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Filmkritik

Aus einem nahen Land

| Andreas Ungerböck |
Dokumentarischer Essay, made in Kritzendorf

Eine Übung in Sehen, Hören und Konzentration“ nannte Manfred Neuwirth seinen letzten Film scapes and elements, der aus fünf langen Einstellungen bestand. Um nichts weniger gilt das für sein neuestes Werk, allerdings ist es um einiges „zugänglicher“: Es besteht aus 24 Einstellungen à drei Minuten, alle sorgfältig durch Schwarzblenden voneinander getrennt. Vier dieser Sequenzen sind mit sparsam akzentuierter Musik von Christian Fennesz unterlegt. Die Kamera ist nicht so starr, wie man zunächst glauben würde, sie bewegt sich gelegentlich – mit Hilfe einer technischen Vorrichtung – ganz leicht von rechts nach links. Neuwirth, der große Dokumentarist und Essayist, ist unter anderem dafür bekannt, dass er einmal in die Ferne schweift (wie in seinen Tibet-Filmen), dann wieder dort filmt, wo es für ihn ganz nah (siehe Titel) und vertraut ist.

Aus einem nahen Land widmet sich der Weinbauern-Familie Vitovec, die unweit von Neuwirths Haus in Kritzendorf an der Donau lebt. Man sieht die Mitglieder der Familie vor allem bei der (schweren) Arbeit – beim Einschlagen von Pflöcken auf dem Weinberg, bei der Weinlese, beim Abfüllen des Weins in Flaschen, beim Schmücken einer Erntekrone, beim Vorbereiten des Buffets in dem Heurigen, den sie auch betreibt. Ergänzt werden diese Bilder aus der Arbeitswelt durch stille Naturbeobachtungen, aber auch durch fast surreal anmutende Einsprengsel wie die „Ankunft eines Zuges im Bahnhof Kritzendorf“, um die Brüder Lumière zu paraphrasieren, oder eine Feldmesse am Waldrand, oder zwei Spanferkel, die sich am Spieß drehen, wobei sich bei dem einen eine der Befestigungsschnüre löst. Ein Holzstoß ist dabei ebenso interessant wie ein Weizenfeld, das sich im Wind bewegt oder ein Schiff, das im Hintergrund auf der Donau durchs Bild fährt. Die Aufnahme eines schlichten Waldweges wird zum „Terrence-Malick-Gedächtnis-Shot“, wie der Filmemacher augenzwinkernd meint.

Es wäre nicht Manfred Neuwirth, hätte er nicht die eine oder andere Irritation eingebaut: Am augenfälligsten ist die Tatsache, dass die mit 60 Frames pro Sekunde aufgenommenen Bilder mit 24 fps projiziert werden (der Ton bleibt die ganze Zeit über synchron) Das gibt dem Ganzen eine eigene Zeitdimension: Manchmal ist das durchaus nahe am Slapstick, manchmal wird dadurch die anstrengende Arbeit der Weinbauernfamilie noch betont. Und wenn auf dem Bahnhof ein Zug zwar zu hören, aber nicht zu sehen ist, beginnt man ein wenig an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Diese Verfremdungen bauen Spannung auf, wo vermeintlich keine ist, und damit ist auch der Kern dieses filmischen Essays benannt: Wie man aus dem scheinbar Bekannten ein aufregendes visuelles Abenteuer machen kann, das demonstriert Manfred Neuwirth einmal mehr virtuos.