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The Menu

The Menu

Aufgetischt

| Pamela Jahn |
„The Menu“ ist kein Film für empfindliche Geschmacksnerven, aber ein Spaß für alle, die Ralph Fiennes als Küchenchef erleben wollen, der harte Wahrheiten serviert.

Das Rezept passte, die Zutaten stimmten: „Eine clevere Kombination aus Thriller, Satire und Komödie“, sagt Mark Mylod mit einem versteckten Lächeln in den Mundwinkeln, „was will man mehr.“ Für den Regisseur, der vor zwanzig Jahren mit Ali G Indahouse (2002) erstmals vom Fernsehen ins Kino überwechselte, war bereits beim ersten Lesen alles in dem von Seth Reiss und Will Tracy verfassten Drehbuch enthalten, was zu einem guten, bitterbösen Filmspaß gehört. „Die Brillanz liegt darin, dass sich die Handlung wie eine rasante, halsbrecherische Achterbahnfahrt entlädt“, windet er sich weiter, ohne auch nur ein Wort mehr darüber preiszugeben, worum es in The Menu eigentlich konkret geht. „Was ich sagen kann, ist, dass die Geschichte herrlich originell ist – und ganz sicher nicht, was man erwartet.“

Damit sind die Vorstellungen gleich einmal passend justiert. Denn die zwölf erlesenen Feinschmecker, die Sterne-Chefkoch Slowik (Ralph Fiennes) auf seiner abgelegenen Insel zum gepflegten Dinner in exklusiver Atmosphäre empfängt, sind gleichermaßen gespannt, was da auf sie zukommen mag. Immerhin lassen sie sich den Abend 1250 Dollar pro Kopf kosten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber für einen echten Foodie ist das natürlich nichts. Nur die junge Margot (Anya Taylor-Joy), die von ihrem Freund Tyler (Nicholas Hoult) nach Hawthorne Island eingeladen wird, weil seine Ex-Freundin kurzfristig abgesagt hat, fühlt sich unter den Superreichen von Anfang an ziemlich deplatziert. Sie kann auch den Hype nicht nachvollziehen und hält von vornherein sichtlich wenig von der Show, die Fiennes’ „Chef“, wie er von seinen Angestellten respektvoll genannt wird, hier mit maximaler Theatralik für seine Gäste inszeniert. Gleichzeitig ist die unterkühlte Reaktion der Empfangsdame und Managerin Elsa (Hong Chau) auf Margots Teilnahme an dem Event nur die erste von vielen peinlichen Situationen, die sich in The Menu schließlich zu einem Hauptgang zusammenbrauen, der keine Überraschung auslässt.

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Es ist die knirschende Dynamik zwischen Margot und Slowik, die sich langsam erhitzt, während der Koch unter strengsten Vorgaben einen Teller mit jeder Menge Schaum und essbaren Blättchen mit ihren trockenen Kommentaren durchbricht. Doch genau damit verärgert sie Slowik, dessen minutiös durchgeplanter Abend keinen Spielraum für etwaige Störungen oder Kritik vorsieht. „Slowik ist ein Künstler, der sich verrannt hat“ – so erklärt es Regisseur Mylod. „Er hat einen faustischen Pakt mit ein paar Finanziers geschlossen, um seine Kunstform weiterzuentwickeln und zu pervertieren. Und plötzlich merkt er, dass er feststeckt.“ Keine Frage, für eine kantige Rolle wie diese braucht es einen speziellen Mann, und Fiennes zelebriert seinen Auftritt mit der nötigen Mischung aus bitterem Ernst und pechschwarzem Humor. „Ralph wollte einen Anhaltspunkt für die Figur, also schickte ich ihm die Grant-Achatz-Episode von Chef’s Table, weil ich überwältigt war von Grants Kunstfertigkeit und seiner absoluten Besessenheit. Spitzenköche wie er sind Performance-Künstler. Es geht nicht nur um das Essen. Es geht um die Teller, von denen man isst, die Gläser, aus denen man trinkt, die Farbe, die Textur der Umgebung, die Art und Weise, wie das Licht in den Raum fällt. Aber ich muss auch dazu sagen: Slowik basiert nicht auf einer bestimmten Person. Und die extremeren Elemente unserer Geschichte sind offensichtlich völlig frei erfunden.“

Tatsächlich ist „extrem“ das Stichwort, das hinter The Menu steckt. Wer es darauf anlegt, kann darin auch einen entgleisten Horrorfilm sehen. Mylod spart nicht an grafischer Gewalt, die über den Schockeffekt hinaus wenig zur Geschichte oder Charakter-Entwicklung der Figuren beizutragen weiß. Neben einigen treffsicheren Pointen am Anfang häufen sich mit fortschreitendem Chaos die Grausamkeiten, von denen die meisten störend, plump und vorhersehbar sind. Umso wichtiger wird das bemerkenswerte Zusammenspiel der Besetzung, die dem Film als einer Art unkonventioneller Eat-the-Rich-Satire Nachdruck verleihen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Vergleich zu der überaus erfolgreichen HBO-Serie Succession, für die Mark Mylod insgesamt ein dutzend Folgen gedreht hat, liegt auf der Hand, denn um das Untergraben der Elite und die große Depression hinter dem Reichtum geht es hier wie dort. Doch für Mylod hören die Parallelen da auch schon wieder auf: „In Bezug auf das Genre, den Look, den Stil, liegen die beiden Projekte meilenweit auseinander.“ Eher stimmt er noch der Vermutung zu, dass Agatha Christies „And Then There Were None“ ein gerechtfertigter Bezugspunkt sei, fügt jedoch hastig hinzu, dass eigentlich Luis Buñuels El ángel exterminador (Der Würgeengel) die größte Inspiration lieferte. Die Vorstellung, dass ein Haufen wohlhabender Gäste in großes Chaos verfällt? „Ja, das ist ein Aspekt. Aber auch im Hinblick auf die Schuldgefühle der Gäste, im Sinne von: ,Vielleicht habe ich es nicht anders verdient.‘ Buñuels Film ist eben nicht nur seltsam, sondern hat zudem einen düsteren Beigeschmack – eine universelle Wahrheit.“

Es ist nicht schwer, die Gesellschaftskritik herauszufiltern, die auch The Menu in vielen Szenen serviert, etwa als Margot ihren Freund Tyler schon früh darauf hinweist, dass er gar nicht auf die Idee kommen würde, den Sous-Chef, der offenbar die Gästeliste bis ins Detail studiert hat, auch nach seinem Namen zu fragen. Mylods Film zeigt einmal mehr, was passieren kann, wenn sich Angestellte in der Dienstleistungsbranche gegen diejenigen auflehnen, die sie tagtäglich bedienen. In diesem Sinne funktioniert The Menu ähnlich wie Ruben Östlunds Cannes-Gewinner Triangle of Sadness als ein äußerst gelungener Ego-Check. Das Besondere allerdings ist, dass die Angehörigen der revoltierenden Unterschicht hier gleichzeitig exquisite Speisen in einem gestylten Setting zubereiten, während sie ihre Rache ausspielen. Bis einem das Essen irgendwann im Hals stecken bleibt, aber mehr verrät man an dieser Stelle besser nicht.