegeben, oder?
Die frühesten Aufzeichnungen, die ich habe, sind aus den späten Neunzigern. Da gab es den Betreiberwechsel, weil die Stadt ihre KIBA-Kinos abstieß. Das Kino war damals nicht sonderlich spannend bespielt und hatte keinen hohen Stellenwert. Wesentlich war sicher die Übernahme durch die Viennale, die ja regelmäßig große Stars bringt. Inhaltlich war die Viennale natürlich immer präsent gewesen, dann aber wurde sie Eigentumsvertreter durch eine Gesellschaft, das hat einen anderen Anspruch eingebracht. Und das Bekenntnis der Stadt, das Kino mit jährlicher Subventionierung zu unterstützen. Die Ausrichtung verschob sich in Richtung Arthouse, das war davor definitiv nie so. Und ja, bei der Viennale gab es regelmäßig illustre Gäste im Gartenbau: Lauren Bacall, Michael Caine, James Coburn, Lou Reed, Fay Wray, Tilda Swinton, Sofia Coppola, Franka Potente, usw.
Und heute: Covid-19, pandemischer Ausnahmezustand. Gleichzeitig ist die Klimakatastrophe evidenter denn je. Ich frage also nach zukünftiger Ausrichtung nicht nur hinsichtlich des Filmprogramms, sondern auch in Bezug auf die Initiative #kinodenktweiter, die das Gartenbaukino ja prägt.
#kinodenktweiter ist sehr stark an das Gartenbaukino gekoppelt, müsste aber als Slogan, als Marke nicht nur auf das Gartenbaukino beschränkt sein. Ich fände es sehr erfreulich, würden das andere Kinos auch machen. Für dieses Jahr sind derzeit keine Programme mehr geplant, es sind mehr innerbetriebliche Überlegungen, wie man Dinge ökologischer gestalten kann. In Richtung Green Event gehen kann. Viele machen das nur für die Außenwirkung. Mir wäre es lieber, wenn es innen funktioniert, und dadurch quasi nach außen getragen wird. Das reicht von kleinen Dingen wie LEDs zu montieren bis hin zur Möglichkeit, Inhalte zu transportieren und Diskurse anzuregen. Der soeben erstmals vergebene Kinoförderpreis in der Sparte „Ökologisch nachhaltiger Kinobetrieb“, den wir durch das BMKÖS und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer erhalten haben, ist eine zusätzliche Bestätigung, dran zu bleiben.Was die programmatische Positionierung sonst betrifft: Ich glaube, es wird eine interessante Zeit. Die Umwälzungen waren teils gravierend. Es tun sich wirklich, vielleicht nicht Gräben, aber tiefe Veränderungen auf. Wir sind, glaube ich, in der Position, einerseits reagieren zu können, andererseits uns nicht übermäßig beeindruckt zeigen zu müssen. Wir möchten und müssen uns nicht so abhängig von der Ökonomie sehen, wie das vielleicht andere Kinos sind. Schon jetzt bemühen wir uns zum Beispiel, auch Filme ins Programm zu nehmen, die keinen Verleih haben, oder Programme zusammenzustellen, die unabhängig von dem, was am Filmmarkt passiert, funktionieren können. Es gibt auch Bestrebungen, mehr in Richtung Repertoire-Kino zu gehen – ohne in fremden Gewässern fischen oder wildern zu wollen. Aber ich glaube, da gibt es großen Bedarf.
Den gibt es auch an Vermittlungsarbeit. Das mag ein überstrapaziertes Wort sein, aber ich glaube, ein Kino wie dieses kann zu dem Gesamterlebnis Kino viel beitragen. Ich habe das bei Schulvorstellungen gemerkt. Die kannten so etwas nicht. Das soll gar nicht wertend oder etwas anderes schlechtmachend gemeint sein, aber sie sehen, dass es so etwas auch gibt: in dieser Größenordnung, in dieser Farblichkeit, in dieser Ausstrahlung.
Ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist die Pflege der analogen Filmkultur. Mit 70mm haben wir das reaktiviert, das hat super eingeschlagen. Nun würde ich gerne einen Schritt weitergehen: Wir arbeiten daran, eine Ausbildung anzubieten. Einfach weil ich gemerkt habe, dass etwas, dass theoretisch erlernbar ist, auch praktisch gelernt und gepflegt werden muss. Wir haben eine super Anlage hier, die gut funktioniert – und es braucht den Nachwuchs, banal gesagt. Der Paradigmenwechsel von analog auf digital ging wahnsinnig schnell. Die wenigsten weinen dem nach, was auch okay ist, weil es viele Prozesse einfacher gestaltet. Doch das Analoge ist ein Kulturgut, das ich nicht verloren sehen möchte.
Das wäre also idealerweise eine Vorführerinnen-/Vorführer-Ausbildung?
Genau das. Keine offizielle, denn die gibt es ja schon lange nicht mehr. Aber das wäre eine Möglichkeit, das weiterzugeben. Mein Betriebsleiter, der seit 25 Jahren da ist, wird in zwei Jahren in Pension gehen. Ich brauche also Leute, die das können.
Vermittlung und Ausbildung sind also in Planung. Da es kein Archiv gab, auch Archivierung?
Ja. Diese Lektion haben wir gelernt. Mein geheimer Wunsch wäre es wirklich, eine Art von Publikation zu machen. Noch einmal alle Archive zu durchforsten, Sammler zu kontaktieren. Was wir auch auf jeden Fall machen wollen, ist, die Dinge, die in den Achtzigern eingebaut wurden – also Beleuchtungsgegenstände zum Beispiel –, nicht zu entsorgen, sondern zu archivieren. In 30 Jahren sind die vielleicht wieder der heißeste Scheiß.