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Aus einem Jahr der Nichtereignisse

Filmkritik

Aus einem Jahr der Nichtereignisse

| Michelle Koch |
Zustands-Kino

Den einen Fuß im ausgelatschten Stiefel steckend, den anderen im Gummischlappen, manövriert sich der zottige, zahnlose, aber feiste Protagonist mit quietschendem Rollator schwerfällig durch überwuchertes Gelände: Willi Detert ist fast 90 Jahre alt und von den Jahren gezeichnet. Umgeben von Katzen, Federvieh, einem verwilderten Grundstück und eingestaubten Erinnerungsstücken, lebt er allein auf seinem Bauernhof in Norddeutschland. Ein begrenzter Lebensradius mit repetitivem Alltag, in dem jeder Handgriff anstrengend ist und eine Ewigkeit dauert: ankleiden, Essen kochen, die Tiere versorgen.

Darüber hinaus passiert nicht viel – Willi sitzt herum, hört Nachrichten, spricht mit der Katze. Ab und an ein Besucher, zum Geburtstag Kaffeekränzchen unter Greisen, bei dem über mögliche Arten der eigenen Bestattung getratscht wird. Willi, dem der Film nicht mehr Präsenz einräumt als dem Hof, den Tieren und dem Wechsel der Jahreszeiten, ist zwar kein wirklicher Sympathieträger, sein pragmatisch-sturer Widerstand gegen das eigene Absterben und Verschwinden erregt aber durchaus Empathie.

Willis Körperlichkeit und der Modus seiner Bewegungen treffen sich in den rauen, stotternden, pointiert Aufmerksamkeit erzeugenden Analogbildern, mit denen Ann Carolin Renninger und René Frölke das eintönige Leben des Bauern über ein Jahr dokumentierten. Das an Amateurfilme der sechziger und siebziger Jahre erinnernde Super-8- und 16mm-Material fügt sich jedoch nicht zu einem Porträtfilm, in dem sich eine Biografie entfaltet: Wie die Geschichten und Erinnerungen des Alten bleiben die Aufnahmen lückenhaft, Handlungen reißen immer wieder ab – wenn die Filmrolle zu Ende ist oder die Kamera neu aufgezogen werden muss, bleibt das Filmbild mitunter für eine halbe Minute schwarz, während der Ton weiterläuft: „Verbrauchst so viele Filme. Und was hast du dann wirklich aufgenommen? Gar nichts“, kommentiert Willi die Arbeit des Regieduos, das den Blick auf das Beiläufige, das scheinbar Banale und Unspektakuläre richtet und dabei in poetischen Miniaturen sowohl das Spezifische des Mediums Film als auch das Wesentliche unserer Existenz sicht-, hör-, und spürbar macht: in grobkörnigen, fast abstrakten Schwarz-Weiß-Bildern von Katzenfell, altem Geschirr oder welken Blumen hinter schmutzigen Fensterscheiben, in farbigen Natur-Tableaus, in denen das Grün des Frühlings und das Braun des Herbstes in malerischer Leuchtkraft strahlen, und im lauten Rattern des Filmstreifens, der durch die Kamera läuft – Zeit vergeht, unaufhaltsam.